*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 46539 ***

Der Erbe.


Roman
von
Friedrich Gerstäcker.

Die Uebersetzung dieses Werkes in fremde Sprachen wird vorbehalten.

Erster Band.


Jena,
Hermann Costenoble.
1867.

Inhaltsverzeichniß.

Seite
1. Beim Frühstück 7
2. Die Bewohner von Schloß Wendelsheim 30
3. Ein unbequemer Besuch 56
4. Die elende Familie 79
5. Beim Schlosser Baumann 112
6. Der alte Salomon 133
7. Rebekka 159
8. Der Familienball 182
9. Am andern Morgen 212
10. Neue Spuren 237
11. Die beiden Verbündeten 266
12. Frau Müller 287
13. Vater und Sohn 322

1.
Beim Frühstück.

»Mama, dieser Lieutenant von Wendelsheim tanzt wirklich entzückend,« sagte Ottilie, als sie Morgens um zehn Uhr in einem allerliebsten Negligé zur Mutter in's Zimmer trat, wo das Kaffeeservice noch auf dem Tische stand. »Ich kann Dir versichern, man fliegt ordentlich mit ihm über den Boden hin und wird gar nicht einmal müde.«

»Nun, mein Kind,« erwiederte die Mutter, »ich kann Dir versichern, daß ich wenigstens müde geworden bin.«

»Aber Du hast gar nicht getanzt, Mütterchen.«

»Das fehlte auch noch,« stöhnte die Frau; »das Herumsitzen ist so schon arg genug – und nun auch noch diese schreckliche Räthin Frühbach neben mir! Ich sage Dir, ich habe meinem Schöpfer gedankt, als es drei Uhr schlug und wir mit Ehren fort konnten.«

»Arme Mama – und ich habe mich so gut amüsirt!«

»Junges Blut,« nickte die Mutter; »aber trink' Deinen Kaffee, Kind, denn er steht schon eine ganze Weile und wird sonst kalt.«

Ottilie hatte sich neben sie auf das Sopha gesetzt und trank; aber der kleine Fuß klopfte unter dem Tische noch immer leise den Tact eines der erst vor wenigen Stunden beendeten Tänze – ihre Gedanken waren noch entschieden bei dem Balle! Und wer hätte es ihr verdenken wollen? War sie doch kaum zwanzig Jahr alt, in der Blüthe ihrer Jugend, und der Blick, der unter den langen Wimpern so glücklich hervorleuchtete, sah nur Licht und Freude, denn kein dunkler Tag in ihrem jungen Leben warf seinen Schatten auf der Zukunft Bahn.

Ottilie war die Tochter des Staatsanwalts Witte, eines seiner Tüchtigkeit sowohl als Rechtlichkeit wegen allgemein geachteten Mannes, und das einzige, also auch das verzogene Kind im Hause. Von Herzen lieb und gut, hatte ihr Charakter dadurch aber doch etwas Eigenwilliges bekommen, was nicht der Fall gewesen wäre, wenn sich der fast übermäßig beschäftigte Vater hätte mehr um ihre Erziehung bekümmern können. Leider konnte er das nicht, und sie wurde einzig und allein der Mutter überlassen, die freilich nicht recht dazu paßte, ein junges Mädchen heranzubilden.

Die Frau Staatsanwalt Witte war, wie ihr Niemand absprechen konnte, eine brave und tüchtige Frau, und als sie vor langen Jahren ihren Mann heirathete und Beide sich fast ohne Vermögen kümmerlich durch das Leben arbeiten mußten, da hatte sie bewiesen, daß sie eine tüchtige Hausfrau sei, und mit den bescheidensten Ansprüchen gesorgt und geschafft und immer den Kopf oben behalten. Solchen gedrückten Verhältnissen war sie auch gewachsen gewesen, und Witte hätte sich dafür keine bessere Frau wünschen können. Als er aber in seinem Berufe einen Namen bekam und viel Geld verdiente, ja, später sogar Staatsanwalt wurde und sie weit mehr einnahmen, als sie gebrauchten, da fiel sie in einen Fehler, in den nur zu viele Frauen fallen – sie wurde auf ihren Mann stolz und beschränkte das nicht allein, wie es passend gewesen wäre, auf die eigene Familie, sondern suchte es der Stadt zu zeigen.

Von da an zog der Luxus in ihr Haus ein, und wenn Witte auch selber viel zu vernünftig war, sie weiter gehen zu lassen, als er für gut fand, behielt sie doch in vielen Dingen – des Hausfriedens wegen – ihren Willen und arbeitete sich mit den Jahren endlich in ein solches Gefühl ihrer Würde hinein, daß Witte selbst oft und bedenklich darüber den Kopf schüttelte.

In diesem »Bewußtsein ihrer Stellung« wurde Ottilie erzogen, und leider bekam sie von der eigenen Mutter öfter als gut zu hören, wie hübsch sie sei – und wie vornehm, und daß sie sich mit gutem Gewissen zu den ersten Familien der Stadt, der sogenannten »Crême« der Gesellschaft, zählen dürften.

Dadurch wurden viele Verbindungen mit früher befreundet gewesenen, aber ärmeren Familien abgebrochen und an deren Statt eine nähere Bekanntschaft mit dem Adel gesucht, von dem Witte selber gar nichts wissen wollte, aber die Frau Staatsanwalt desto mehr; und wenn sie auch vielleicht nichts Derartiges äußerte, so war sie doch jedenfalls im Herzen fest entschlossen, ihre Ottilie – komme was wolle – dermaleinst als »Frau Baronin« einhergehen zu sehen. Dann, wie sie oft im Stillen seufzte, »wollte sie gern sterben.«

Daß Ottilie selber gegen solche Andeutungen nicht gleichgültig blieb, läßt sich denken. Das Samenkorn hatte jedenfalls Wurzel geschlagen, und es war nun jetzt die Frage, wie es gepflegt und genährt werden würde.

»Wo ist denn der Vater?« fragte Ottilie endlich. »Hat er schon getrunken?«

»O, schon seit einer vollen Stunde,« sagte die Mutter; »aber er wurde mitten darin abberufen.«

»Der arme Papa, nicht einmal seinen Kaffee lassen sie ihn ruhig trinken! Wer ist denn bei ihm?«

»Ich weiß es nicht; ich glaube, es war in Sachen einer Scheidungsklage. Es ist erstaunlich, wie das jetzt überhand nimmt. Denke Dir nur, Herr von Löser läßt sich auch von seiner Frau scheiden.«

Ottilie war recht nachdenklich geworden und sah eine ganze Weile still vor sich nieder. Endlich sagte sie: »Es ist doch sonderbar und eigentlich recht traurig, daß Leute, die geschworen haben, in Freude und Leid treu bei einander auszuhalten, auf einmal so andern Sinnes werden und sich so unglücklich mit einander fühlen können. Ich bin gar nicht im Stande, mich da hineinzudenken.«

»Gewiß ist es traurig,« sagte die Mutter achselzuckend, »aber auch nur wieder ein Zeichen, wie leichtsinnig und unüberlegt viele Verbindungen für das ganze Leben geschlossen werden. Ein junges Mädchen sollte nie vor dem achtundzwanzigsten Jahr heirathen.«

»Aber, Mama,« lachte Ottilie, »dann ist sie ja kein junges Mädchen mehr, sondern eine alte Jungfer, und die bleiben regelmäßig sitzen. Wie alt warst Du denn, als Du den Vater nahmst?«

»Was Du davon verstehst, Kind!« sagte die Mutter ausweichend. »Freilich sind die Männer selbst daran schuld, denn sie sollten vernünftiger sein, als solchen jungen Dingern ihre faden Schmeicheleien vorzuschwatzen, wie es der Herr Referendarius Blaufuß etwa macht; Referendarius – er kann ein Greis sein, ehe er Assessor wird. Das ist die erste Giftsaat, und nachher verlangen sie, daß ein junges Geschöpf, das dumm und unerfahren genug war, um all' den Unsinn zu glauben, auch gleich nach der Hochzeit all' die schönen Sachen vergessen und eine tüchtige, nüchterne Hausfrau werden soll. Da war Dein Vater anders.«

»Wie war denn der, Mama?« fragte Ottilie schelmisch.

»Ja, das möchte ich auch wissen,« sagte der Staatsanwalt, welcher in diesem Augenblick in der Thür erschien und die letzten Worte gehört haben mußte. »Von was sprecht Ihr denn eigentlich?«

»Guten Morgen, Papa,« rief Ottilie, ihm entgegenspringend. »Wir sprachen gerade von nichts Besonderem, ich und die Mama – nur vom Heirathen.«

»Vom Heirathen?« rief der Vater erstaunt aus, indem er seiner Tochter die Backe zum Kuß hinhielt – »Blödsinn! Du solltest doch gescheidter sein, Therese, als solche Morgengespräche mit dem Kind zu führen. Sie kann noch nicht einmal eine Suppe kochen.«

»Hör' einmal, Dietrich,« sagte die Mutter gereizt, »ich denke, ich weiß selber gut genug, über was ich mit dem Kind zu sprechen habe, und brauche Deine Ermahnungen und Rathschläge nicht. Ich setzte ihr eben den Ernst der Angelegenheit auseinander, und dagegen wirst Du hoffentlich nichts einzuwenden haben.«

»Ja, Papa,« lächelte Ottilie, »und dann wurde der Vorschlag gemacht, daß sich ein junges Mädchen erst mit achtundzwanzig Jahren verheirathen dürfe, und auch darüber abgestimmt; aber der Antrag blieb unentschieden, denn die Stimmen waren getheilt.«

»Da hörst Du,« sagte der Staatsanwalt, indem er über die Brille weg nach seiner Frau hinüber sah, »wie die Mamsell den Ernst der Angelegenheit aufgefaßt hat – à propos, ist noch eine Tasse Kaffee für mich da?«

»Gewiß, Papa, die Menge.«

»Schön – na und wie hast Du dich gestern amüsirt, Tilchen? Wie war der Ball?«

»Ach, himmlisch, Papa,« rief das junge Mädchen, bei dem Capitel rasch alles Andere vergessend; »es war wundervoll, und ich werde den Abend in meinem ganzen Leben nicht vergessen!«

»In der That? Also das heißt, Du hast ununterbrochen getanzt und nicht ein einziges Mal – geschimmelt – nicht wahr, so nennt Ihr das?«

»Nicht ein einziges Mal,« bestätigte ernsthaft Ottilie; »ich habe alle Tänze getanzt, die Extratouren noch gar nicht gerechnet, und freue mich jetzt nur auf unsern Ball. Nicht wahr, Papa, bei dem bleibt es doch noch?«

Der Staatsanwalt stöhnte recht schmerzlich, denn er wußte, was ihm da bevorstand; seine Frau aber sagte würdevoll:

»Das ist ja schon Alles abgemacht und versteht sich von selbst. Wo wir die vielen Einladungen erhalten haben, müssen wir uns ja einmal revanchiren.«

»Auch dieser Kelch wird vorübergehen,« nickte der Vater.

»Ach, Dietrich,« sagte die Frau, »thu' nur nicht so; Du amüsirst Dich gewöhnlich dabei am besten von Allen, und gestern hast Du auch den ganzen Abend Whist gespielt.«

»Wenn Du das ein Amüsement nennst, mit dem Rath Frühbach Whist zu spielen, so hast Du Recht. Der Mensch hat keine Idee vom Spiel und thut dabei den Mund den ganzen Abend nicht zu.«

»Und die Mama hat sich indessen so gut mit der Frau Räthin unterhalten,« lächelte Ottilie schelmisch.

»Allerdings nicht so gut, wie Du Dich mit Deinem Lieutenant,« rief die Mutter, »spotte auch noch, daß ich Dir zu Liebe da geblieben bin!«

»Nicht böse, Mütterchen, nicht böse, es war ja gar nicht so gemeint!«

»Mit was für einem Lieutenant?« fragte der Vater.

»Ach, mit Herrn von Wendelsheim, Papa; er tanzt so wundervoll, Du kennst ja doch den Lieutenant von Wendelsheim?«

»Sollte es denken,« sagte der Vater und nickte dabei still vor sich hin; »aber das ist so in der Welt: die fadesten Menschen haben es gewöhnlich am besten in den Füßen.«

»Aber er ist gewiß nicht fade, Papa; er spricht so interessant und versteht Alles so aus dem Grunde.«

»So?« sagte der Vater und sah dabei seine Tochter scharf an. »In der That? und über was hat er mit Dir gesprochen, wenn ich fragen darf?«

»Ih nun,« erwiederte Ottilie und wurde in dem Augenblick wirklich feuerroth, »eigentlich über Alles. Ueber Concert und Theater, über die jetzigen Moden – über....«

»Pferde,« ergänzte der Staatsanwalt trocken.

»Er hat mir allerdings von dem wilden, prachtvollen Fuchs erzählt, den er jetzt reitet.«

»Und was er kostet....«

»Zweihundert Louisd'or.«

»Na ja, so ungefähr meine Gedanken.«

»Aber es soll ein prachtvolles Pferd sein!« rief das junge Mädchen.

»Nein, ich meine nicht das Pferd, ich meine den Reiter,« sagte der Vater; »aber laß gut sein. Er ist eben nicht anders, wie die meisten Uebrigen, und zu einem Abend auf dem Ball mag er ausreichen. Doch ging da nicht eben draußen die Thür?«

In dem Augenblick klopfte es an.

»Herein!«

»Bitte underthänigst um Escüse, wenn ich etwa stören sollte!« sagte eine etwas scharfe Stimme, und ein Kopf mit rothen Haaren erschien – etwa in der Nähe des Schlosses – in der Thür.

»Ah, der Schuhmacher!« rief Ottilie, während ein muthwilliges Lächeln über ihre Züge blitzte. »Kommen Sie herein, Meister Heßberger; Papa ist gerade hier.«

»Mich allergehorsamst zu bedanken,« sagte der Höfliche, indem er, wie er schon vor der Thür gestanden hatte, in's Zimmer trat. »Gelobt sei Jesus Christus – wünsche allerseits einen vergnügten Morgen!« Dabei blitzten die kleinen, hellgrauen Augen rasch durch das Zimmer, um zu sehen, wer sich hier befand, und auf den Spitzen der Zehen trat er dann weiter in die Stube hinein.

Schuhmachermeister Heßberger war in der That ein wunderlicher Bursche und hatte seine Eigenthümlichkeiten. Von kleiner, untersetzter Gestalt, machte er bei seinem ersten Erscheinen fast stets den Eindruck, als ob ihm der Kopf, den er trug, gar nicht gehöre und er ihn nur aus Versehen heute Morgen aufgesetzt habe. Der Körper war dünn und schmächtig, das Gesicht aber, mit einem tüchtigen Unterkinn daran, sah fett und glänzend aus, mit breitem Mund und etwas aufgestülpter Nase. Das Haar trug er glatt angekämmt à la Napoleon I., nur daß es feuerroth war, und in den Ohren kleine goldene Ringe. Die kaum sichtbaren Augenbrauen waren dabei immer in die Höhe gezogen, und kein Mensch hatte ihn außerdem im Leben lachen sehen. Die Mundwinkel gingen ihm stets nach unten, und er machte permanent ein Gesicht, als ob er auf der Erde innig betrübt wäre und nur zum Troste gen Himmel und nach oben blicke. Er stand auch in der That im »Geruche der Frömmigkeit« und würde nie an einem Sonn- oder Feiertage die Kirche versäumt haben, wo er sich dann jedesmal durch seine gellende Stimme auszeichnete.

Er arbeitete übrigens schon seit längeren Jahren für Witte's Familie, und der Staatsanwalt war eigentlich nicht besonders mit ihm zufrieden und würde schon lange einen andern Schuhmacher angenommen haben; Ottilie bat aber immer für ihn, denn sie amüsirte sich so vortrefflich über sein komisches Wesen und seine geschraubten Redensarten. »Entschuldigen Sie, Herr Geheimer Staatsanwalt,« sagte auch der Mann jetzt, indem er mit der ernsthaftesten Miene und einer Verbeugung einen Schritt vortrat, »daß ich Ihnen im Neklischeh treffe; aber Sie haben mich rufen lassen, und ich wünschte jetzt den Grund meines Daseins zu wissen.«

»Ich habe Sie rufen lassen?«

»Ich war's, Papa,« lachte Ottilie; »Herr Heßberger sollte mir ein Paar starke Schuhe anmessen, und da er mir die letzten ein wenig zu eng gemacht hat, wollte ich gern, daß er noch einmal Maß nähme.«

»Mit Plesir, mein Fräulein,« sagte Meister Heßberger, indem er in die Tasche griff und sein hölzernes Maß herausholte: »wenn Sie sich nur gefälligst blasiren wollen, werde ich Ihnen das gleich besorgen.«

»Aber nicht wieder über den Spann so eng, Meister,« sagte das junge Mädchen, indem es ihm den kleinen Fuß hinhielt: »die letzten Schuhe haben mir hierherüber wirklich Streifen gedrückt.«

»Soll nicht wieder vorfallen, meine Gnädigste, soll gewiß nicht wieder vorfallen,« versicherte Heßberger. »Also dicke Schuhe wollen Sie haben. Vielleicht mit guten Pertsche-Sohlen?«

»Wie Sie es machen wollen. Aber ich fürchte, die Guttapercha-Sohlen lösen sich ab.«

»Können sie nicht – können sie bosetief nicht; denn sie werden an den Rändern so hermöglichst verschlossen, daß gar keine Luft zudringen darf.«

»Dann nehmen Sie aber nur besseres Oberleder,« sagte die Frau Staatsanwalt, »als zu den letzten Stiefeln meines Mannes; denn schon nach den ersten vierzehn Tagen ging das entzwei, und eigentlich sollte es doch länger halten, als die Sohlen.«

»Bei mir nicht, Frau Geheime Staatsanwalt, bei mir nicht,« sagte Heßberger; »denn ich arbeite meine Sohlen so, daß sie gar nicht zerreißen können.«

»Sie sind unverbesserlich, Heßberger,« lachte Witte.

»Danke ergebenst,« sagte der Meister, indem er wieder aufstand und das Maß in die Tasche schob. »Und wünschen Sie vielleicht Frangsemangs oben drum herum?«

»Nein, Meister, ganz einfach, und oben um den Knöchel auch nicht zu weit; ich glaube, das haben Sie noch gar nicht gemessen.«

»Ist auch nicht nöthig, das sagt mir schon der Instinct, mit Respect zu melden; aber was ich noch fragen wollte: die Schnürbänder doch wieder horizonticulär über den Fuß weg?«

»Ganz wie die vorigen.«

»Sehr schön. Und der Herr Geheime Staatsanwalt haben nichts auf dem Herzen?«

»Nichts weiter, Heßberger, als daß Sie den Unsinn mit »Geheimer« lassen. Wenn ich geheimer Staatsanwalt wäre, könnten Sie es doch nicht wissen.«

»Bitte um Escüse, Herr Ge–, Herr Staatsanwalt,« sagte Heßberger. »Wie der Herr Rath Blumfeder, der bei mir im Hause unten wohnt, geheimer wurde, ließ er es den Augenblick in die Zeitungen setzen.«

Der Staatsanwalt lachte.

»Also Sie befehlen nichts weiter?«

»Für heute nichts; und vergessen Sie nicht, wieder die quittirte Rechnung beizulegen, wenn Sie die Stiefel schicken. Sie wissen, daß ich keine Schulden haben will.«

»Sollen bedient werden, Herr Geheimer Staatsanwalt, sollen pünktlich bedient werden. Habe indessen die Ehre, mich gehorsamst zu empfehlen!« Und damit drückte er sich wieder mit einem tiefen Bückling zur Thür hinaus.

»Das ist ein zu komischer Kauz,« lachte Ottilie, als er die Thür geschlossen hatte; »und er braucht immer so drollige Ausdrücke. Wenn man nur Alles behalten könnte, was er sagt.«

»Ein ganz durchtriebener Halunke ist er, darauf möchte ich meinen Hals verwetten,« sagte der Vater; »und faustdick hat er es dabei hinter den Ohren.«

»Ich würde ihn eher für dumm, als durchtrieben halten,« meinte Frau Witte.

»Den verkaufe nur nicht für dumm,« nickte ihr Mann; »umsonst liegt der nicht jeden Sonntag in der Kirche.«

»Aber daraus willst Du ihm doch keinen Vorwurf machen? Es wäre besser für Dich, wenn Du häufiger gingest.«

»Ich kann die Heuchler nicht leiden,« sagte der Staatsanwalt, »und daß sich der Schuhmacher nur fromm stellt, davon bin ich fest überzeugt.«

»Und was sollte er dabei haben?«

»Wer weiß es. Seine Frau betreibt hier ein sehr einträgliches Geschäft mit Kartenlegen, Krankheiten besprechen und anderem Unsinn – wer kann sagen, wie er sie dabei unterstützt? Die Polizei hat dem würdigen Paare nur noch nicht beikommen können; aber aus den Augen werden sie nicht gelassen.«

»Und Ihr thut ihm gewiß unrecht. Er ist so komisch, und wenn er sagt: Herr Geheimer Staatsanwalt...«

»Das ist eine ganz gemeine Schmeichelei,« erwiederte ärgerlich der Vater, »wie es überhaupt eine Menge von Menschen an sich haben, Leuten, mit denen sie verkehren, und besonders solchen, von denen sie etwas erhoffen, einen höheren Titel beizulegen, als sie wirklich besitzen. Und doch giebt es Schwachköpfe, die sich dadurch geehrt fühlen.«

»Du bist wirklich zu hart mit dem armen Heßberger, Papa.«

»Glaube aber nicht, daß ich ihm unrecht thue – hol' ihn der Henker! Ich, für meinen Theil, würde dem Burschen nie über den Weg trauen. Aber weshalb ich eigentlich herüberkam: Ihr kennt doch Alle den Schlosser Baumann, unsern früheren Nachbar? Du hast ja als kleines Mädchen auch immer mit den Baumann'schen Kindern gespielt, und sein ältester Sohn kommt manchmal hier in's Haus.«

»Ja, gewiß, Vater,« sagte Ottilie; »er ist Werkführer beim Mechanikus Obrich drüben.«

»Wie viel Kinder hat der Baumann?«

»Ich weiß es nicht, Vater, ich glaube aber vier.«

»Keine Tochter?«

»Doch, eine Tochter und, wenn ich nicht irre, drei Söhne.«

»Und wie alt ist die Tochter?«

»Sie kann kaum über fünf oder sechs Jahre alt sein.«

»Also keine ältere Tochter?«

»Ich weiß es nicht. Weshalb, Papa?«

»Ach, es war nur so eine Frage; aber schicke doch einmal nachher die Jette hinüber und laß ihn bitten, zu mir zu kommen. Ich möchte mir einen neuen Schlüssel zu meinem Schreibtisch machen lassen, denn den alten muß ich verkramt haben; ich kann ihn nirgends mehr finden.«

»Ja, und ein anderes Schloß an unsern Vorsaal auch, Dietrich,« sagte die Frau; »denn seit mir der Schlüssel damals weggekommen ist, fehlt mir alle Augenblicke etwas. Denke Dir nur, zwei von unseren schweren Eßlöffeln sind fort – ich wollte Dir eigentlich gar nichts davon sagen.«

»Ach, die werden sich schon wiederfinden; gestohlen können sie doch nicht gut sein.«

»Aber ich weiß nicht, wo; alle Kisten und Kasten habe ich schon umgedreht, alle Winkel und Ecken durchsucht.«

»Nun gut, schicke nur einmal hinüber zu dem Meister und laß ihm sagen, es wäre mir angenehm, wenn er selber kommen könnte; ich hätte etwas für ihn zu thun.«

»Aber unser Schlosser ist eigentlich Weller nebenan.«

»Baumann soll sehr geschickt sein, und mein Schloß ist etwas complicirt. Wie alt kann sein Sohn, der Mechanikus, etwa sein?«

»Ich weiß es nicht, Papa; vielleicht fünf- oder sechsundzwanzig Jahre. Er trägt einen vollen Bart, da kann man es nie so genau sehen.«

»Hm,« sagte der Vater und nickte still und nachdenkend vor sich hin, »das ist doch ein recht ordentlicher Mensch und der alte Baumann ein braver und durchaus rechtlicher Mann.«

»Ich habe wenigstens noch nie das Gegentheil gehört,« sagte Frau Witte; »aber er ist entsetzlich roh. Doch paßt das wohl zu seinem Geschäft, und so weit wir mit den Leuten in Berührung kommen, läßt man es sich schon gefallen. Höchstens daß sein Sohn einmal eine Arbeit herüberbringt.«

»Ich denke, unser Schlosser ist Weller?«

»Nein, vom Mechanikus drüben.«

»Und was habt Ihr für Arbeiten beim Mechanikus?«

»Du lieber Himmel, Papa,« sagte Ottilie ernsthaft, »in einer Wirthschaft fällt immer Allerlei vor. Bald ist einmal eine Lorgnette zerbrochen oder ein Opernglas muß nachgesehen werden; neulich war erst das Thermometer schadhaft geworden. Und der junge Baumann ist darin wirklich außerordentlich aufmerksam und so gefällig; man kann es sich gar nicht bequemer wünschen.«

»So?« sagte der Vater, dem jedenfalls andere Dinge im Kopf herumgingen. »Aber ich habe zu thun, und wenn ich Euch rathen soll, so macht Ihr auch Eure Toilette; denn es ist spät geworden und könnten doch einige Ballbesuche kommen, mit denen ich wenigstens verschont bleiben möchte. Vergiß nur nicht, nach dem Schlosser zu schicken.«

Der Vater ging in sein Zimmer hinüber, und die Mutter hatte sich noch behaglich in die Sophaecke gedrückt, um vorher in aller Ruhe das Morgenblatt zu lesen. Ottilie schickte, dem Auftrage des Vaters folgend, das Mädchen fort und schritt dann eben über den Vorplatz hinüber ihrem eigenen Zimmer zu, als es klingelte. Sie öffnete selber, denn ein Besuch konnte es noch nicht sein.

»Ah, Herr Baumann,« sagte sie, halb erröthend, als sie den Außenstehenden erkannte und wußte, daß sie eben erst über ihn gesprochen.

»Fräulein Witte,« erwiederte der junge Mann, der in seiner Arbeitstracht an der Treppe stand, »ich habe mir erlaubt, Ihnen das Lorgnon selber hinüber zu tragen, da ich glaubte, daß Sie es vielleicht brauchen würden. Ich hoffe, es soll jetzt besser halten, als früher; ich habe es selber reparirt. Den Thermometer werde ich Ihnen auch bald bringen.«

»Ich danke Ihnen sehr, Herr Baumann,« sagte Ottilie und wurde noch verlegener, denn der junge Mann sah sie mit einem so eigenthümlichen Blick an. »Und was – was habe ich Ihnen dafür zu zahlen?«

Wie Purpur zuckte es über das offene Gesicht des jungen Handwerkers und er zögerte mit der Antwort.

»Ich hoffe,« sagte er endlich, »Sie werden die Kleinigkeit nicht erwähnen; es war eine Feierabends-Arbeit.«

»Aber das kann ich nicht annehmen,« stotterte Ottilie; »bitte, sagen Sie mir, was ich schuldig bin.«

»Nun denn, wenn Sie es nicht anders wollen – einen Groschen.«

»Einen Groschen? Die ganze Schale war zerbrochen!«

»Mein Fräulein, ich muß selber am besten wissen, was meine Arbeit werth ist. Ich habe nicht mehr verdient und kann also auch nicht mehr dafür nehmen.«

»Aber ich kann doch nicht wagen, Ihnen einen Groschen...«

»Sie wollten mich ja absolut bezahlen, Fräulein; ich bitte also deshalb um einen Groschen.«

Ottilie war jetzt noch viel verlegener geworden, als vorher; aber sie konnte nun auch nicht mehr zurück. Sie wußte wenigstens im Augenblick nicht, wie sie sich helfen sollte, griff deshalb in die Tasche und gab dem jungen Mann den Groschen, den er lächelnd und mit leisem Danke nahm.

»Den werde ich mir zum Andenken aufheben, Fräulein Ottilie,« sagte er dabei, drehte sich ab und sprang die Treppe wieder hinunter.

2.
Die Bewohner von Schloß Wendelsheim.

Draußen vor Alburg, kaum eine halbe Stunde Weges von der Stadt entfernt, lag das Rittergut des Freiherrn von Wendelsheim in einem reizenden, von prachtvollen Buchen und Linden bewachsenen Thale. Das alte Stammschloß der Familie, die sogenannte Wendelsburg, stand allerdings auf dem nächsten Felsenhügel, oder hatte vielmehr dort in früheren Jahrhunderten gestanden, denn ihr Glanz war lange gesunken, und nur aus leeren Fensterhöhlen starrte sie jetzt in ihren Trümmern melancholisch und unheimlich auf das freundliche Landschaftsbild zu ihren Füßen nieder.

So stand die alte Wendelsburg aber schon lange. Ein Raubritter sollte dort zuletzt gehaust und dermaßen gewirthschaftet haben, daß es der Landesherr zuletzt nicht mehr mit ansehen konnte und durfte und seine Mannen gegen das Diebesnest sandte. Die stürmten es denn auch und räumten gründlich auf. Was aus dem Herrn der Burg wurde, weiß man nicht; vielleicht fiel er in der Vertheidigung des Schlosses, vielleicht zog er mit den Kreuzfahrern in das gelobte Land. Die Burg aber ward zerstört; die einzelnen, von den Mauern niedergeschleuderten Steinbrocken lagen noch jetzt hier und da am Bergeshange in Schlucht und Ravine, und nur die leeren Mauern der Wohngebäude blieben stehen und fast ein Jahrhundert lang unbenutzt.

Endlich ließen sich wieder Abkömmlinge jenes alten Geschlechts, die sich mit den Reichsfürsten ausgesöhnt haben mochten, dort nieder; aber nicht in der alten Burg selber, die ihnen doch wohl zu steil und unbequem liegen mochte. Auf dem schmalen Felsenkamm hätte auch nicht einmal ein Garten Platz gefunden, während das Thal selber wie gemacht zu einer herrschaftlichen Wohnung schien. Dort bauten sich denn auch die Herren von Wendelsheim an – großartig, wie sich nicht läugnen läßt, denn einige Zweige der Familie waren enorm reich –, mit weiten Gehöften, Stallungen und einem palastartigen Wohngebäude. Auch ein herrlicher Park, gefüllt mit edlem Wild, umschloß das Ganze, und ein Fürst hätte sich dort behaglich fühlen können.

Ob nun aber schon der erste Erbauer durch die vielleicht zu großartigen Anlagen in Schulden gerieth oder ob seine späteren Nachkömmlinge das vorhandene Vermögen etwas scharf in Angriff nahmen, kurz, die Wendelsheim, die von je her sehr viel Geld verbraucht, gingen in den auf einander folgenden Geschlechtern zurück und schienen genöthigt zu werden, sich mehr und mehr einzuschränken.

Wenn noch im vorigen Jahrhundert ein wahrer Troß von Dienern die inneren Räume des großen Schlosses belebt hatte, wenn lustige Cavalcaden von Herren und Damen draußen im Park dem edlen Waidwerk oblagen und manchen braven Hirsch zu Tode hetzten, wonach dann bis spät in die Nacht dauernde Gelage das Siegeswerk feierten, so wurden derlei Dinge jetzt wohl auch noch ausgeführt, aber nur en miniature. Der alte Freiherr setzte sich, von einem einzigen Reitknecht und dem Revierförster zu Fuße begleitet, auf einen alten Klepper, der das Schießen gut vertragen konnte, und ritt pirschen, und Abends trank er dann, wenn auch gerade keinen Humpen, so doch eine halbe Flasche Landwein, und legte sich früh schlafen. Er konnte das lange Aufsitzen nicht mehr vertragen.

Auch mit dem Schlosse selber war eine sichtbare Veränderung vorgegangen, und zwar nicht zum Besseren. Die großen Räumlichkeiten wurden nicht mehr gebraucht, zwei Drittel der Stallungen standen schon ohnedies leer, und das eigentliche, drei Etagen umfassende Schloß, das sonst wohl manchmal bis unter den Giebel von Gästen und ihrer Dienerschaft angefüllt gewesen, zeigte den Zahn der Zeit in nur zu deutlichen Spuren. Es hätte auch in der That viel Geld und eine weit größere Dienerschaft, als sie die jetzigen Besitzer hielten, erfordert, um die Gebäude alle in Stand zu halten – und wozu? Die erste Etage mit den unteren Räumen für Küche und andere häusliche Zwecke genügte vollkommen und stand noch in zwar verblichener, aber doch alter Pracht. Von den übrigen Gemächern wurden aber nur wenige dann und wann zu Fremdenzimmern benutzt, und die beiden Flügel blieben ganz leer; ja, zerbrochene und mit Spinngeweben überzogene Fensterscheiben zeigten sogar, daß sie gar nicht mehr betreten wurden. Nur die oberen Etagen waren zu Kornböden eingerichtet worden, und dazu besaß der Verwalter den Schlüssel. Die Herrschaft kam nie mehr hinüber, den alten Freiherrn ausgenommen, der manchmal dort hinaufstieg, um den Kopf zu schütteln, daß die aufgeschichteten Getreidehaufen in ihrer Quantität die Summe nicht repräsentirten, die er nothwendig dafür brauchte.

Trotz alledem wurde die äußere Form eines vornehmen Haushalts nach besten Kräften aufrecht erhalten. Der Freiherr von Wendelsheim war allerdings zugleich Kammerherr des Königs und als solcher, wenn auch im Sommer selten in Anspruch genommen, doch verpflichtet, den Winter in der Residenz zuzubringen. Dort machte er aber kein eigenes Haus, sondern begnügte sich mit seiner Dienstwohnung im Palais, während daheim auf Schloß Wendelsheim seine unverehelicht gebliebene Schwester Aurelia die Oberleitung der ganzen Wirthschaft mit eisernem Scepter führte.

Der Freiherr hatte zwei Söhne, von denen der älteste – jetzt fast vierundzwanzig Jahre alt – Lieutenant war, während der jüngste – ein zarter Knabe von kaum etwas mehr als siebenzehn Jahren – seines sehr leidenden Körpers wegen in den letzten Jahren sogar seine Studien hatte unterbrechen müssen und hier auf dem Schlosse, in der milden und freien Luft, nur seiner Gesundheit lebte.

Aber es war eigentlich ein trauriges Leben auf Schloß Wendelsheim, und besonders seit die Freifrau einige Jahre nach der Geburt ihres jüngsten Sohnes gestorben, schien es, als ob der Frohsinn die alten Mauern gründlich verlassen habe und nur noch bei dem Freiherrn und dessen Schwester das Bewußtsein ihres Ranges und Standes mit Stolz und Härte genug zurückgeblieben wäre, um eine dreifache Anzahl von Dienstleuten, als sich jetzt im Schlosse befand, mürrisch zu erhalten und unbehaglich zu machen.

Wenn aber auch die Vermögensverhältnisse des Freiherrn jetzt ziemlich gedrückter Art waren und er bedeutende Schulden machen mußte, um nur standesgemäß leben zu können, so bekam er trotzdem überall geborgt und wußte auch, daß sich sogar in allernächster Zeit seine Vermögensverhältnisse, oder die des Hauses wenigstens, glänzend verbessern, ja wie ein Phönix aus der Asche erstehen würden.

Mit dem Geburtstage seines ältesten Sohnes, des Lieutenants nämlich, der in kaum zwei Monaten fiel, wurde eine außerordentlich bedeutende Erbschaft für diesen fällig, die eigens dazu bestimmt worden, den alten Glanz des Hauses Wendelsheim wieder neu zu beleben.

Der letzte Abkömmling einer der Hauptlinien hatte diese Erbschaft ausgesetzt, aber mit einer eigenthümlichen Nebenbestimmung.

Beide Vettern, jener alte General von Wendelsheim und unser alte Freiherr, hatten eigentlich nie in gutem Vernehmen mitsammen gestanden, ja, sich sogar gründlich gehaßt, und dieser Gefühle auch nie groß Hehl gehabt. Bruno von Wendelsheim aber, wie der General hieß, war, bei einem enormen Reichthum, unvermählt geblieben, ja, sogar ein Weiberhasser, und hing nur mit all' der zähen Liebe und Verehrung, deren er fähig war, an seinem alten Stammbaum, an dem Glanze und Ruhme derer von Wendelsheim, und doch drohte das ganze Geschlecht auszusterben, denn unser Freiherr war damals der Letzte des Namens und, obgleich er schon fünf Jahre vermählt, noch ohne Lebenserben.

Da bezwang der alte General auf seinem Sterbebette den Haß, den er gegen die Person des Vetters vielleicht gefühlt, und nur noch in ihm den alleinigen Träger des Namens sehend, setzte er wenige Tage vor seinem Tode ein Testament zu dessen Gunsten auf.

Er wußte, in welch' zerrütteten Vermögensverhältnissen sich jener Zweig der Familie schon damals befand, und wenn ihm auch nichts daran lag, dem Vetter selber aus der Verlegenheit zu helfen, sollten doch die Erben des Namens wenigstens nicht mit einer solchen Misère zu kämpfen haben. Das Testament lautete aber vorsichtiger Weise nur auf einen männlichen Erben des Hauses Wendelsheim, der aber auch erst wenn er das vierundzwanzigste Jahr erreicht hätte, die damals für ihn verzinslich angelegte Summe von zweihunderttausend Thalern ausgezahlt erhalten solle.

Bekam der Baron von Wendelsheim mehrere Söhne, so blieb dieses Capital trotzdem nur für den ältesten bestimmt und ging erst nach dessen Tode, wenn er ohne Söhne starb, auf den zweiten über. Bekam der Baron dagegen keine Kinder, oder nur Mädchen, so sollte er nicht einen Pfennig von der Summe erhalten, denn diese konnten den alten Namen nicht fortpflanzen. Fünfzigtausend Thaler waren in diesem Falle einem sehr weitläufigen Verwandten und damals sehr lockern Officier, einem Herrn von Halsen, ausgesetzt, und mit dem Rest, von dem indessen Zins zu Zins geschlagen wurde, sollte ein Stift für adelige Fräuleins gegründet werden. Bekam der Freiherr dagegen Knaben, so sollte er schon in so fern früher eine theilweise Nutznießung der Zinsen haben, als er vom zwölften Jahre des Erstgeborenen an jährlich für dessen Erziehung zweitausend Thaler erheben konnte.

Freiherr von Wendelsheim wurde nach dem Tode seines Vetters mit dem Inhalt dieses Testaments bekannt gemacht und allerdings sehr freudig überrascht. Mit um so größerer Angst sah er aber nun auch dem Zeitpunkt entgegen, der seine frohesten Hoffnungen verwirklichen sollte und einzutreten versprach: nämlich die Geburt eines Kindes. Aber Alles hing natürlich davon ab, daß es ein Knabe sei, denn bei der Geburt einer Tochter änderte sich in seinen Vermögensumständen nichts; er blieb nach wie vor auf seine eigenen, sehr reducirten Mittel angewiesen und ihm schließlich, wenn kein Sohn nachkam, nichts weiter übrig, als die Tochter in das nämliche Stift zu thun, das sein Vetter mit dem ihm entzogenen Gelde gegründet haben wollte.

Damals soll er sich auch in einer furchtbaren Aufregung befunden haben und halbe Nächte nicht vom Pferde gekommen sein. Aber er hatte sich umsonst geängstigt. Die so heiß ersehnte und gefürchtete Stunde brach endlich an, und lauter Jubel weckte plötzlich mitten in der Nacht die Dienerschaft, denn der erwartete Erbe, ein prächtiger, dicker Junge, war erschienen und schrie lustig in die ihm noch fremde Welt hinein.

Das war ein Jubel im Hause: der Champagner floß und die Dienerschaft bekränzte am folgenden Morgen das ganze herrschaftliche Schloß mit grünen Guirlanden und Blumen. Ja, der Schulmeister aus dem Dorfe Wendelsheim rückte sogar mit der ganzen Schuljugend hinauf auf's Schloß, ließ die Jungen einen Choral absingen, als ob sie eine Leiche zu Grabe trügen, und zog sich dann wieder, Taschen und Hut voll von noch dampfenden, warmen Kuchen gestopft, in die Stille des Privatlebens zurück.

Der Knabe wuchs und gedieh. Es war anfangs ein bildhübsches Kind gewesen, aber er entwickelte sich später etwas derber und knochiger, wie man das ja wohl häufig bei auffallend hübschen Kindern hat, daß sie nicht immer halten, was sie versprechen. Die Eltern aber hingen mit größerer Liebe an dem Knaben, als sich die Hoffnung, einen zweiten Sohn und Erben zu erhalten, immer weiter hinausschob.

Daß dabei im Publikum, mit der eigenthümlichen Erbschaft zusammenhangend, anfangs ganz sonderbare Gerüchte auftauchten, läßt sich denken. Auf die Aussagen verschiedener Leute im Schlosse fußend, wurde behauptet, mit dem Erben sei nicht Alles so recht und richtig zugegangen. Es wäre eigentlich ein Mädchen gewesen, und der alte Baron hätte dafür gesorgt, daß er sich die Erbschaft trotzdem sicherte. Aber es war in all' den Gerüchten keine feste Basis, und das Meiste beschränkte sich nur auf Hörensagen. Der Verdacht war allerdings da; man traute dem Baron etwas Aehnliches zu, aber die Beweise fehlten, und wie sich diese Gerüchte ein paar Monate gehalten und das stehende Thema aller Kaffeegesellschaften gebildet hatten, verschwanden sie, wie sie gekommen. Zuletzt sprach kein Mensch mehr davon, und als sechs und ein halb Jahr später die Baronin noch einem zweiten Knaben das Leben gab, zerfielen die auf jenes Gerücht gegründeten Suppositionen überhaupt in Nichts.

Leider kränkelte von da ab die Baronin selber unaufhörlich, und wenn es auch manchmal schien, als ob sie wieder hergestellt werden könne, war das nur immer ein Aufflackern der Lebenskräfte. Benno hatte noch nicht sein viertes Jahr erreicht, als sie ihrer unheilbaren Krankheit erlag.

Nun ist es allerdings ein sehr natürlich Ding, daß Eltern nur zu sehr geneigt sind, das jüngste Kind etwas zu verwöhnen und ihm anscheinend ihre ganze Liebe zuzuwenden. Das Kleinste ist ja auch immer das Niedlichste und erfordert die meiste Sorge und Pflege, und wir geben uns am liebsten und häufigsten mit ihm ab. Auffallend war aber doch, wie der Vater von dem Augenblick an, wo er seinen jüngsten Sohn auf dem Arm schaukelte, den Erstgeborenen vernachlässigte und sich fast gar nicht um dessen Erziehung kümmerte. Das jüngste und allerdings sehr zarte Kind ließ er fast nicht aus den Augen und wachte mit ordentlich mütterlicher Sorgfalt über ihn. Der Aelteste dagegen mochte thun, was er eben wollte, er ließ ihm ganz seinen eigenen Weg. Bruno wuchs demnach ganz allein, seinen eben nicht glänzenden Anlagen überlassen, ziemlich wild und ungehindert auf. Zur Musik zeigte er entschiedenes Talent, zu weiter nichts, und als die Frage endlich an den Vater herantrat, was einmal aus ihm werden sollte, wurde er in die große Versorgungsanstalt für adelige Kinder, in ein Cadettenhaus gesteckt.

Benno, der zweite Sohn, wuchs indessen ebenfalls heran; aber es war in der That nur ein Angstkind und sein kleiner Körper so empfänglich für die geringsten Einflüsse, daß es fast keine gesunde Stunde hatte. Ob man es vielleicht mit allzu großer Pflege versehen, läßt sich nicht sagen; aber während Bruno draußen in Wind und Wetter herumtollte, wenn er einmal nach Hause kam, des Vaters wildeste Pferde ritt, oder Nächte durch draußen im Wald auf dem Anstande lag, mußte Benno wie ein rohes Ei vor jedem rauhen Luftzug gehütet werden.

Merkwürdig stach außerdem Benno's zarter, von lichtblauen Adern durchzogener Teint, das bleiche Antlitz mit den großen, dunklen Augen und den wirklich edlen Zügen gegen das kräftige, sonnverbrannte Gesicht des Bruders ab, der außerdem noch blaue Augen und eine etwas stumpfe Nase hatte. Die beiden Brüder sahen sich überhaupt gar nicht ähnlich, wenn sie sich auch herzlich lieb hatten, und waren auch in ihren Neigungen ganz verschieden.

Bruno fand weniger Freude am Soldatenstande als an der Oekonomie, für welche er schon von früher Jugend an eine Vorliebe zeigte. Benno dagegen, vielleicht auch durch seinen kränklichen Körper darauf angewiesen, warf sich mit größter Liebe auf die Wissenschaften, und darunter besonders auf physikalische und mathematische Werke. Er schien auch dabei nur eine Leidenschaft seines Großvaters geerbt zu haben, der sich ebenfalls mit der Mathematik viel beschäftigt und eine Masse von ihm benutzter Instrumente noch hinterlassen hatte.

So wuchsen die Brüder heran, und der Zeitpunkt war schon auf wenige Monate, ja, fast auf Wochen nahe gerückt, wo Bruno, als der älteste Sohn oder Erstgeborene, die indessen durch Zins und Zinseszins bedeutend angewachsene Erbschaft erheben sollte. Es schien ja auch allen Bedingungen genügt, und Vater wie Sohn wünschten den Tag sehnlichst herbei, denn beide hatten nicht gering auf ihn gesündigt. Du lieber Gott, wie viel Geld braucht denn nicht allein ein adeliger Lieutenant, wenn er auf der Welt nichts weiter zu thun, als einen alten Namen zu repräsentiren hat!

Benno's Zustand verschlimmerte sich dagegen mit jedem Tage, und wenn man gehofft hatte, daß er in einem mehr reiferen Alter die Kränklichkeitskeime abschütteln würde, so zeigte sich leider nur zu bald das Gegentheil. Der Arzt hatte die Krankheit für einen Herzfehler erklärt, und sie schien, anstatt sich zu heben, einen immer drohenderen Charakter anzunehmen.

Sein Vater und selbst die Tante, oder das »gnädige Fräulein,« wie sie im Schlosse genannt wurde, pflegten ihn allerdings nach besten Kräften und thaten, was sie ihn nur an den Augen absehen konnten, aber Benno erwiederte die Liebe kaum, die sie ihm entgegenbrachten. Des Vaters hastiger, unruhiger Charakter sagte dem kranken Knaben nicht zu, und die Tante nun gar, die keinem Menschen auf der Welt, ihn vielleicht ausgenommen, ein freundliches Wort gönnte, vermochte nicht ihn an sich zu gewöhnen.

Die Einzige im ganzen öden Schlosse, bei deren Erscheinen ein Lächeln seine Züge überflog, und der er traurig nachsah, wenn sie ging, war ein junges Mädchen, eine weitläufige Verwandte, die seine Mutter noch als kleines Kind zu sich genommen und der jetzt seine Hauptpflege übergeben worden.

Kathinka von Stromsee, in ziemlich gleichem Alter mit Benno, dem jüngsten Sohne, war eigentlich dessen Cousine, wenn auch die Familie Wendelsheim nie etwas von der Verwandtschaft wissen wollte. Ein Neffe des alten Barons, der Sohn seiner älteren, längst verstorbenen Schwester, ein von Stromsee, hatte nämlich den furchtbaren Mißgriff begangen, mit selbst keinem Vermögen, ein blutarmes, bürgerliches Mädchen zu heirathen, welcher Mesalliance dann glücklicher Weise nur diese einzige Tochter entsproß. Die beiden Eltern starben auch bald nachher, und Frau von Wendelsheim setzte es gegen ihre Schwägerin durch, die Waise in ihre Familie aufzunehmen.

Fräulein von Wendelsheim war aber vom ersten Augenblick an gegen das Kind gewesen und würde ihren Bruder nach der Baronin Tod sicher bewogen haben, die Kleine wieder fortzuthun, wenn sich nicht Benno so sehr an sie gewöhnt hätte. Er war unglücklich, sobald er die kleine Spielgefährtin nur auf eine Secunde missen sollte, und der Baron selber, der Alles für den Knaben that, duldete deshalb nicht, daß sie aus dem Hause gestoßen wurde.

Er blieb auch ziemlich gut mit ihr, aber Kathinka konnte sich dagegen nicht rühmen, je nur einen freundlichen Blick selbst von der Tante gesehen zu haben, die sie von Grund aus zu hassen schien, und doch hatte ihr das Kind nie etwas zu Leide gethan. Es lag das freilich im Charakter des »gnädigen« Fräuleins, und ließ sich eben nicht ändern.

So blieb Kathinka allerdings im Schlosse, verlebte dort aber auch eine traurige, trostlose Jugend. Zuerst nahm sie an den Unterrichtsstunden Benno's Theil und war seine Gespielin, dann wurde sie seine Pflegerin, ja, endlich nur die Krankenwärterin des armen, dahinsiechenden Knaben, aber auch zugleich seine treueste Freundin und Vertraute.

War kein Mensch im Stande, ihn von seinen anstrengenden Studien und Büchern wegzubringen, selbst nicht sein Vater, so brauchte Kathinka nur ihren Strohhut aufzusetzen und zu sagen: »Nun, wie ist's, Benno, wollen wir einen kleinen Spaziergang machen? Ich muß nach unseren Rosen sehen,« dann warf er den Band, den er gerade in Händen hielt, rasch bei Seite, ergriff seinen Hut und seine Handschuhe und schritt mit einem glücklichen Lächeln an ihrer Seite durch die schattigen Laubgänge des Parkes. Nach solchen Spaziergängen fühlte er sich auch immer viel wohler, jedenfalls heiterer, und der darüber befragte Arzt rieth ihm, diese Zerstreuung unter jeder Bedingung zu erhalten. Er wisse nichts, was wohlthätiger auf ihn wirken könne.

Benno, so jung er war, beschäftigte sich sehr gern mit physikalischen Arbeiten; er hatte sich auch mit Hülfe eines Technikers aus der Stadt – unseres jungen Bekannten Baumann –, der manchmal herauskam, um ihm Anleitung zu geben, eine kleine Elektrisirmaschine selber gebaut und war jetzt wieder dabei, um einen Luftballon mit Centrifugal-Fliegmaschine herzustellen. Freilich konnte er die dazu nöthigen feineren und sehr genau zu arbeitenden Theile nicht allein bewältigen, und Fritz Baumann half ihm da, wo es nur irgend seine Zeit erlaubte, mit wirklich aufopfernder Geduld. Baumann hatte aber auch nicht allein bald den sehr bösartigen und vielleicht drohenden Charakter von Benno's Krankheit erkannt, sondern er fand in der That selber Freude an den oft sogar geistreichen Versuchen des Knaben, und verbrachte manchen ganzen Sonntag auf Schloß Wendelsheim. Die »gnädige« Tante gestattete aber natürlich nie, daß er mit am Herrentische aß – der war nicht für Bürgerliche und noch dazu für Handwerker, sondern er wurde, wie auch Benno dagegen bat, jedesmal auf den Verwalter angewiesen, gewissermaßen an die »Marschallstafel.«

Bei solchen Besuchen unterstützte er den kranken Knaben aber nicht allein in seinen Arbeiten und experimentirte mit ihm, sondern er gab ihm auch zugleich manche werthvolle Anleitung, wie er sich Kleinigkeiten mit leichter Mühe herstellen konnte, und Benno fand eine unendliche Freude daran.

So war er auch heute wieder herausgekommen, um Benno eine von diesem selber entworfene und angefangene Arbeit zu bringen: einen Mechanismus, der die genaue Bewegung des Mondes um die Erde darstellen sollte. Wie er aber das Schloß betrat, hörte er eine scharfe, keifende Stimme; das konnte nur die des gnädigen Fräuleins sein, und er blieb zögernd stehen. Er wußte nicht, sollte er trotzdem hinaufgehen oder lieber einen günstigeren Zeitpunkt abwarten, denn obgleich ihm die »Tante« gerade nichts zu befehlen hatte, theilte er doch unwillkürlich die Furcht oder Scheu vor ihr, die fast das ganze Schloß erfüllte. Wie er noch so dastand, kam Kathinka die Treppe herunter und glitt mit einem schüchternen Gruße hastig an ihm vorüber in die Wirthschaftsräume. Es konnte ihm auch nicht entgehen, daß sie geweint hatte oder noch weine, wenn sie ihr Gesicht auch von ihm abdrehte. Ein einzelner fallender und in der Sonne blitzender Tropfen verrieth Alles.

»Armes Mädchen,« murmelte er leise vor sich hin, »Du hast auch einen schweren Stand in diesem Hause, und ich möchte nicht an Deiner Stelle sein! Daß vornehme Leute nur so selten wissen, wie solch einem armen Wesen unter fremden Menschen zu Muthe sein muß – oder ob sie's wissen und es nur nicht wissen wollen? Die Tante sähe mir etwa gerade danach aus. Himmel, ist das ein Drache!«

Er wollte langsam und ganz in seine Gedanken vertieft die Treppe hinaufsteigen, denn das Keifen oben hatte aufgehört, als einer der Diener unten aus der Küche kam und ihm zurief, der junge gnädige Herr sei im Garten in der Weinlaube. Kathinka mußte den Boten gesandt haben, um ihm die Treppe zu ersparen. Er dankte dem Manne, der sich aber schon nicht weiter um ihn kümmerte, denn was ging ihn der Handwerker an, und schritt dann rasch in den Garten und der bekannten Stelle zu, wo er auch Benno zwischen seinen Büchern und Instrumenten traf.

Benno's ganzes Gesicht leuchtete, als er ihn kommen sah, und Fritz Baumann mußte sich jetzt zu ihm setzen, damit er die gebrachte Arbeit genau prüfen konnte. Fritz erklärte ihm dabei eine kleine, nur unwesentliche Aenderung, wie er sagte, die er für nöthig befunden und die nur das Arbeiten des Werkes erleichtere, in Wahrheit es aber nur allein möglich machte, und Benno war glücklich darüber und schien auch heute wohler und lebendiger, als seit langer Zeit. Er plauderte und erzählte dem jungen Manne noch von einer Menge seiner Pläne und merkte gar nicht, daß Kathinka endlich mit seinem gewöhnlichen Getränk selber herausgekommen war, um ihn dann zu seinem vom Arzte vorgeschriebenen Spaziergange abzurufen.

»Spazierengehen? Ja, liebe Kathinka,« sagte Benno, »recht gern, aber was fange ich indessen mit diesem kleinen Kunstwerk an?«

»Kann das nicht so lange hier stehen bleiben?«

»Daß mir der Gärtnerbursche wieder, wie neulich einmal, seine dicken Finger dazwischen steckt und etwas verdirbt, nicht wahr?« rief Benno rasch.

»Dann will ich es lieber rasch hinauftragen,« erbot sich das junge Mädchen.

»Meine liebe Kathinka,« sagte Benno kopfschüttelnd, »das ist mein Steckenpferd, und das vertraue ich nicht einmal Dir an. Wenn Du fielst und es zerbrächst, wäre mir die ganze Freude verdorben. Ich trage es selber hinauf. Warten Sie hier nur einen Augenblick, Baumann; ich bin gleich wieder bei Ihnen und bringe dann auch den Gartenschlüssel mit, daß wir Sie hinten hinauslassen können; Sie ersparen dadurch einen Umweg.« Und ohne eine Einrede zu gestatten, nahm er mit sorglicher Hand das Räderwerk und schritt rasch durch den Garten dem Schlosse zu.

Die beiden jungen Leute folgten ihm, Jedes seinen eigenen Gedanken nachhangend, mit den Augen. Endlich sagte Baumann, aber fast mehr zu sich selbst als der neben ihm Stehenden redend:

»Armer junger Mann, so reich begabt, so gut und so unglücklich!«

»Ja, er ist wirklich gut und unglücklich,« seufzte Kathinka, »denn ich fürchte das Schlimmste für ihn!«

»Und glauben Sie nicht, Fräulein, daß er geheilt werden könnte, vielleicht durch eine Luftveränderung?«

»Ich weiß es nicht; aber der Arzt sieht ihn immer so mitleidig an und hat ihm in der letzten Zeit wieder so Vieles erlaubt, was ihm sonst streng verboten war – das ist kein gutes Zeichen.«

»Und Sie sind immer so gut mit ihm und geben sich so viele Mühe...«

»Ich wollte, ich könnte mehr für ihn thun,« sagte Kathinka herzlich, »und wenn er stirbt, werde ich ihn wie einen Bruder betrauern.«

»Und Sie Beide haben keine Mutter!« sagte Baumann fast unwillkürlich, denn er dachte an die rauhen Worte, die er vorhin im Schlosse gehört, bereute aber augenblicklich das Gesprochene, als er sah, welch ein wehmüthiger Ausdruck sich über Kathinka's Züge legte. Er setzte auch rasch hinzu: »Ich habe Ihnen nicht weh thun wollen, liebes Fräulein, seien Sie mir nicht böse.«

»Gewiß nicht, ich weiß es,« erwiederte Kathinka leise; »aber da kommt der Baron schon wieder zurück,« fuhr sie rasch und augenscheinlich erfreut, das Gespräch abbrechen zu können, fort. »Wie schnell er muß gegangen sein! Er fühlt sich heute doch viel kräftiger! Gott gebe nur, daß es so bleibt!«

Benno kehrte zurück. Er sah in der That heute viel wohler aus, als in den letzten Tagen; sein sonst so bleiches, wachsähnliches Gesicht hatte Farbe, und das Auge einen viel gesunderen und natürlichen Glanz. Er nahm auch ohne Weiteres, wie stets gewohnt, Kathinka's Arm und sagte fröhlich: »So, und nun gehen wir langsam durch den Park der Hinterpforte zu; von dort aus schneiden Sie den ganzen langen und häßlichen Weg durch das Dorf ab, Baumann, und haben gar nicht mehr so weit in die Stadt. Aber wann kommen Sie wieder heraus?«

»Sobald ich irgend kann, Herr Baron, gewiß.«

»Aber spätestens am Sonntag. Ich möchte Sie so gern dabei haben, wenn ich meine kleine Maschine arbeiten lasse. Die Kathinka versteht eben gar nichts davon und freut sich nicht halb so viel darüber, als ich gern möchte.«

»Ich freue mich, ja gewiß, wenn ich sehe, daß es Dir Freude macht, Benno.«

»Ja, nur mir zu Liebe,« sagte Benno mit einem fast noch kindlichen Schmollen, »aber nicht über die Sache selber. Das habe ich wohl gemerkt.«

»Aber ich verstehe es ja auch nicht, lieber Benno; ich bin solch ein armes, unwissendes und dummes Ding.«

»Glauben Sie es ihr nicht, Baumann, das ist nicht wahr,« sagte Benno schnell. »Sie ist gar nicht so dumm und versteht Manches so gut, daß ich selber oft darüber erstaunt bin. Aber sie zankt immer mit mir, wenn ich einmal ein wenig lange bei meinen Berechnungen gesessen habe, und will mir nicht recht geben, daß das meine größte Erholung ist.«

»Aber der Arzt hat es Ihnen doch auch verboten,« sagte Baumann.

»Ach was, der Arzt!« rief Benno heftig. »Der glaubt auch, daß ich krank, ganz gefährlich krank wäre! Aber es ist gar nicht wahr! Ich fühle mich heute so wohl und leicht, daß ich tanzen möchte!«

»Gott gebe, daß es immer so bleibt!«

»Es wird schon. Sie sollen einmal sehen, Baumann, was wir Beide noch Alles zusammen bauen werden, und wenn Sie erst selbstständig sind, haben Sie auch nachher mehr freie Zeit. Nicht wahr, das geschieht bald?«

»In den nächsten Tagen, hoffe ich.«

»Das ist herrlich – aber hier ist die Pforte. So, nun machen Sie, daß Sie wieder in Ihr Joch kommen, und tausend Dank noch für Ihre Freundlichkeit!«

Er ließ ihn hinaus und schloß die Pforte wieder, und als Baumann zurückschaute, sah er, wie Benno, lebhaft plaudernd, am Arme seiner jungen Führerin durch den Park schritt, und noch wie sie schon hinter dem Gebüsch verschwunden waren, hörte er sein fröhliches Lachen.

3.
Ein unbequemer Besuch.

Der alte Freiherr von Wendelsheim ging eben in seinem »Studirzimmer,« das er aber kaum je zu dem Zwecke benutzte, auf und ab und rauchte dazu aus einer langen Pfeife mit Meerschaumkopf.

Es war eine hohe Gestalt, nur mit etwas schwammigem Oberkörper und eben nicht besonders ansprechender Physiognomie, obgleich er einmal ein schöner Mann gewesen sein mußte; aber das Alter rückte früh an ihn heran. Die schon etwas in's Graue spielenden Haare wurden um die fast zu flache Stirn schon dünn und spärlich, und die kleinen dunkeln Augen kniff er, nach einer häßlichen Gewohnheit, nur noch mehr zusammen. Er sah auch nie den, mit dem er gerade sprach, fest an, sondern fuhr mit den Blicken unstät über dessen ganzen Körper oder bald da, bald dort in die Stubenecken hinein, als ob er etwas suche. Uebrigens galt er für einen echten Cavalier von sogenanntem »alten Schrot und Korn« und war jedenfalls ein ausgeschulter Hofmann, wenn er auch selbst dort manchmal mit einer gewissen Derbheit coquettirte.

Allerdings sollte er früher viele gute gesellige Eigenschaften und besonders einen trockenen, wenn auch etwas bittern Humor besessen haben; jetzt war der freilich verschwunden oder doch wenigstens bei Seite gestellt, denn er verließ das Schloß selten oder nie, so lange er seinen Wohnsitz dort hatte, und in dem Schlosse, mit der bissigen Schwester zur täglichen Gesellschafterin, mußte der Humor wohl weichen, und wenn es der vorzüglichste gewesen wäre. Man konnte aber auch nicht sagen, daß er gerade mürrisch oder verdrießlich sei; er ließ die Welt eben an sich kommen und schien nur dem fast unmittelbar bevorstehenden Zeitpunkt entgegen zu harren, wo die Erbschaft ausbezahlt und damit auch zugleich die Schuldenlast getilgt wurde, die ihn jetzt zu Zeiten drückte.

Heute zogen sich aber, ganz ungleich anderen Tagen, finstere Wolken über seine Stirn, denn rechts in einem der Fauteuils lehnte sich, mit der Reitpeitsche die Stiefelschäfte klopfend, sein erstgeborener Sohn Bruno; und sonderbarer Weise zeigte er sich gerade gegen den, von dem der ganze neue Wohlstand seines Hauses ausgehen sollte, auf dem er allein basirte, fast immer mürrisch und verschlossen, und Bruno konnte sich kaum erinnern, je ein freundliches Wort von ihm gehört zu haben. Auch heute war er in nicht besserer Laune, und den Sohn, der eben erst eingetreten sein konnte, denn er hatte noch die Mütze in der Hand, mit dem Blick nur streifend, sagte er:

»Und was wolltest Du eigentlich heute? Du sagtest doch neulich, Du hättest jetzt strengen Dienst und könntest nicht abkommen.«

»Freundlich ist die Frage gerade nicht,« lächelte der Lieutenant, aber doch etwas verlegen, denn er war sich bewußt, daß die Ursache seines Besuches den Vater allerdings nicht besonders ergötzen würde; »aber – ich will Dich auch nicht lange auf die Folter spannen, Vater, und Dir rund heraussagen, was mich hergeführt.«

»Geld,« sagte der Alte trocken.

»Geld allerdings.«

»Das konnte ich mir denken; aber wofür schon wieder?«

»Ich muß den Fuchs bezahlen.«

»Und was kostet der?«

»Zweihundert Louisd'or.«

»Bist Du wahnsinnig?« rief der Vater, indem er vor ihm stehen blieb und dabei eine alte, verräucherte Silhouette fixirte, die gerade über ihm hing. »Und wer heißt Dich jetzt ein so theures Pferd kaufen? Konntest Du nicht warten?«

»Nein, denn wenn ich nicht rasch zugriff, hätte ihn Graf Bentheim gekauft; er hatte schon darauf geboten. Es ist ein prachtvolles Pferd.«

»Dann sieh' auch zu, wie Du ihn bezahlst,« knurrte der Vater und setzte seinen Spaziergang fort. »Der Verkäufer mag bis zum Termine warten; ich habe kein Geld.«

»Das geht nicht, Vater,« sagte Bruno ernsthaft, »ich muß das Geld bis spätestens morgen Abend sechs Uhr schaffen; denn ich habe mein Ehrenwort gegeben und in der Stadt schon umsonst Himmel und Hölle aufgeboten, um das Capital nur für menschliche Zinsen zu bekommen.«

»Weshalb giebst Du Dein Ehrenwort in Geldsachen?« sagte der Vater finster. »Jetzt sieh', wie Du es einlösest; ich kann Dir nicht helfen.«

»Und ließe es sich denn gar nicht machen, die paar Wochen vor der Zeit ein paar Tausend Thaler abschläglich von der Erbschaft zu bekommen?«

»Daran ist kein Gedanke; sie thun es nicht.«

»Hast Du es schon versucht, Vater?« fragte Bruno nicht ohne Spott.

»Sie können es auch nicht,« fuhr der alte Freiherr fort, ohne die Frage zu beantworten; »denn das Testament lautet auf Auszahlung erst nach dem zurückgelegten vierundzwanzigsten Lebensjahre meines Sohnes. Stürbest Du noch vorher, so müßte der Zeitpunkt erst in Benno's Alter abgewartet werden, und stürbe auch er, was Gott verhüten wolle, so wäre die ganze Erbschaft für uns verloren.«

Ein schmerzliches und doch bitteres Lächeln zuckte über das Antlitz des jungen Officiers, als er erwiederte: »Du sagtest nur bei Benno, Vater, was Gott verhüten wolle.«

»Sei nicht kindisch!« murmelte der Baron. »Wenn ich das Geld hätte, solltest Du es haben; aber das ist nicht der Fall, also kann ich Dir nicht helfen. Sieh', wie Du mit Deinem Gläubiger ein Abkommen triffst. Du mußt doch auch Uebung und Erfahrung darin haben; vielleicht hilft Dir auch die Tante – versuch' es.«

»Sie könnte, wenn sie wollte, das weiß ich,« sagte Bruno finster, »und wenn es Benno gebrauchte, würde sie sich keinen Augenblick besinnen; ich selber bin ja aber bei Euch Beiden immer der Ausgestoßene gewesen, der lästig wurde, sobald er sich nur blicken ließ.«

»Das hast Du Dir nur gedacht, kein Mensch weiter; geh' zur Tante, wenn sie Dir helfen kann, thut sie es.«

»Ich will zu ihr gehen, weil ich muß,« sagte Bruno aufstehend, »aber ich weiß vorher, daß es nutzlos ist; ich kenne meine »steinerne« Verwandte.« Und langsam schritt er aus dem Zimmer.

Der alte Freiherr folgte dem Sohne, als dieser ihm den Rücken drehte, mit den Augen, und sein Blick haftete noch fest an der Thür, als diese sich schon geschlossen. Aber es war ein häßlicher Blick, mit nicht einer Spur von väterlicher Liebe darin, ja die zusammengebissenen Lippen bewegten sich sogar, als ob er eine Verwünschung hinter ihm drein murmele; doch wurde kein Laut hörbar; nur seine buschigen Brauen zogen sich zusammen, und fest auf einander hatte er die Zähne gebissen. Er stand auch eine lange Weile so, bis draußen wieder ein Schritt auf dem Gange laut wurde. Kehrte sein Sohn zurück? Nein, es war nur ein Diener, der in der Thür stehen blieb und meldete: es sei eine alte Frau draußen, die Frau vom Schuhmachermeister Heßberger, die sage, der gnädige Herr hätte sie herausbestellt, um ihm die Hühneraugen auszuschneiden.

»Ich?« rief der Freiherr und drehte sich plötzlich auf seinem Absatze herum; »das alte Weib ist wohl – wie hieß sie?«

»Die Heßberger, Herr Baron; sie kam früher wohl manchmal heraus, ist aber jetzt die langen Jahre nicht dagewesen.«

Der Baron qualmte wieder, daß eine dicke Rauchwolke über ihm emporwirbelte, und ging mit langen Schritten auf und ab, so daß der Diener im Stillen die Beobachtung machte, arg weh thun könnten dem Herrn die Hühneraugen nicht, denn er trat wenigstens ganz herzhaft auf. Es war auch fast, als ob er den auf ihn Wartenden ganz vergessen habe, bis dieser endlich wieder fragte:

»Wie befehlen der Herr Baron? Soll ich sie vielleicht wieder fortschicken, daß sie ein andermal....«

»Laß sie hereinkommen, Christoph,« unterbrach ihn sein Herr; »wenn sie einmal da ist, mag sie meinetwegen nachsehen. Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht. Wo ist Benno?«

»Er geht unten im Garten mit dem Fräulein spazieren.«

»Es ist gut; daß Du mir nachher Niemanden hereinläßt, bis wir fertig sind!«

»Sehr wohl, Herr Baron.«

Der Diener verschwand, und es dauerte nicht lange, so klopfte es leise an die Thür, die sich auch fast augenblicklich auf das barsche »Herein« des Freiherrn öffnete.

»Sie entschuldigen, mein gnädigster Herr Baron, wenn ich vielleicht stören sollte,« sagte die alte Frau, indem sie die Thür wieder vorsichtig in's Schloß drückte; »da Sie aber gewünscht hatten....«

»Ich habe gewünscht?« rief der alte Herr, dessen Laune der Besuch wahrlich nicht gebessert zu haben schien. »Was wollt Ihr von mir, daß Ihr Euch mit einer Lüge hier hereindrängt? Was habe ich noch mit Euch zu schaffen?«

Die alte Frau Heßberger war eine hagere, etwas lange Gestalt. Sie hatte schon eisgraue Haare, eine spitze Nase und etwas zusammengezogene Lippen, auch zahllose Falten im Gesicht, aber ein Paar große, kluge, lichtblaue Augen, und ging auch sonst ganz nett und sauber angezogen. So demüthig sie dabei auftrat, lag aber doch in ihrem ganzen Wesen nichts weniger als Schüchternheit, ja fast wie mit einem leisen Anflug von Spott erwiederte sie auf die rauhe Frage:

»Ach, gnädigster Herr Baron, Unsereins muß gar oft lügen; aber nicht unserer selbst, sondern zuweilen nur der Herrschaften wegen, die wir bedienen – und was für Dank haben wir nachher davon!«

»Was wollt Ihr? macht es kurz!« fuhr der Freiherr sie an; »ich habe keine Zeit, mich lange mit Euch einzulassen.«

Die Frau antwortete nicht gleich; sie horchte erst nach der Thür, als ob sie sich vor einer Störung oder vielleicht vor einem Horcher fürchte. Endlich trat sie dem Freiherrn, der sie eben nicht freundlich betrachtete, näher und sagte mit leiser, aber vollkommen deutlicher Stimme:

»Eigentlich hatte ich geglaubt, daß der Herr Baron eine arme alte Frau, die seinetwegen viel Ungelegenheiten gehabt, nicht ganz vergessen hätte; aber Du lieber Gott, es ist einmal so der Welt Lauf, und ich will Ihrem Gedächtnisse zu Hülfe kommen. Ich bin die Frau Heßberger, die alte Kartenschlägerin aus der Stadt, und war früher, als die gnädigste Frau Baronin von einem so allerliebsten Knäblein entbunden wurden, die Hebamme bei der gnädigen Frau.«

»Was soll der Unsinn?« sagte der Freiherr finster. »Eure Person habe ich doch wohl nicht vergessen; ich denke, Ihr sorgtet schon dafür, daß das nicht geschah. Was wollt Ihr jetzt?«

»So, der Herr Baron erinnern sich also noch?« lächelte die Frau. »Nun, dann kann ich kurz zur Sache kommen, und wir brauchen keine Umschweife weiter zu machen. Sie wissen, Herr Baron – aber Sie erlauben vielleicht, daß ich mich ein bischen auf den Stuhl da setzen darf, der Weg ist weit hier heraus, und die alten Knochen wollen doch nicht mehr so recht mit fort – Sie wissen also, Herr Baron, daß jetzt die Zeit bald umgelaufen ist, wo Sie die große Erbschaft antreten – lieber Gott, Unsereins kann sich so viel Geld fast nicht einmal denken –, und wenn Sie das erst einmal haben, dann wird wohl das Gedächtniß für die arme Heßbergern ganz weg und verloren sein, und da wollte ich mir nur noch einmal vorher erlauben, ganz gehorsamst nachzufragen, ob Sie uns nicht mit einer Kleinigkeit auf die Füße helfen können. Der Verdienst ist jetzt bei den harten Zeiten so schlecht, und, Du lieber Himmel, man thut ja wohl, was man kann, und ist immer bei der Hand, aber der Neid der Menschen macht Alles wieder zu nichte. Die Herren Aerzte, wenn sie auch viele Krankheiten gar nicht curiren können, gönnen es doch einer armen Frau nicht, daß sie mit Kräutern, die sie sich mühsam im Walde sucht, und mit frommem Gebet die Bresten der Menschen lindert. Nichts als Verfolgung und Anfeindung habe ich zu leiden gehabt die langen Jahre, und seit der Zeit sogar, wo einmal das Kind der Frau Baronin Zühfel starb – du lieber Himmel, es war ein Wechselbalg und konnte nicht leben –, da haben sie mir gar das Metier verboten, und ich muß nun sehen, wie ich mich so ärmlich durchschlage durch die Welt.«

»Und was habe ich damit zu thun?« sagte der alte Freiherr finster.

»Nichts, Herr Baron, gar nichts,« erwiederte die Frau seufzend; »es ist nur unser alltägliches Elend, das wir durch's Leben schleppen müssen. Gott behüte, daß Sie damit zu thun bekämen! Wessen aber das Herz voll ist, Sie wissen ja wohl, davon geht der Mund über. Es thut mir auch leid, Ihre werthvolle Zeit damit so lange in Anspruch genommen zu haben, aber – es ging eben nicht anders. Dazu sind wir Menschen ja auch da auf der Welt, daß wir einander helfen und beistehen sollen, und ich habe das Meinige redlich gethan, Herr Baron, das Zeugniß müssen Sie mir geben – wie?«

»Ich habe Euch noch nicht das Gegentheil zum Vorwurf gemacht,« sagte der Freiherr finster; »aber....«

»Das ist hübsch von Ihnen,« nickte die Frau, und wieder zuckte das spöttische Lächeln um ihre dünnen Lippen, »und ich werde es Ihnen gedenken, so lange ich lebe; aber – schöne Worte verfliegen im Winde, wie die Spreu, denn nur das Korn fällt auf den Boden und wiegt. Bis jetzt kann Ihnen kein Mensch die Erbschaft streitig machen, Herr Baron – kein Mensch auf der ganzen Welt, und wird es auch nicht, denn eher bisse ich mir die Zunge ab, ehe Ein Wort von der Geschichte über meine Lippen käme; aber leben wollen wir Alle, und selbst der arme Bauer läßt die Kinder, wenn er sein Korn einfährt und den Segen in die Scheune führt, ein paar einzelne Aehren lesen. Sie werden wahrhaftig nicht weniger thun, Herr Baron.«

»Aber die Aehrenleser dürfen erst auf das Feld kommen, wenn das Korn eingefahren ist,« sagte der Freiherr, der schon lange verstand, auf was die Frau abzielte; »das meinige steht noch draußen.«

»Aber fertig geschnitten, beim schönsten Wetter, und die Wagen zum Einfahren bereit,« nickte die Frau, nicht so leicht abgewiesen; »ich kann auch nicht länger warten. Uebermorgen ist der Erste, und wir müssen Hauszins bezahlen; die Rechnungen sind uns außerdem über den Kopf gewachsen, denn mein Mann war lange krank und konnte das Salz nicht zu seinem Brot verdienen.«

»Macht es kurz – was wollt Ihr?« unterbrach der Baron sie ärgerlich. »Ich sehe, das Ganze läuft nur auf eine Gelderpressung hinaus. Ich sage Euch auch, Frau, heute will ich Euch noch einmal zu Willen sein; aber meine Geduld ist jetzt zu Ende – das kann so nicht fortgehen, und kommt Ihr mir dann noch einmal auf den Hof, so....«

»So? Der Herr Baron haben noch nicht ausgesprochen.« Und ihre blauen Augen hafteten in lauerndem Trotze auf ihm. Er begegnete aber dem Blicke nicht.

»Macht es kurz – wie viel braucht Ihr? Aber ich schwöre es Euch zu, es ist das letzte Mal! Nachher thut Euer Schlimmstes. Was Ihr selber dabei riskirt, wißt Ihr besser, als ich es Euch sagen könnte.«

»Es ist nicht nöthig, viel darüber zu reden,« lächelte die Alte. »Wir sind Beide nicht von gestern, Herr Baron, und wissen genau, wie weit wir gehen können; nur das ausgenommen, daß der eine Theil nichts oder doch beinahe nichts dabei zu verlieren hat und der andere eben Alles.«

»Das ist nicht wahr,« fuhr der Baron auf; »Gott ist mein Zeuge, wie ich bereue, jemals Euren Worten, Eurem Rathe gefolgt zu sein, und zehn-, ja tausendfach trage ich jetzt an der Last, die ich mir damals ganz unnützer, unnöthiger Weise aufgeladen!«

»Unnöthiger Weise, Herr Baron? Sie vergessen die Clausel.«

»Und habe ich nicht einen rechtmäßigen Erben für mein Haus – für meinen Namen?«

»Sie meinen den Baron Benno, nicht wahr? Armer Vater, sehen Sie denn nicht, daß das Kind nur ein wurmstichiger Apfel ist? Und sechs Jahre müßte er noch leben, um der Frist zu genügen.«

»Ich hoffe, daß er noch sechzig leben soll!« rief der alte Mann; »denn die Gefahr der Krankheit ist beseitigt. Heute noch war er kräftiger und gesunder als je. Seine Wangen bekommen wieder Farbe, sein Geist ist frischer, sein Körper kräftiger geworden, und wenn....«

Der alte Freiherr horchte auf, denn über den Gang kam ein hastiger Schritt; kaum fünf Secunden später wurde die Thür aufgerissen, und der alte Christoph stürzte mit einem ganz verstörten Gesicht herein.

»Was giebt's? Was hast Du?« rief ihn der Baron erschreckt an.

»Ach, gnädiger Herr Baron,« stammelte der Alte, und schon sein Gesicht kündete ein Unglück – »Sie – Sie möchten doch einmal schnell in den Garten kommen; der junge Herr Baron....«

»Benno?« schrie der Freiherr in Todesangst.

»Der junge Baron Benno hat plötzlich einen Blutsturz bekommen, und Fräulein Kathinka ist allein mit ihm.«

»Armes junges Blut!« sagte die Frau, während der alte Herr fast starr vor Entsetzen auf einem Stuhl zusammenknickte und einen Moment das Antlitz in den Händen barg. Aber es war auch nur ein Moment. Im nächsten schon fuhr er wieder empor und griff mit wild verstörtem Blick nach seinem Hut.

»Ist schon Jemand fort nach einem Arzte?«

»Der Karl sattelt eben das eine Wagenpferd; der Schimmel lahmte heute Morgen ein wenig.«

»Mein ältester Sohn ist mit seinem Fuchse hier; er soll augenblicklich selber in die Stadt jagen und einen Arzt heraussenden.«

Der Diener eilte fort, und der Baron wollte ihm nach, als sein Blick die noch dort stehende Frau traf.

»Aber jetzt – jetzt kann ich nicht!« rief er von Angst gepeinigt aus.

»Nein, Herr Baron,« sagte die Frau, mit dem Kopf schüttelnd, »jetzt gewiß nicht; ich komme wieder – morgen oder übermorgen oder in acht Tagen vielleicht – wenn die »sechzig Jahre« vorüber sind,« setzte sie leise murmelnd hinzu und verließ das Gemach und gleich darauf auch das Schloß.

Der Diener hatte übrigens den Unfall, der den armen jungen Mann getroffen, nicht übertrieben. Als der Vater mit zitternden Gliedern, aber festen Schrittes den Park durcheilte, fand er den Sohn auf dem Rasen liegend, den Kopf an Kathinka's Kniee gelehnt, deren lichtes Kleid von seinem Blute geröthet war. Er sah dabei todtenblaß aus, und die Augen hafteten mit einem ganz eigenthümlichen Glanz auf dem Nahenden.

»Benno, mein armer Benno, was ist geschehen?« rief der Baron, neben ihm niederknieend und seine Hand ergreifend. »Du bist gewiß zu rasch mit ihm gegangen, Kathinka, ich habe es Dir so oft verboten.«

Der Kranke schüttelte leise mit dem Kopf und hob mühsam die eine Hand; dann sagte er leise: »Nein, Kathinka ist nicht Schuld daran; es kam so plötzlich – ich – fühlte mich so wohl und leicht – wie lange nicht mehr. Ich war so glücklich – es ist so schön, gesund sein – und ich bin immer krank gewesen. Arme Kathinka, und wie Dein hübsches Kleid aussieht – aber ich konnte nicht dafür.«

»Mein lieber, guter Benno,« sagte das junge Mädchen bittend, »das hat ja gar nichts zu sagen; sorge Dich nur darum nicht, das wäscht sich ja Alles wieder aus.«

Der Vater hatte mit angsterfüllten Blicken den Sohn betrachtet, und die Worte schnitten ihm in's Herz. Nur erst, als Benno einen Versuch machen wollte aufzustehen, wehrte er ihm.

»Bleib' noch einen Augenblick, mein Kind,« sagte er mit herzlicher Stimme; »die Leute werden gleich mit einem Stuhle hier sein, um Dich hinaufzutragen – ich bin ihnen nur vorausgeeilt. Du darfst Dich jetzt nicht anstrengen, oder es könnte sich wiederholen.«

»Aber Kathinka wird müde mich zu halten, Papa.«

»Nein, gewiß nicht, gewiß nicht – ich könnte noch eine Stunde so knieen,« rief diese; »und dorthinten sehe ich auch schon die Leute kommen. Du darfst Dich nicht anstrengen.«

»Nun werde ich wieder diese Woche nicht mit meiner Maschine fertig,« seufzte der Knabe – »ich soll auch gar keine Freude haben! Aber da kommt auch Bruno – den habe ich recht lange nicht gesehen.«

»Und weshalb bist Du nicht fort nach dem Arzt?« rief diesem der Vater entgegen. »Was thust Du noch hier?«

»Was ich hier thue, Vater?« rief Bruno erstaunt. »Soll ich nicht selbst nachsehen dürfen, wie es dem Bruder geht?«

»Guten Tag, Bruno!« sagte der Knabe, ihm matt die Hand entgegenstreckend; »ich bin wieder einmal krank geworden.«

»Mein armer Benno – wie blaß Du aussiehst! Soll ich Dich hinauf in Dein Zimmer tragen?«

»Du wirst mir weh thun.«

»Ah, dort kommen sie ja schon mit einem Sessel,« rief Bruno; »so, das ist recht, Kathinka, laß ihn den Kopf ein wenig anlehnen. Habe nur einen Augenblick Geduld, Benno, Du sollst gleich zur Ruhe und auf Dein Bett kommen.«

Der Knabe nickte ihm freundlich zu, und Bruno sprang jetzt selber fort, um den gebrachten Stuhl so herzurichten, daß sie den Kranken gut darauf transportiren konnten. Da hinein setzten sie ihn dann, und während die Dienerschaft herbeigerufen war, um ihn langsam und vorsichtig in's Schloß zu tragen, ging Kathinka an der einen, Bruno an der andern Seite und unterstützten ihn.

Indessen war auch Bruno's Fuchs gesattelt worden, und wie er den Bruder nur erst einmal gut untergebracht wußte, eilte er hinab, sprang, ohne weder von Vater oder Tante Abschied zu nehmen, in den Sattel und ritt, seinem feurigen Thier die Sporen eindrückend, in einem scharfen Trab aus dem Schloßhof hinaus und durch das Dorf.

Am letzten Hause des Dorfes stand eine Frau, die dem Reiter, als er vorüber brauste, freundlich und fast vertraulich zunickte. Bruno kannte sie auch, es war die alte Heßberger, die er sonst wohl oft in seines Vaters Hause gesehen; er bemerkte auch vielleicht, daß sie ihn grüßte, sah wenigstens die Bewegung, hatte aber den Kopf so voll der verschiedensten Dinge, daß er gar nicht daran dachte, ihr auch nur zu danken, sondern gleich darauf, ohne ihr nur den Kopf noch einmal zuzuwenden, die breite Fahrstraße verließ und rechts ab in einen Fußweg einbog, der nicht allein die Strecke bis zur Stadt etwas verkürzte, sondern auch zwischen den Getreidefeldern einen weichen und elastischen Rasenboden für sein Thier gewährte.

Die Heßberger sah ihm mit demselben lachenden Gesicht, mit dem sie ihn vorhin gegrüßt, nach, selbst wie er schon weit von ihr entfernt durch die Kornfelder dahintrabte, bis er endlich eine kleine Erhöhung überritt und dann dahinter verschwand; und nun erst nickte sie still vor sich hin mit dem Kopf und murmelte dabei:

»Merkwürdig, merkwürdig – und man lernt doch nie im Leben aus. Sonst denkt man doch immer, es stäke im Blute und wär' angeboren – aber es läßt sich auch anerziehen, wenn es nur recht begonnen und durchgeführt wird. Ja, ja, Puppe, reite Du nur da so stolz auf Deinem hübschen Gaul, als ob Du ein König oder Kaiser wärest, und gucke die alte Frau nicht an, die den Staub von Deines Rosses Hufen schluckt. Und wenn die alte Frau wollte – doch sie will eben nicht und läßt Dich so lustig hinreiten, als ob Du wirklich alles das wärest, was Du Dir denkst. Nun, vielleicht kommt doch einmal die Zeit, wo sie Dir in den Weg tritt – und wie höflich Du dann werden wirst, mein Bürschchen, wie erstaunlich höflich!«

Bruno von Wendelsheim trabte indessen, ohne auf die Alte auch nur einen Gedanken zu wenden, scharf den Rasenpfad entlang, und das Herz war ihm so voll und schwer, der Kopf that ihm so weh vom vielen Grübeln.

Benno, sein armer Bruder, er war viel kränker, als er es je für möglich gehalten – und wer blieb ihm von all' seinen Verwandten, wenn der Knabe starb? Sein Vater? Er hatte wohl rauhe und heftige Reden oder Ermahnungen, nie aber ein Wort der Liebe von seinen Lippen gehört. Seine Tante? Er biß die Zähne fest auf einander, wenn er nur an das letzte Begegnen mit ihr dachte, wo sie ihn ordentlich mit Hohn abgewiesen. Hatte sie Liebe zu ihm? Wahrlich nicht! Und vor sich hin schüttelte er still den Kopf, wenn er daran dachte, wie groß der Haß gegen ihn sein müsse, daß sie sich nicht einmal aus Klugheit freundlicher gegen ihn benahm.

Seinem Fuchs hatte er dabei die Zügel gelassen; er mußte bald in der Stadt sein, einestheils seiner eigenen Angelegenheit wegen, anderntheils aber auch, um den Arzt so rasch als nur irgend möglich nach Wendelsheim hinauszusenden. Wie er so auf dem schmalen Weg dahin trabte – und der Fuchs war eigentlich halb mit ihm durchgegangen, denn der Reiter bekümmerte sich gar nicht mehr um seine Führung –, machte der Weg, gerade an einer niedern Stelle, wo das Korn außerordentlich hoch stand, eine scharfe Biegung, und als Bruno dahinflog, sah er plötzlich einen Fußgänger vor sich, der auf dem weichen Rasen das nahende Pferd gar nicht gehört hatte und jetzt kaum noch Zeit genug behielt, um zur Seite zu springen. So dicht an ihm vorbei aber schoß der Fuchs, daß Bruno den Fremden, in dem er jetzt den jungen Baumann erkannte, noch mit dem Knie streifte. Er versuchte auch sein Pferd einzuzügeln, um sich zu entschuldigen; aber es war nicht möglich. Der Fuchs hatte das Gebiß zwischen die Zähne genommen und setzte in eine ordentliche Carrière ein, daß Kies und Rasenstücke hinter ihm emporstiebten. Bruno mußte ihn eben laufen lassen, und wenige Minuten später erreichte er schon die Thore der Stadt, wo er das wilde Roß erst wieder in seine Gewalt bekam.

4.
Die elende Familie.

In der Lindenstraße, aber ziemlich weit draußen, so daß der Garten mit seiner Rückseite schon an die dort beginnenden Felder stieß, lag das Grundstück des alten Majors a. D. von Halsen, der da mit einer alten Verwandten, die ihm das Hauswesen führte, einem Gärtner, einer Köchin und einem alten Stubenmädchen wirthschaftete.

Das Haus selber war groß und massiv gebaut und in den oberen Räumen wirklich herrschaftlich eingerichtet, der Garten parkähnlich, mit einem großen Treibhause und dem kostbarsten Obst darin, und der Besitzer galt für reich, aber für einen Sonderling, der sich hier von der Welt vollkommen abzuschließen schien. Er hatte es allerdings sehr gern, wenn ihn Jemand besuchte und eine Stunde mit ihm verplauderte, denn die Langeweile quälte ihn oft fürchterlich; er selber aber machte nie einen Besuch, außer in letzter Zeit häufig bei dem Staatsanwalt Witte, mit dem er besonders viel und heimlich zu verkehren hatte.

Uebrigens fanden sich nur Wenige, die dann und wann das »Lazareth,« welchen Namen das Haus schon in der ganzen Stadt erhalten, betraten, denn es bot sehr wenig Anziehendes, und der Major selber, ohne die geringste gesellschaftliche Tugend, war ein so unliebenswürdiger Gesell, daß man ihm immer lieber aus dem Wege ging, als ihn in seiner Höhle aufsuchte. Es sah auch noch dazu selbst ungemüthlich bei ihm aus.

Schon der Garten war wie ein Nonnenkloster mit einer zehn Fuß hohen und sehr dicken Mauer, in die nicht einmal eine Gitterthür einen Einblick gestattete, umschlossen. Ebenso wurden alle nach der Straße führenden Fenster, wenn nicht das Logis einmal gereinigt werden mußte, fest verhangen gehalten, und das Wohnzimmer des Majors selber, wo er auch seine sämmtlichen Besuche empfing, glich eher der Wohnung eines Tagelöhners oder ärmeren Bürgers, als der eines reichen Mannes aus den höheren Ständen.

Die obere Etage war, wie schon erwähnt, sehr elegant eingerichtet, aber nur wenige Menschen hatten sie einmal zufällig zu sehen bekommen und sie wohl kaum je betreten. Das untere Zimmer dagegen, das, mit der Küche dicht daneben, nach dem Garten zu hinausführte, zeigte nicht die geringste Bequemlichkeit, einen alten, mit abgeschabtem Leder überzogenen Lehnstuhl ausgenommen, noch viel weniger Eleganz. Die Wände waren nicht einmal tapeziert, sondern nur gemalt, die Dielen weiß, mit Sand bestreut. Ein großer Tisch aus Tannenholz stand in der Mitte, und zwei hölzerne, zwei Rohrstühle und ein vereinzelter aus Kirschbaumholz zierten die Ecken. Auch das Buffet war nichts weiter als ein lackirter Holzschrank, und das Sopha unter dem kleinen, schwarz umrahmten Spiegel so furchtbar hart und zusammengesessen, daß man sich erst dann ausruhte, wenn man wieder davon aufstand.

Als Verzierung befanden sich allerdings drei Lithographien in schwarzen Rahmen im Zimmer, aber sie paßten zu den Bewohnern. Die eine stellte ein Schlachtfeld mit schrecklich Verstümmelten und Todten vor, die andere das Martern und Verbrennen verschiedener Ketzer im Mittelalter, und die dritte jenes bekannte Pferd, an welchem alle nur erdenklichen Pferdekrankheiten mit Nummern angedeutet und darunter auch die Namen genannt werden.

Nicht einmal Gardinen zeigten die Fenster, ein paar zerwaschene Lappen ausgenommen, die oben darüber angebracht waren und weit eher so aussahen, als ob sie dort zum Trocknen aufgehangen wären. Ueberhaupt das ganze Zimmer machte den Eindruck der Dürftigkeit, und doch schien sich der alte Major wunderlicher Weise nur gerade hier wohl und zufrieden zu fühlen, wenn er das überhaupt je gethan hätte. Er gehörte aber leider zu jenen Menschen, die eigentlich die größte und jede Ursache gehabt hätten, gegen Gott dankbar zu sein, aber sich dabei allein für schlecht und nichtswürdig behandelt hielten, und nun schon darüber, weil sie keine gegründete Ursache zur Klage auffinden konnten, ärgerlich und verdrießlich durch das Leben stöhnten.

Eine Verwandte von ihm, die verwittwete Frau von Bleßheim, lebte mit in dem nämlichen Hause, und ein besser zusammenpassendes Paar hätte es auf der Welt nicht geben können. Das mußte sie auch allein bewogen haben, dieses »Lazareth« zu ihrem Aufenthaltsort zu wählen, wo sie »angeblich« dem Major die Wirthschaft führte, in Wirklichkeit aber nur mit ihm stöhnte und ächzte.

Sie war allerdings schon ziemlich hoch in den Jahren und von kränklichem Körper, und würde mit dem Vermögen, das sie besaß, recht gut und bequem haben leben können, aber sie mochte nicht allein sein. Sie fühlte das dringende Bedürfniß, nicht allein bedauert zu werden, sondern auch Jemanden zu haben, den sie bedauern konnte, dem es wenigstens nicht besser ging, als ihr selber. Das Lamentiren gehörte mit zu ihrem Leben, ja bildete fast ihre einzige Unterhaltung, und da sie gefunden, daß sie gesunden Leuten damit endlich lästig fiel und unerträglich wurde, so war der alte Major ihre letzte Zufluchtsstätte geworden. Dort konnte sie in ihrer Leidenschaft grünen und blühen, und fand sogar in der Dienerschaft Mitleidende.

Der Major saß auf seinem gewöhnlichen Platz, dem alten Lehn- oder Sorgenstuhl, hielt das Morgenblatt, seine einzige Lectüre, in der Hand und stöhnte. Ihm gegenüber, an einem in die Ecke geklebten dreieckigen Schranke, stand Frau von Bleßheim und nahm einiges Geschirr heraus.

»Ach Du mein großer Gott,« seufzte sie dabei vor sich hin, »o Du mein lieber Himmel!«

»Ah–h!« stöhnte der Major aus seiner Ecke. »Aber was hast Du nur heute, Rosamunde? Was fehlt Dir denn?«

»Mir? Ach du großer Gott, und das fragst Du auch noch?« lautete die Antwort. »Alle Glieder sind mir wie zerschlagen, und mein Herz klopft mir so furchtbar, daß ich es ordentlich an den Rippen fühle!«

»Ach, was Du auch immer hast,« ächzte der Major, »ewig winseln und lamentiren! Was soll ich denn da sagen, wie mir zu Muthe ist?«

»Ich wollte nur, ich wäre so gesund wie Du!« seufzte die gnädige Frau.

»O du meine Güte, versündige Dich nicht!« rief der Major und ließ vor Erstaunen über den entsetzlichen Wunsch die Zeitung sinken. »Sitz' ich denn hier nicht in dem verdammten alten Stuhl mit allen Fehlern und Leiden behaftet, wie das Pferd da drüben an der Wand, und es fehlte weiter nichts, als daß ich numerirt würde über den ganzen Leib, um sie nachher auch auf einer Tabelle neben einander zu haben! Du so gesund wie ich, wünschest Du Dir – es ist rein zum Todtschießen, wenn man nur so etwas mit anhören muß!«

Die alte Dame schwieg und stöhnte nur leise weiter, als die Köchin, mit einem dicken, weißen Tuch um die Backen – denn sie hatte ewig Zahnschmerzen – in's Zimmer trat, um die Schüsseln herauszuholen. Diese faßte sie unter den linken Arm, mit der Rechten hielt sie sich die Backe.

»Ist der Christian noch nicht wieder da, Liese?« fragte der Major, ohne von ihren Schmerzen weitere Notiz zu nehmen. »Der bleibt auch wieder eine Ewigkeit! Kein Mensch kommt hieher, um Einen im Elend zu besuchen; nur amüsiren wollen sich die Leute, tanzen und vergnügt sein, ja wohl, aber an einen armen Mitmenschen denken sie eben so wenig, wie an ihr einstiges Seelenheil!«

»Der Christian kann auch selber nicht fort,« sagte die Liese mürrisch. »Der Rheumatismus ist ihm die Nacht wieder in's Kreuz geschlagen, und er geht ja so krumm wie eine Tischbürste.«

»Ach, der hat auch immer was!« stöhnte der Major.

»Ja wohl,« sagte die Liese; »es soll auch schon gar Niemand weiter krank sein, wie Sie ganz allein. Wenn ich nur den Jammer hier im Hause nicht mehr mit ansehen müßte!«

»Na, meinethalben kann Sie gehen,« fuhr da der Major auf, »ich halte Sie nicht, wenn Sie's hier gar so schlecht hat! Ich will Niemanden zwingen, bei einem armen und kranken Manne zu bleiben; ich kann mich auch allein in eine Ecke auf's Stroh legen und verrecken, wen kümmert's – keinem Teufel würde ein Auge drum naß werden! Ach Du lieber Gott, ist das ein Elend auf der Welt!«

Die Köchin, der schon seit zwanzig Jahren alle Tage wenigstens zweimal der Dienst gekündigt wurde, verließ brummend das Zimmer, und die beiden Verwandten waren wieder eine Zeit lang allein, bis die Thür endlich aufging und der lang erwartete Christian hereintrat.

Christian paßte vollkommen in die Gesellschaft. Er lahmte vollständig, trug dabei einen dicken, wollenen und sehr bunt gestopften Strumpf um den Hals und hielt den Oberkörper ganz gebückt oder vielmehr krumm und nach der rechten Seite hinübergezogen.

»Na, Christian,« sagte der Major, indem er den Kopf nach ihm hindrehte, »wie seht Ihr wieder aus – wie ein wahres Jammerbild! Geht nachher nur hinaus und stellt Euch in die Erbsen, denn weiter werdet Ihr doch wohl keine Arbeit thun können!«

»Ja, Sie spotten noch,« sagte Christian; »wenn Sie das Kreuz hätten...«

»Und ich tausche augenblicklich!« rief der Major, schon von dem Gedanken entrüstet, daß Jemand ein schlimmeres Kreuz haben sollte, als er selber. »Wenn Euch aber nur ein Finger weh thut, dann möchtet Ihr Euch gleich in Baumwolle einwickeln! War der Staatsanwalt zu Hause, und kommt er? Ich kann ja nicht ausgehen!«

»Ja, er käme gleich,« knurrte der Mann, »und ich glaubte, er wäre schon da; er ging mit mir zur Thür hinaus, und ich bin nur den Weg hieher gekrochen, ich konnte nicht mehr fort – da ist er auch schon.«

Draußen ging in der That die Saalthür auf, und es pochte gleich darauf an; aber es war nicht der Erwartete, sondern ein alter Freund des Majors, der »Rath Frühbach,« wie er in der Stadt genannt wurde, der mit einem sonoren: »Nun, mein lieber Herr Major, wie geht's heute Morgen?« den Hut schon von draußen in der Hand, in das Eß-, Wohn- und Empfangszimmer eintrat.

Rath Frühbach war einer von den Menschen, die der liebe Gott nur auf die Erde gesetzt hat, um sich hier zu amüsiren, aber etwa in der Art, wie eine Stechfliege, die sich von dem Blute ihrer Mitgeschöpfe nährt und dabei äußerst wohl befindet. Allerdings war er nicht blutgieriger Art, wenn er auch daheim über seinem Schreibtische einen Cavallerie-Säbel und eine Doppelflinte hangen hatte; aber er benutzte die beiden letzteren so wenig wie den ersteren, und seine einzige sichtbare Beschäftigung auf der Welt war: seinen linken Arm auf den Rücken spazieren zu tragen und Geschichten oder vielmehr Anekdoten ohne Pointe zu erzählen. Von denen stak er aber bis zum Rande voll, und man brauchte ihn nur anzutupfen, so entlud sich schon das Eine oder Andere über den nächsten, besten Unglücklichen, ja, sie kamen sogar ohne Antupfen, er schwitzte sie ordentlich aus, und konnte in dieser Eigenschaft, besonders beschäftigten Leuten, furchtbar werden. Dazu kam, daß er sehr laut, aber sehr langsam sprach – er hatte immer Zeit –, und wo er einmal ein Opfer fand, konnte man sich auch darauf verlassen, daß er es festhielt und zu würdigen verstand. Leicht war er nie im Leben abzuschütteln. »Herr Rath« wurde er ebenfalls in der ganzen Stadt genannt, und seine Frau im natürlichen Weltlauf »Frau Räthin,« was sie den Dienstboten gleich beim Anzuge selber sagte. Was für ein Rath er aber sei, konnte Niemand erfahren oder herausbekommen, und da der Mann das Interesse auch wirklich nicht besonders in Anspruch nahm, so bemühte sich Niemand deshalb. »Herr Rath« war außerdem kürzer als »Herr Frühbach.«

Wie er nach Alburg kam, hatte er den Major, den er von Schwerin aus kannte, wohl dann und wann gesprochen, aber selten aufgesucht. Dessen Haus bot zu wenig Genüsse, und er war in der Stadt noch nicht bekannt, also auch nicht gefürchtet. Wie er sich aber erst einmal entwickelte, einzelne Spaziergänger überfiel und sich an sie hing, ja, Leuten, die ihm vertrauensvoll genaht, sogar auf's Zimmer rückte und ihnen so lange Geschichten erzählte, bis sie verzweiflungsvoll in Rock und Stiefeln fuhren und einen wichtigen Ausgang vorschützten, da fing es ihm an schwerer zu werden, Opfer für seine Anekdoten zu finden, und nun fiel ihm der alte Major als passendes Lamm in die Hände. Damit war denn auch Beiden geholfen, denn der Major wollte nur erzählen hören, was auch immer, blieb sich gleich, ja er wußte oft nicht einmal, von was gesprochen wurde. Frühbach dagegen wünschte sich nur mitzutheilen, und die alte Dame ging dann um Beide herum und seufzte oder machte draußen der Liese Umschläge auf ihren Backen. Ein Topf mit Camillenthee kochte wenigstens permanent das ganze Jahr und Winter und Sommer auf dem häuslichen Herde des Majors.

»Ah, mein lieber Rath,« sagte der Major, doch einigermaßen enttäuscht, »ja, wie soll's gehen – wie es einem armen, kranken Menschen gehen kann, dem der Tod schon im Nacken sitzt. Ich athme eben noch, das ist etwa Alles, was ich von mir rühmen kann.«

»Bei Athmen,« sagte der Rath, indem er seinen Stock und Hut, wie gewohnt, in die Ecke stellte, »fällt mir.... – ach, ergebenster Diener, Frau von Bleßheim, freue mich, Sie so wohl zu sehen!«

»Wohl? Ach Du lieber Gott, ich kann die Glieder kaum fortschleppen!«

»Fällt mir eine komische Geschichte ein,« fuhr der Rath fort, ohne auf den Krankheitszustand der Dame weitere Rücksicht zu nehmen. »Denken Sie, ich sitze eines Abends noch spät an meinem Schreibtische und arbeite, und meine Frau war schon zu Bett gegangen, denn sie ist kein Freund vom langen Aufbleiben. Auf einmal, wie ich horche, um die Uhr draußen schlagen zu hören – wir haben eine Schwarzwälder Uhr, die immer auf dem Gange hängt, weil es für das Mädchen in der Küche bequem ist, wenn sie sehen kann, welche Zeit es ist –, da athmete 'was im Zimmer, und zwar lang und schwer. Nun sehen Sie, Herr Major, ich bin wahrhaftig nicht ängstlicher Natur und habe ja auch immer meine Waffen über dem Schreibtisch hangen, wenn je einmal etwas vorfallen sollte, aber im ersten Augenblicke lief mir's doch ordentlich kalt über den Leib, und mein erster Gedanke war: Da hat sich ein Kerl hereingeschlichen und liegt unter dem Sopha. Ich nicht faul, meinen Säbel von der Wand und mit der Lampe unter das Sopha geleuchtet; aber es lag nichts darunter. Ich sehe mich im ganzen Zimmer um, und es war eigentlich nirgends mehr ein Raum, wo sich ein Mensch hätte verstecken können. Auf einmal höre ich etwas klopfen, und zwar von meinem Schreibtische her, und wie ich mich jetzt dorthin drehe, was ist da? Mein Hund, der verwünschte Jagdhund, der sich hereingeschlichen haben muß, ohne daß ich ihn bemerkte, und der jetzt ganz vergnügt, weil ich aufstand, mit dem Schwanze wedelte und dabei gegen den Schreibtisch schlug.«

»Ja,« sagte der Major, der indessen die ganze Zeit an den Staatsanwalt gedacht hatte und ob der noch nicht käme, »er wird wahrscheinlich noch beschäftigt gewesen sein.«

»Gott bewahre,« versicherte der Rath, »er hatte geschlafen und ich das Athmen gehört, und weil er unter dem Schreibtische lag, klang es so curios, als ob es von dem Sopha herkäme.«

»Wie geht es denn Ihrer Frau Gemahlin?« sagte die gnädige Frau.

»Ah, ich danke Ihnen, Frau von Bleßheim, recht gut! Es ist merkwürdig, wie sich die Frau auf den Füßen hält, und immer thätig, immer auf dem Zeuge, und doch den vielen Aerger dabei! Ich versichere Ihnen, mit den Dienstboten ist gar nicht mehr auszukommen, wir haben nun in diesem Jahr schon das fünfte Mädchen...«

»Da kommt er,« sagte der Major, der indessen draußen einen Schritt gehört hatte. Gleich darauf klopfte es auch wieder, und auf sein rasches »Herein!« trat der Staatsanwalt in's Zimmer.

»Guten Morgen, Major, guten Morgen, gnädige Frau! Ah, da ist ja auch der Herr Rath Frühbach! Wie geht's, Rath?«

»O, ich danke Ihnen, Herr Staatsanwalt, so ziemlich! Ich erzähle eben der gnädigen Frau...«

»Nun, lieber Major, Sie hatten mich rufen lassen, ich habe eben nicht viel Zeit und noch einen Termin abzuhalten, den ich nicht gern versäumen möchte...«

»Wie es mir beinahe einmal gegangen ist,« sagte der unverbesserliche Rath Frühbach. »Denken Sie, ich hatte in einer wichtigen Angelegenheit – es betraf das Vermögen einer Wittwe in Schwerin, deren Mann nach Konstantinopel gegangen und an der Cholera gestorben war, und die Stadt hatte die Sache zu besorgen – einen Termin angesetzt bekommen, um elf Uhr Morgens, und es verstand sich von selbst, daß ich den einhalten mußte, wenn ich das Ganze auch nur aus Gefälligkeit that. Ich ziehe mich also an, und da es noch ein wenig früh war, schlendere ich langsam über die Promenade dem Rathhause zu. Unterwegs treffe ich aber den früheren Minister von Bassefeld, einen alten Freund von mir, und ich bleibe natürlich stehen; wir kommen in's Plaudern und erzählen uns so einige interessante Sachen aus früheren Zeiten. Wie ich aber noch so dastehe, schlägt es ja wahrhaftig Elf, und ich hatte noch reichlich zehn Minuten zu gehen. Ich sage Ihnen, so rasch bin ich in meinem ganzen Leben nicht ausgeschritten! Der Minister lachte ordentlich, wie er mich fortlaufen sah, aber ich kam doch noch eben zur rechten Zeit auf's Amt.«

Witte hatte wie auf Kohlen gestanden und wiegte sich immer von einem Fuß auf den andern.

»Könnten wir denn nicht vielleicht hinauf in eins der Zimmer oder in den Garten gehen,« sagte er jetzt, »um unsere Sache abzumachen? Ich habe nicht lange Zeit, Major....«

»Ach, Sie wollen etwas mit einander besprechen,« sagte der Rath, »ja, dann will ich Sie lieber allein lassen. A propos, Herr Major, haben Sie denn die Aepfelwein-Cur begonnen, die ich Ihnen das letzte Mal anrieth? Sie glauben gar nicht, wie segensreich das auf die Eingeweide wirkt. Ich fühle mich immer ungeheuer erleichtert danach und bin auch überzeugt, daß es eine Umwandlung im ganzen Blut hervorbringt....«

»Also was war es, Major?« rief der Staatsanwalt, der ungeduldig wurde und schon nach der Uhr sah. »Ich muß wahrhaftig wieder fort, wenn Sie nicht reden!«

»Rechtshändel,« sagte Frühbach, indem er nach seinem Hut und Stock ging, »müssen unter vier Augen abgemacht werden, und ein Dritter ist dabei das fünfte Rad am Wagen. Also Adieu, lieber Herr Major – leben Sie recht wohl, Frau von Bleßheim! Bald hätt' ich auch noch vergessen, daß ich Sie von meiner Frau grüßen sollte, und wenn ich wiederkomme, bringe ich Ihnen auch das Recept zu den Umschlägen mit; heute habe ich wirklich nicht daran gedacht. Solche Recepte sollte man übrigens immer bei sich führen, denn man weiß nie, wie man Jemandem damit helfen kann. So ging es mir einmal, da fuhr ich von Schwerin nach Wasmuhlen – damals hatten wir noch keine Eisenbahn – (der Staatsanwalt lief, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab und sah nach der Decke hinauf), und in Wasmuhlen, gleich im ersten Hause, wo ich abstieg, lag eine Frau, die ich recht gut von früher her kannte, und hatte furchtbare Krämpfe, und kein Arzt war aufzutreiben. Aber glücklicher Weise trug ich ein ganz vortreffliches Recept für solche Fälle, das mir der berühmte Schönlein, ein alter Jugendfreund von mir, einmal gegeben, bei mir in der Brieftasche, ging gleich selber in die Apotheke, ließ es zubereiten, und die Krämpfe verloren sich. Aber die Herren haben zu thun – also guten Morgen allerseits! Wenn ich Zeit habe, komme ich vielleicht morgen einmal wieder vor und sehe nach, wie es geht. Fangen Sie nur mit dem Aepfelwein an, Major.«

»Herr Du mein Gott,« rief der Staatsanwalt, als der Rath kaum die Thür hinter sich zugedrückt hatte, »ist das ein langweiliger Peter! Der Mensch bringt Einen ja rein zur Verzweiflung! Ich begreife nicht, wie Sie den, zu allen Ihren übrigen Leiden, auch noch ertragen können, Major!«

»Du lieber Gott,« sagte dieser, »es ist ein seelenguter Mensch, und vertreibt mir manchmal eine Stunde die Zeit.«

»Schlägt sie todt, ja,« nickte Witte; »aber nun heraus mit der Sprache, denn ich habe wirklich wenig Zeit.«

»Also vor allen Dingen,« sagte der Major, »haben Sie den Schlosser Baumann gesprochen?«

»Ja, aber Ihre Nachricht, so weit es die Familie betrifft, war vollkommen unbegründet. Schlosser Baumann, außerdem ein anerkannt rechtlicher Mann, der nie zu einer Schurkerei die Hand bieten würde, wohnt noch in dem nämlichen Hause, das er von seinem Vater ererbte, und hat dort hinein vor etwa sechsundzwanzig Jahren geheirathet. In derselben Kirche, in der er getraut wurde, sind auch seine sämmtlichen Kinder getauft; und ich habe selber das Kirchenbuch nachgesehen, und Ihre Nachricht, die Sie mir gaben, ist vollkommen falsch. Seine ältesten Kinder sind lauter Jungen, er hat nur ein einziges Mädchen von noch nicht sieben Jahren. Der älteste Sohn ist Werkführer beim Mechanikus Obrich, der zweite arbeitet mit dem Vater, der dritte ist bei einem Tischler in der Lehre. Seine Kinder sind außerdem alle gesund und am Leben geblieben, daß also auch mit einem Todesfalle keine Schmuggelei vorgefallen sein konnte. Wie kamen Sie überhaupt auf die Familie?«

»Weil die Heßberger, die damalige Hebamme der Baronin Wendelsheim, die Schwester von des Schlossers Frau ist,« sagte der Major. »Und wie ich neulich zufällig hörte, daß die Baumann ihr erstes Kind, ein Mädchen, gleich wieder verloren hätte, war doch nichts natürlicher, als nach dieser Richtung hin Verdacht zu fassen.«

»Es ist aber, wie ich Ihnen sage, nicht wahr, denn ich habe mich selber überzeugt. Ein blankes altes Weibergeschwätz, mit dem Sie keinen Hund hinter dem Ofen vorlocken. Sie sind nun einmal auf die Ihnen entgangenen fünfzigtausend Thaler verbissen und können die fixe Idee nicht los werden, daß bei der Geburt des Erben irgend eine Täuschung stattgefunden haben müsse. Aber so lange Sie dafür weiter nichts beibringen können, als Ihre eigene Ueberzeugung, hilft Ihnen das gar nichts. Beweise müssen wir haben, kalte, trockene Beweise, keine hitzköpfigen Verdächtigungen, sonst will ich wenigstens mit der ganzen Sache nichts zu thun haben.«

Der Major hatte, beide geballte Hände auf der Lehne seines Stuhles liegend, still und verbissen zugehört, und Witte in der That Recht, denn der Major war eben jener, damals junge und etwas lockere Officier von Halsen, der, im Falle der Baron von Wendelsheim ohne männlichen Erben blieb, fünfzigtausend Thaler von der Erbschaft auf seinen Antheil bekommen haben würde, wobei sich natürlich denken ließ, daß er, mit einem solchen einmal gefaßten Verdacht, Alles aufbieten werde, um sein Ziel zu erreichen. Er war auch in der That die langen, dazwischen liegenden Jahre nicht müssig gewesen und bald auf dieser, bald auf jener Fährte laut geworden, aber immer ohne Resultat, bis er es endlich aufgab. Nur das Heranrücken des entscheidenden Zeitpunktes, der vierundzwanzigste Geburtstag des jungen Erben, rüttelte ihn noch einmal aus seiner Lethargie auf, um einen letzten, verzweifelten Versuch zu machen, um dem alten Baron, den er ärger als die Sünde haßte, den fetten Bissen vor dem Munde wegzuschnappen.

»Beweise, Beweise,« knurrte er vor sich hin; »wenn ich nur das verdammte Wort gar nicht mehr hören müßte. Aber Sie sollen auch Beweise haben, und deshalb gerade ließ ich Sie heute zu mir rufen.«

»Da wär' ich begierig,« sagte Witte.

»Wir haben,« berichtete der Major, »vor etwa sechs Monaten ein Hausmädchen angenommen, mit dem wir die ganze Zeit sehr zufrieden waren. Sie that ruhig und unverdrossen ihre Arbeit, und wir bekümmerten uns auch gar nicht darum, wo sie früher in Dienst gestanden. Heute Morgen nun wischt sie im Zimmer ab, und da mich die Langeweile plagte....«

»Aber das brauch' ich ja Alles nicht zu wissen!«

»Lassen Sie mich doch nur ausreden – knüpfe ich also ein Gespräch mit ihr an und erfahre dabei, daß sie, bald nach der Vermählung des Freiherrn von Wendelsheim, als Kammermädchen in Diensten der gnädigen Frau gestanden und drei Jahre bei ihr gewesen sei, also auch in der Zeit ihrer ersten Niederkunft....«

»Hm, und weiter?«

»Nachher wurde sie schlecht behandelt – sie behauptet, die gnädige Frau wäre eifersüchtig auf sie gewesen und habe sie plötzlich fortgeschickt. Es muß jedenfalls etwas vorgefallen sein, denn sie spricht nur in den bittersten Ausdrücken von allen Beiden und behauptet dabei, in jener Nacht sei nicht Alles mit rechten Dingen zugegangen.«

»Aber ich will gar nicht wissen, was sie behauptet. Welche Beweise bringt sie dafür? Das Geschwätz haben wir schon seit vierundzwanzig Jahren gehabt, und es konnte nachher doch Niemand auftreten und sagen: ich weiß etwas; es hieß nur immer: ich vermuthe.«

»Ich fragte natürlich weiter,« fuhr der Major fort, »und sie erzählte, daß an dem nämlichen Abend mit der Hebamme Heßberger ein Mann, der etwas unter dem Arm getragen habe, nicht vorn herein, sondern durch den Park gekommen sei und sich dort aufgehalten habe; ja, der Gärtner wollte sogar gehört haben, daß es ein kleines Kind gewesen sei, denn es hätte geschrieen.«

»Und kann er das beschwören?« fragte Witte. »Und wenn er es selbst beschwören könnte, was hälfe es? Aber weiter! Was sonst noch?«

»Da lief plötzlich der Ruf durch's Schloß, die gnädige Frau habe einen Knaben bekommen; der Freiherr kam selber heraus auf die Treppe und schrie es den Leuten jubelnd zu, und dann wurde Hurrah geschrieen, und Wendelsheim vertheilte Wein unter die Leute...«

»Und ist das Alles?«

»Aber die Heßberger soll selber in der Zeit auf der dunkeln Treppe gewesen sein, so behauptet die Frau wenigstens.«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Major,« rief der Staatsanwalt, »ich werde aus Ihrer ganzen Erzählung nicht klug, denn Sie mengen alte Geschichten und neu Erfahrenes bunt durch einander! Wir können die Sache deshalb vereinfachen. Wo ist die Person?«

»Draußen in der Küche.«

»Rufen Sie sie herein.«

»Sie wird aber nicht in Ihrer Gegenwart reden wollen....«

»Und weshalb nicht? Sie braucht oder soll gar nichts weiter sagen, als was sie selber gehört und gesehen hat; ich will auch nichts weiter wissen und kann nichts Anderes gebrauchen. Lassen Sie die Person nur einmal hereinkommen.«

Der Major griff nach der neben seinem Stuhl hangenden Klingel und zog daran, und gleich darauf steckte die bezeichnete Frau den Kopf in die Thür und fragte, was sie solle.

»Kommen Sie einmal her, Frau Meier,« sagte der Major.

»Aber ich kann ja nicht, ich sehe so schrecklich aus!«

»Macht nichts,« lachte der Staatsanwalt, »wir sind alle Zwei ein paar alte Knaben und haben unsere Herzen schon lange, der Eine verloren, der Andere eingetrocknet. Wir wollen Sie nur bitten, uns ein paar Fragen zu beantworten.«

»Fragen beantworten?« wiederholte die Frau mißtrauisch, indem sie, in's Zimmer tretend, sich noch die Hände an ihrer Schürze abtrocknete.

»Sie haben früher bei der Frau Baronin Wendelsheim in Dienst gestanden, wie?«

»Ja,« nickte die Frau; »das hab' ich ja schon dem Herrn Major erzählt.«

»Schön. Sie waren also auch dort, wie der erste Knabe geboren wurde, wie?«

»War ich auch. Aber weshalb?«

»Liebe Frau,« sagte der Staatsanwalt ruhig, »es handelt sich hier nur darum, von Ihnen die Bestätigung oder Nichtbestätigung eines alt gefaßten Verdachts zu bekommen. Sie selber haben natürlich gar nichts damit zu thun, und es ist nur die Frage, ob Sie vielleicht irgend ein Interesse dabei hätten, etwas zu verschweigen, was mit jener Sache in Verbindung steht.«

»Ich,« sagte die Frau halb beleidigt, »was sollte ich für ein Interesse dabei haben? Ich bin mir nichts Schlechtes bewußt und kann jedem Menschen frei und offen in die Augen sehen.«

»Wollen Sie mir also das genau erzählen, was Sie heute Morgen dem Herrn Major erzählt haben?«

Die Frau zögerte. »Was geht's mich an?« sagte sie endlich. »Was Einen nicht juckt, soll man nicht kratzen. Ich will mit der ganzen Gesellschaft nichts weiter zu thun haben.«

»Das sollen Sie auch nicht, liebe Frau,« sagte der Staatsanwalt ruhig; »aber wissen Sie, wer ein geschehenes Unrecht verheimlicht, nimmt indirect selber Theil daran, er mag sonst noch so unschuldig sein.«

»Aber ich weiß von keinem Unrecht,« sagte die Frau; »ich habe nur erzählt, was ich an dem Abend gesehen, und – hätte auch vielleicht mein Maul besser gehalten. Ueber die Geschichte ist Gras gewachsen, und Todte können doch nicht wieder lebendig werden.«

»Todte?« fragte der Staatsanwalt, indem er sie scharf dabei ansah.

»Nun, ich weiß nicht, wie's damals gewesen ist,« sagte die Frau, vielleicht selber unwillig darüber, daß sie schon so viel gesprochen. »Dem Herrn Major hab' ich's aber einmal erzählt, und wenn Sie's auch wissen wollen, weshalb fragen Sie denn nicht den darum?«

»Da haben Sie recht,« lenkte der Staatsanwalt ein, »und die Hauptsache weiß ich ja nun doch; es war mir nur nicht glaublich, daß der Freiherr selber in der Nacht sein Kind hätte forttragen können.«

»Das hab' ich auch nicht gesagt, Herr Major,« rief die Frau rasch, »keine Silbe davon! Wie das Kind aber geboren war, ließ die Heßberger damals die Wartefrau, eine Verwandte von ihr, mit der sie dicke durchsteckte, oben allein bei der Wöchnerin und der »Tante« und ging in den Hof hinunter, so viel ist sicher, denn das habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen. Sie trug auch etwas unter dem Mantel und kam ebenso zurück, und wir Alle haben viel darüber gesprochen, denn so eine Frau gehört in der Zeit in das Wochenzimmer und nicht in den Hof. Die Leute im Hause meinten auch damals, es sei gar kein Knabe gewesen, sondern ein Mädchen, und der Herr Baron hätte es nur so verkündet; aber nachher stellte es sich doch heraus, daß es ein prächtiger Junge war, der ja auch gut gediehen und groß und stark geworden ist. Das wär' Alles, was ich darüber sagen könnte.«

»Und wer war der Mann, der damals mit jener Frau in den Park kam?«

»Und woher sollt' ich das wissen?« sagte die Frau. »Ich habe ihn gar nicht einmal gesehen, und das Volk im Hause, oder vielmehr der Gärtner, meinte freilich, es wäre der Schuster Heßberger, der Heßberger ihr Mann, gewesen; aber wer kann's sagen! Dunkel war's ebenfalls und regnete die ganze Nacht hindurch, und nachher kümmerte sich auch weiter Niemand um ihn, denn in dem Regenguß mochte natürlich Keiner mehr in den Park gehen, da noch dazu unten in der Gesindestube eine Flasche Wein neben der andern stand.«

»Das ist erklärlich,« nickte der Staatsanwalt leise vor sich hin, »und kommt auch wohl eigentlich nichts darauf an, aber Sie meinten vorher, Frau Meier, daß Todte nicht wieder lebendig werden könnten. Was wollten Sie eigentlich damit sagen?«

»Von Todten habe ich nichts gesprochen,« sagte die Frau zurückhaltend.

»Doch, Frau Meier,« nickte der Staatsanwalt; »aber es ist zu leicht denkbar, daß in einer so aufgeregten Zeit Manches von den Leuten nur so obenhin gesprochen und vermuthet wird, ohne daß irgend ein fester Beweis dafür zu Grunde liegt. Wahrscheinlich bezieht sich das, was Sie sagten, auch nur auf derartige Vermuthungen. Erinnern Sie sich vielleicht noch einiger der damals gehenden Gerüchte? Lieber Gott,« setzte er hinzu, als er sah, daß die Frau noch unschlüssig schwieg, »es ist seitdem eine lange Zeit vergangen und viel Wasser den Berg hinabgelaufen; es wäre kein Wunder, wenn Sie es vergessen hätten, und kommt auch eigentlich nichts darauf an, aber einen Grund müssen die Leute doch damals für ihre Behauptung gehabt haben.«

»Für welche denn?« sagte die Frau, die dem Gedankengang nicht folgen konnte.

»Nun dafür,« meinte Witte ruhig »daß sie glaubten, der Mann, der das Kind umgetauscht, habe das ihm überlieferte, also wahrscheinlich ein Mädchen, umgebracht.«

Die Frau sah ihn bestürzt an. Hatte sie denn das selber schon gesagt, oder war das dem Manne mit der hohen, kahlen Stirn und den weißen Haaren selber so vorgekommen.

»Ich weiß es nicht,« sagte sie endlich, durch das viele Fragen ganz verwirrt gemacht, »die Leute reden viel. Gesprochen wurde allerdings davon, die damalige Wirthschafterin hatte ein böses Mundwerk und sagte immer mehr, als sie verantworten konnte.«

»Und die meinte es auch?«

»Ganz ähnlich so wenigstens,« nickte die Frau; »aber ich habe von Anfang an dagegen gesprochen und glaub's auch nicht bis auf den heutigen Tag, denn dazu kann eine Mutter nicht ihr Kind hergeben und ein anderes annehmen und so lieb haben, wie die gnädige Frau den Jungen gehabt hat. Sie küßte ihn nur immer in Einem fort und ließ ihn gar nicht aus den Augen, so lange sie ihn nur eben hüten konnte, und der Baron selber wußte nicht vor lauter Freude, was er angeben sollte. Der freilich hätte sich auch nichts Besseres wünschen können; denn daß er mit dem Knaben eine große Erbschaft machte, war ja schon damals überall bekannt.«

Die Frau war in Zug gekommen, und Witte hütete sich wohl, sie darin zu stören. Nur erst als sie schwieg, sagte er, aber auch mehr zum Major gewandt, als zu ihr:

»Ganz richtig ist die Sache keineswegs gewesen, davon bin ich ebenfalls überzeugt, aber die Frau Meier hat ganz recht; es ist Gras darüber gewachsen, und Alles, was sie uns da erzählt hat, weiter nichts, als was sich ein paar Monate nach der Entbindung eben die ganze Stadt heimlich erzählte, ohne irgend etwas beweisen zu können. Nur noch Eins, Frau Meier. Sie erwähnten vorhin einer Wartefrau, die allein bei dem Kinde geblieben, als die Frau Heßberger fortging. Lebt die noch und wo ist sie?«

»Ja, Du lieber Gott,« sagte die Frau, »wer weiß das! Eine Zeit lang war sie noch in der Gegend, nachher ging sie fort und, wie es allgemein hieß, nach Amerika, und später soll sie sogar dort gestorben sein; die Heßberger erzählte es wenigstens so in der Stadt. Sie hatte einen Vetter in Amerika, und von dem wollte sie einen Brief erhalten haben.«

»Genau so, wie ich mir dachte,« nickte der Staatsanwalt. »Alles, was irgend eine positive Aussage machen könnte, fehlt, und was uns bleibt, sind nichts als wilde Gerüchte und Vermuthungen; denn daß die Frau Heßberger selber irgend welche Auskunft geben würde, ist doch wohl nicht denkbar.«

»Die?« rief die Frau Meier. »Die schlechte Person, die – eher bisse die sich die Zunge ab, ehe sie aus der Schule schwatzte! Und die weiß auch wohl, warum, denn umsonst trägt sie nicht an Sonn- und Feiertagen seidene Kleider und echte Spitzen daran und einen Hut mit großen Federn auf, damit sie ja nicht so aussieht wie Unsereins! Die ist mit allen Hunden gehetzt, und ihr Mann auch, der alte Heuchler...«

»Na, Frau Meier,« sagte der Major, der wohl einsah, daß sie jetzt Alles erzählt hatte, was sie wußte, »dann gehen Sie nur wieder an Ihre Arbeit;« und als die Frau sich zurückzog, rief er triumphirend den Staatsanwalt an: »Na, was sagen Sie nun? Sind das keine Beweise?« – Er schien auch seinen sonst so trostlosen Krankheitszustand rein vergessen zu haben, denn während der ganzen Zeit hatte er nicht ein einziges Mal geächzt oder gestöhnt, sondern mit der gespanntesten Aufmerksamkeit den Worten der Frau gelauscht.

Der Staatsanwalt war aufgestanden und ein paarmal im Zimmer auf und ab gegangen. Jetzt sagte er kopfschüttelnd: »Beweise? Nicht die blasse Spur. Dem alten Freiherrn traute ich allerdings eine solche Handlung schon zu, und schlimmere Dinge sind wirklich vorgefallen; aber die Frau hat auf der Gotteswelt nichts weiter gethan, als die alten Gerüchte, die damals Jahre lang wiedergekaut wurden, bestätigt. Neues ist nichts darin, als daß die Wartefrau in dem Wochenzimmer, während die Heßberger hinausging, allein zurückgeblieben, und hätten wir die Frau hier und könnten sie zum Reden bringen, so möchten wir allerdings Genaueres erfahren. Wenn sie aber todt oder nur nach Amerika ausgewandert ist, so hilft uns das Alles nichts und wir sind so klug als vorher.«

»Wenn aber nun jener Mensch das kleine, neugeborene Mädchen wirklich umgebracht hätte?«

»So wäre das allerdings ein scheußliches Verbrechen,« sagte der Staatsanwalt, »ist aber gar nicht denkbar, denn irgendwo hätte dann in damaliger Zeit ein Kind gefehlt, und man würde davon gesprochen und es in jener Aufregung und dem allgemeinen Verdacht gegen den Baron gewiß mit dieser Sache in Verbindung gebracht haben. Nein; hat jene alte Frau Heßberger wirklich zu einem Verbrechen oder einer Betrügerei die Hand geboten, so ist das Alles so schlau und geschickt angefangen, daß nicht einmal auf frischer That ein Beweis geführt werden konnte, wie viel weniger denn jetzt, nach beinahe vierundzwanzig Jahren.«

»Und dann erbt also in den nächsten Wochen der Lieutenant das ganze riesige Vermögen, und wir Anderen sind geleimt.«

»Allerdings, wenn er an dem Tage noch lebt, und gesund und kräftig genug sieht er dazu aus. Jetzt bitte ich Sie aber, Major, daß Sie mich mit der Sache ungeschoren lassen, denn Sie haben mich schon drei- oder viermal darin vergebens auf den Trab gebracht.«

»Aber es ist doch Sache des Staates, einem solchen Verbrechen nachzuforschen!« rief der Major gereizt.

»Jawohl,« sagte Witte, »wenn wir selber die Möglichkeit einer Beweisführung einsehen oder irgend ein gegründeter Verdacht vorliegt, gewiß; doch auf altes Weibergeklatsch, auf Hörensagen und blinde Gerüchte hin, nachdem beinahe ein Menschenalter verflossen ist, trete ich nicht mit einer solchen Klage vor die Gerichte. Also gute Besserung, Major!« Und mit diesen Worten griff er wieder Hut und Stock auf und verließ das Haus.

5.
Beim Schlosser Baumann.

Beim Schlosser Baumann wurde das Abendbrot auf den Tisch gestellt: Kartoffeln in der Schale, kräftiges Schwarzbrot, Butter, Käse und ein Krug Bier dazu, denn Baumann arbeitete allerdings ganz tüchtig und war ein geschickter Mann, ließ sich jedoch nichts abgehen und hielt etwas auf seinen inneren Menschen. Aber er duldete auch nicht, daß die Leute schlechteres Essen bekamen, als er selber. Er verlangte ordentliche Arbeit von ihnen, und wahrhaftig kein Feiern dabei, denn wie er selber zugriff, mußten auch die Anderen mit angreifen. Doch ordentliche Nahrung sollten sie dazu in die Knochen haben, und dann hielten sie es auch mit Vergnügen aus und schlugen in der Schmiede nicht zu, als ob sie Nüsse knacken wollten.

Nur auf seinen äußeren Menschen gab er nichts. Sonntags allerdings, wenn er einmal mit der Frau ausging, zog er seinen langen, blauen Rock an und band sich eine etwas unbequeme, hohe Cravatte um; in der Woche aber ging er in Hemdsärmeln und mit dem Schurzfell und dazu ein schwarzes, kleines Käppchen auf; ja, selbst wenn er Arbeit in der Stadt hatte und ausgehen mußte, wechselte er das nicht, wie auch die Frau dagegen redete. Es schickte sich nicht für einen Meister, sagte sie, daß er wie ein Gesell umherlief, und er solle doch etwas mehr auf seine »Reputation« sehen. Aber Meister Baumann lachte dann nur immer und meinte: er sähe in seinem Schurzfell ein ganz Theil besser und anständiger aus, als sie selber mit ihrer aufgedunsenen Crinoline, mit der sie dem Ambos nicht einmal mehr dürfe zu nahe kommen. Und dabei blieb es, denn Baumann, so seelensgut er sonst sein mochte, hatte einen entsetzlichen Dickkopf in manchen Dingen, und auch gerade nicht ganz Unrecht mit der Crinoline, die er seiner Frau vorwarf.

Seine Frau war wirklich herzensgut und sorgte für ihren Mann und ihre Kinder, wie nur eine Mutter sorgen kann, und besonders an dem Jüngsten, einem Mädchen von sieben Jahren, hing sie mit unsagbarer Liebe; aber sie besaß einen Fehler: sie war ein wenig eitel, und zwar nicht mehr auf ihre Schönheit, so hübsch sie auch vielleicht in früheren Jahren gewesen sein mochte, aber auf ihr Aeußeres, auf ihre »Stellung« im Leben, und das Gefühl geht freilich durch alle Schichten der Gesellschaft, von hoch herunter bis zum Niedrigsten. Meister Baumann versuchte nun allerdings zuweilen, ihr den »Dünkel«, wie er es nannte, auszutreiben, und argumentirte dann ganz einfach, daß sie nichts als schlichte Handwerker wären, die keinen Anspruch machten und an die kein Anspruch gemacht würde; aber darin gab sie ihm nie Recht. Er, ihr Mann, sei, wie sie behauptete, ein geachteter Bürger der Stadt, wenn auch nur ein Handwerker, der sich sein Brot mit seiner Hände Arbeit verdiene: aber deshalb gerade könne sie nicht wie eine Tagelöhnersfrau in einer »schlampigen Fahne« umherlaufen, und »wenn dem Tischler Behrens seine Frau und dem Bäcker Gluck seine« in großen Crinolinen einherstolzirten, so möchte sie einmal das Gesicht sehen, mit dem die sie angucken würden, wenn sie »nur so« zwischen ihnen herum liefe.

Baumann lachte bei solchen Argumenten, und die Sache war abgethan. Nur wie sie einmal den Versuch machte, eine Schleppe zuzulegen, curirte er sie gründlich gleich von vorn herein. Er sagte nämlich kein Wort darüber; wie aber Abends, nach einem stolz verlebten Sonntag-Nachmittag, das Kleid im Schrank hing, nahm er eine Scheere, ging hin und schnitt heimlich hinten alles Ueberflüssige herunter. Gesprochen wurde auch darüber gar nichts. Die Frau fand das etwas arg zugerichtete Kleid – denn Baumann war nichts weniger als ein Damenschneider –, reparirte es wieder, so gut es gehen wollte, und gab dann jeden weiteren Versuch in dieser Richtung auf.

Diese Eitelkeit hatte aber auch ihre guten Seiten, denn sie warf sich auf die Erziehung der Kinder, für die sie Alles anstrengte. Ein paar Jahre nach ihrer Verheirathung hatte sie eine kleine Erbschaft gemacht, und wie der Erstgeborene heranwuchs, wollte sie absolut, daß er studiren und ein gelehrter Mann werden solle. Dagegen aber legte Meister Baumann entschieden Protest ein; denn wenn das Kind auch in den ersten Jahren etwas kränkelte, entwickelte es sich doch später vortrefflich, und der Vater behauptete, daß sein Sohn nichts Anderes werden dürfe, als was der Vater gewesen: ein ehrlicher und tüchtiger Schlosser auch. Das bahne ihm dann den Weg weiter, und habe der Junge Talent und Geschick, so könne er es schon noch zu Allerlei bringen, denn das Schlosserhandwerk sei in jetziger Zeit der Anfang zu allen möglichen ehrenvollen Laufbahnen geworden.

Fritz, wie der Knabe getauft worden, trat denn auch bei ihm selber in die Lehre, und der Erfolg bewies, daß der Vater recht gehabt. Er zeigte sich bald so außerordentlich fleißig und geschickt, daß ihn der alte Schlossermeister selber nach drei Jahren dem Mechanikus Obrich überließ, um etwas Tüchtiges aus ihm heranzubilden.

Der zweite Sohn, ein derber, prächtiger Junge, wurde ebenfalls Schlosser, und der dritte, da er mehr Neigung zu Holzarbeiten verrieth, kam zu einem Tischler in die Lehre. Mit dem Studiren, wie es die Frau immer gehofft, war es also nichts, und die Knaben befanden sich auch alle drei bei dem gewählten Beruf vortrefflich.

»Sag' einmal, Alte,« begann der Meister, während er mit seiner Frau, den Gesellen und einem Lehrling am Tisch saß und eben eine etwas heiße Kartoffel schälte – Fritz war gleichfalls herüber gekommen, hatte aber schon gegessen und sich nur ein Glas Bier eingeschenkt, was es drüben nicht gab – »kennst Du denn den Staatsanwalt Witte oder seine Familie näher?«

»Näher?« sagte die Frau kopfschüttelnd. »Woher soll ich die Leute näher kennen? Die Kinder haben früher oft mitsammen gespielt; ich bin aber nie zu ihnen in's Haus gekommen. Weshalb denn?«

»O, ich meinte nur,« sagte der Meister, während Fritz, ohne jede scheinbare Veranlassung, ordentlich roth wurde und fast wie verlegen aussah. »Aber wie ich heute drüben war, denn er ließ mich eines Schlüssels zu seinem Schreibtisch wegen rufen, fragte er mich so angelegentlich nach Euch Allen, und wie viel Kinder wir hätten, und ob es Jungens oder Mädchens wären, und ob uns keines gestorben sei, und wie lange wir verheirathet seien, kurz, tausenderlei, was ihm doch eigentlich verwünscht gleichgültig sein könnte.«

»Ich kenne die Leute, Vater,« sagte jetzt Fritz, indem er zugleich das Bier an die Lippen hob; »ich komme manchmal hinüber, wenn wir etwas für den Staatsanwalt zu thun haben.«

»Du kommst hinüber?« sagte der Vater erstaunt. »Wozu?«

»Nun, wenn irgend eine gemachte Arbeit abgeliefert wird.«

»Na, das hat bei Euch der Werkführer zu thun? Bei uns thut's der Junge.«

»O,« meinte Fritz, doch jetzt etwas verlegen, »wenn einmal irgend etwas sehr Zerbrechliches vorkommt, was man dem Jungen nicht gut anvertrauen kann. Er ist gar so zerstreut.«

»So?« sagte der Vater und nickte still lächelnd vor sich hin; »ei, wie besorgt der Fritz ist. Das junge hübsche Mädchen drüben hast Du wohl noch gar nicht einmal gesehen?«

»O doch, Vater,« sagte Fritz rasch, und der Alte lachte.

»Ja, kann ich mir denken; aber da laß die Finger von, mein Junge. Das ist nichts für Unsereinen, und ein ehrlicher Handwerker soll sich auch nicht einmal der Gefahr aussetzen, von dem vornehmen Volk abgewiesen zu werden.«

»Aber wie Du nur gleich wieder bist, Vater,« sagte die Frau; »Fritz ist ein ganz schmucker Bursche, und wer weiß denn, ob sich der Herr Staatsanwalt nicht gerade deshalb so genau bei Dir nach uns erkundigt hat. Lieber Gott, er ist doch auch kein Prinz und sie keine Prinzessin.«

»Ne, Alte, da hast Du recht,« sagte der Schlosser; »aber Gleich und Gleich gesellt sich doch immer besser, und ich denke, der Alte hat sich da auch schon sein Part ausgesucht – oder vielmehr das junge Blut selber. Wie ich gerade hinüber ging und anklopfen wollte, kam ein Herr Lieutenant, der junge Baron Wendelsheim, aus der Stube, wo er den Damen jedenfalls einen Besuch gemacht hatte, denn der Staatsanwalt war in seinem Büreau; und wie er Adjes sagte, küßte er der Mamsell nicht allein auf das zärtlichste die Hand, sondern sie wurde dabei auch über und über roth und dachte gar nicht daran, sie wieder fortzuziehen, bis ich ihnen wohl ein bischen in die Quere und nicht besonders gelegen kam.«

»Der junge Herr Baron von Wendelsheim?« sagte die Frau und ihr Blick flog wie forschend nach Fritz hinüber.

»Na, der Alte küßt keinen hübschen jungen Mädchen mehr die Hand,« lachte der Schlossermeister, »oder sie würden sich wenigstens nicht besonders viel daraus machen. Es war der zierige Lieutenant, der immer den – Rücken so dreht, wenn er geht, wie ein coquettes Frauenzimmer – wir haben so ein eigenes Sprichwort dafür. Ich weiß nicht, mein Geschmack wär's nicht. Aber Du lieber Gott, das zweierlei Tuch hat schon manchem sonst vernünftigen Mädel den Kopf verdreht und Unheil angerichtet. Weiß der Himmel, wo's drin steckt; ich kann's nicht begreifen.«

»Nun, der Herr von Wendelsheim,« sagte die Mutter, »ist doch gewiß ein ganz sauberer, hübscher Mensch, und so vornehm sieht er immer aus!«

»Hübscher Mensch!« lachte der alte Baumann; »er sieht genau so aus, wie unser Karl da, mit derselben aufgestülpten Nase – nur dümmer; und die Haare hat er sich bis hinten in die Halsbinde hinunter gescheitelt – weiter kann man's nicht sehen. Uebrigens wär' er eine ganz famose Partie, das ist richtig, denn er muß ja nächstens die große Erbschaft heben; da giebt's nachher Geld wie Heu, und das können alle Menschen gebrauchen, auch die Advocaten.«

»Und der machte bei Wittes Besuch?« fragte die Frau.

»Nun natürlich, und weshalb sollte er auch nicht? Ein Lieutenant hat ja doch auf der Gotteswelt nichts weiter zu thun, und mit etwas muß der liebe lange Tag todtgeschlagen werden.«

»Aber er war doch heute in Wendelsheim draußen,« sagte Fritz.

»Nun, das war etwa um zwölf Uhr, vielleicht wie er zurückkam. Aber woher weißt Du das?«

»Ich war selber draußen.«

»Du, in Wendelsheim?« fragte die Mutter rasch und erstaunt. »Was hattest Du denn da zu thun?«

»O, ich bin oft draußen,« sagte Fritz, »bei dem kranken jungen Baron. Heute brachte ich ihm eine Maschine hinaus, die wir zusammengestellt hatten. Das ist ein liebenswürdiger junger Herr, aber nur leider immer so krank und schwächlich. Ich fürchte, ich fürchte, er macht's nicht lange mehr, was mir recht leid um ihn thun sollte.«

»Es ist doch eigenthümlich,« sagte die Frau, »daß da weiter gar keine Kinder sind. Wenn der nun auch noch stirbt, so erbt der Aelteste Alles.«

»Nun, und was hast Du darüber zu seufzen?« lachte ihr Mann. »Und der Herr Lieutenant wird ebenfalls nicht böse darüber sein und schon wissen, wohin er mit dem Gelde soll. Der bringt's bald unter die Leute, darauf kannst Du Dich verlassen, denn Schulden hat er schon jetzt in der Stadt wie Sand am Meere – beinahe mehr noch, als sein Vater.«

»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte in diesem Augenblicke eine etwas scharfe Stimme in der Thür.

»Hol' Dich der Teufel!« beantwortete Meister Baumann etwas rauh und lästerlich den frommen Gruß.

»Aber Baumann,« sagte die Frau, während der Schuhmacher Heßberger, ein kleines, schwarzes Buch unter dem Arm, und nicht im mindesten zurückgeschreckt, das Zimmer betrat – »schämst Du Dich denn gar nicht? Vor den Kindern und dem Lehrlinge solltest Du Dich doch wenigstens geniren!«

»Ach was,« sagte Baumann ärgerlich, indem er sich das schwarze Käppchen auf's eine Ohr schob: »Dein Schwager soll auch die albernen Faxen lassen, denn er müßte doch nun nachgerade wissen, daß er bei mir damit an den Unrechten kommt!«

»Du bist und bleibst ein Heide, Bruder Baumann,« sagte der Schuhmacher, indem er näher zum Tisch trat und in den Bierkrug sah – er war aber geleert. »Ein gutes Wort sollte auch eine gute Statt finden, und ich thue keinem Menschen damit weh.«

»Nicht weh?« sagte Baumann mürrisch. »Sand willst Du den Leuten damit in die Augen streuen, Du alter Heuchler Du, weiter nichts, denn im Herzen bist Du ein so durchtriebener Strick, wie's nur einen auf der Welt giebt! Und woher kommst Du jetzt?«

»Aus der Kirche,« erwiederte Heßberger ruhig.

»Aus der Kirche? Am Werkeltag?«

»Aus der Abendstunde, die unser Herr Pastor hielt – o, es war sehr schön!«

»Und weshalb bist Du nicht dort geblieben?« lachte Baumann, der den kleinen Schuster kopfschüttelnd betrachtete. – Er sah auch in der That komisch genug aus, denn er trug schwarze, ganz abgeschabte und an den Knieen ordentlich glänzende Hosen, einen eben solchen, aber etwas zu engen, besonders in den Aermeln zu kurzen Frack, eine weiße Halsbinde und Weste und einen wahrhaft monströsen Seidenhut mit fuchsigem Deckel. Die Kinder auf der Straße liefen ihm auch gewöhnlich nach, und wenn er dann stehen blieb und ihnen einen grimmigen Blick zuschleuderte, hätte man sich keine schönere Caricatur eines Menschen auf der Welt denken können. – »Junge, Junge, wie Du so da stehst, könnte man Dich, bei Gott, für Geld sehen lassen – es wär' der Mühe werth!«

»Bruder Baumann,« sagte der Schuster mit Würde, »Du redest wie Du es eben verstehst. Wenn ich in ein Gotteshaus gehe, muß ich mich auch anständig constimiren....«

»Und das nennst Du anständig....?«

»Und kann nicht einhergehen, als ob ich zu Bier ginge,« fuhr der Schuhmacher unbekümmert fort.

»Und was willst Du?« sagte Baumann trocken.

»Nichts von Dir,« entgegnete Heßberger mit scharfem Ton; »nur meiner Schwägerin Guten Abend sagen und dann den Staub wieder von meinen Füßen schütteln.«

»Na, dann schüttele,« lachte Baumann; »je eher, desto lieber.«

»Aber Gottfried!« bat die Frau.

»Ach was,« rief der Schlosser ärgerlich, »er soll sich betragen wie ein anderer vernünftiger Mensch, nachher wird er auch so behandelt; aber die Firlefanzereien duld' ich nicht in meinem Hause und will nichts davon wissen!«

Die Meisterin war praktischer Natur. Sie hatte dem Lehrjungen schon ein Zweigroschenstück in die Hand gedrückt und mit dem Auge nach dem Bierkrug hinüber gewinkt, und der fuhr auch, ohne daß der Meister auf ihn Acht hatte, damit zur Thür hinaus.

»Na, Onkel Heßberger,« sagte da Karl, dem es selber leid that, den kleinen Mann so rauh behandelt zu sehen, »so legen Sie doch wenigstens ab und nehmen Sie sich einen Stuhl. Wie geht's zu Hause? Ist die Tante wohl?«

»Danke, mein Sohn,« sagte der Schuhmacher, indem er der Einladung Folge leistete – denn das Verschwinden des Bierkruges war nicht unbeachtet von ihm geblieben – »leidlich wenigstens; sie hat aber heute wieder über Land gemußt, um ein paar Patienten in Wendelsheim zu besuchen, leider jedoch keine guten Nachrichten von dort mitgebracht.«

»Von Wendelsheim?« rief Fritz schnell. »Doch nicht vom Schlosse?«

»Ja, allerdings,« nickte der Schuhmacher mit einem wehmüthigen Blick nach oben. »Des Herrn Hand ruht schwer auf dem stolzen Baron; sein zweiter Sohn, der Benno....«

»Es ist ihm doch nichts geschehen?«

»Er hat heute Morgen einen furchtbaren Blutsturz bekommen und liegt am Tode.«

»O, Du großer, allmächtiger Gott!« rief Fritz erschreckt aus. »Aber das ist ja gar nicht möglich. Ich bin selber noch heute Morgen bei ihm gewesen, und als ich fortging, hörte ich noch, wie er sich laut unterhielt und fröhlich lachte.«

»Ganz richtig,« sagte der Schuhmacher; »nach dem Deschuneh war er in den Garten spazieren gegangen, und da hat's ihm arrivirt. Er ist ja auch elend von seiner Geburt an gewesen; seine ganze Constitution ist corrumführt. Kurz und gut, er bekam plötzlich einen Blutsturz, und als meine Frau, die unten zufällig im Dorfe war und davon hörte, hinauf eilte, waren ihm schon die ganzen Extermitäten kalt.«

»Ach, das ist ja schrecklich,« stöhnte Fritz; »der arme junge Herr! Und ich freute mich noch so, als ich fortging, daß er so vergnügt und heiter war.«

»Ja, Du lieber Himmel,« sagte der Schuhmacher, »mit dem Menschen geht es oftmals schnell zu Ende, und es weiß Keiner, wann ihm sein Brot gebacken ist. Aber was thut's, der Freiherr hat ja noch immer den einen Sohn, und der erbt jetzt die ganze Bescherung. Es soll ein heidenmäßiges Vermögen sein.«

»Der arme Vater!« seufzte die Frau.

»Ja, das kann nichts helfen,« sagte Baumann; »der Tod sieht nicht auf Rang und Stand und kehrt bei Armen und bei Reichen ein. Wer mag's ändern!«

»Wir müssen Alle sterben,« sagte der Schuhmacher und schenkte sich von dem Bier ein, das der Lehrling eben auf den Tisch stellte; »der Gerechte mit dem Ungerechten, und erst dort werden die Schafe und Böcke gesondert werden.«

»Na, Schwager Heßberger,« lachte Baumann wieder, der die Familie Wendelsheim viel zu wenig kannte, um größeren Antheil an ihrem Verlust zu nehmen, wie bei anderen fremden Menschen. »Du kommst zu den Böcken, darauf kannst Du Dich verlassen; denn Du hast schon hier auf Erden so lange bei den Schafen gestanden, daß Dir eine Veränderung ingrimmig Noth thut.«

»Du redest, wie Du es verstehst, Bruder Baumann,« sagte Heßberger, indem er sich noch einmal einschenkte. »Was ich aber gleich sagen wollte, Schwägerin, meine Frau läßt Dich bitten, Du möchtest doch heute Abend einmal zu ihr hinüber kommen; sie hätte Dir etwas zu sagen.«

»Und weshalb kommt sie da nicht her?« fragte Baumann. »Sie liegt ja doch den ausgeschlagenen Tag auf der Straße.«

»Eben deshalb,« erwiederte ruhig der Schuhmacher, »weil sie so viel herumzulaufen und bald da, bald dort eine Besorgniß zu machen hat, so muß sie die wenige Zeit im Hause zusammennehmen und uns doch auch etwas zu essen machen. Vom Canditer können wir es uns nicht holen lassen und von Confett leben.«

»Na,« lachte Baumann, »dazu seid Ihr Beide nicht hübsch genug.«

»Was hat sie denn? Ist was vorgefallen?« fragte die Frau.

»Nicht daß ich wüßte,« sagte Heßberger kopfschüttelnd; »Du bist aber auch so lange nicht bei uns gewesen, und wenn sie hieher kommt, kriegt sie ewig mit Deinem Manne Streit.«

»Mit mir?« sagte Baumann. »Ich thu' ihr wahrhaftig nichts; aber sie soll mir auch mit ihrem Kartenlegen und Prophezeien vom Leibe bleiben.«

»Na, Guten Abend denn miteinander!« sagte der Schuhmacher, indem er wieder aufstand; »ich muß auch heim, sonst machen mir die verflixten Jungen lauter dumme Streiche.« Und nach kurzem Gruß gegen die Verwandtschaft nahm er sein Buch wieder unter den Arm, setzte den riesigen Hut auf und stieg aus der Thür.

Baumann hatte ihm kopfschüttelnd zu- und nachgesehen und ließ den Lehrjungen dann das Geschirr hinausräumen. Wie der draußen war, sagte er finster: »Kathrine, Du darfst mir's glauben, der Heßberger, wenn er auch Deine Schwester geheirathet hat und dadurch unser Schwager wurde, ist ein Erzlump, und Deine leibliche Schwester – bestärkt ihn nur darin.«

»Aber Gottfried!«

»Nein, nein,« winkte ihr Mann mit der Hand, »das ist der reine Betrug, was die Beiden mitsammen treiben, und daß sie nur noch Esel finden, die ihnen glauben und Geld bezahlen, das einzige Unglück bei der Sache.«

»Aber sie hat schon so viel vorhergesagt, was eingetroffen ist.«

»Bah, komm Du mir nicht auch etwa mit dem Unsinn! Wenn der Zufall einmal sein Spiel hat, wird es ausgebeutet, und wenn es nicht eintrifft, eben nicht weiter davon gesprochen. Ueberhaupt, Kathrine, es thut mir leid, daß ich es sagen muß, denn es ist nun einmal Deine Schwester, aber der Umgang mit ihr ist mir nicht lieb, und da Du lange Jahre fast gar nicht mit ihr verkehrt hast, thut's mir leid, daß das jetzt wieder von Frischem anfangen soll.«

»Sie meint es gewiß gut,« sagte die Frau mit einem recht aus tiefer Brust herausgeholten Seufzer. Aber Baumann schüttelte auch dazu den Kopf.

»Mit sich, ja, das geb' ich zu, aber nicht mit anderen Leuten,« sagte er finster; »sie hat kein gutes Herz, das steht ihr schon in den Augen geschrieben, und wenn sie Einen damit ansieht, kommt es mir immer so vor, als ob sie durch und durch bohrte, um Alles zu errathen, was man denkt.«

»Du kannst sie nun einmal nicht leiden, Gottfried.«

»Ehrlich gesagt, nein, und kein Mensch in der ganzen Stadt. Niemand hält mit ihr Umgang, und wenn sie die vornehmen Weibsleute Nachts heimlich besuchen, um sich von ihr die Karten legen zu lassen, oder wer weiß was sonst für Mittel und Latwergen zu holen, so sitzt der augenverdrehende Lump, der Heßberger, nebenan in der Stube bei seinem Leisten und brüllt geistliche Lieder ab. Es ist rein zum Verrücktwerden, wenn man's nur mit ansehen muß!«

»Aber kann ich's ändern, Gottfried? Ich habe auch schon dagegen gesprochen...«

»Und sie hat auch keinen guten Einfluß auf Dich ausgeübt, Kathrine,« fuhr der Mann, finster vor sich hin mit dem Kopfe nickend, fort. »Das erste Jahr nach unserer Verheirathung warst Du ganz anders, bis plötzlich Deine Schwester hieher zog und immer so viel mit Dir zu erzählen und zu schaffen hatte. Nachher war's aus, und wie viel hast Du damals nicht geweint, und wenn ich Dich fragte, was Du hättest, immer nur gesagt, das Herz thäte Dir so weh und Du wüßtest eigentlich selber nicht, weshalb Du weinen müßtest.«

»Aber, Gottfried, das ist gewiß nicht so arg gewesen.«

»Nicht so arg? Wie Du damals mit Deiner Schwester fort warst, um die Erbschaft zu heben, und wieder zurückkamst, sahst Du mehr todt als lebendig aus, und ich glaubte schon, Du würdest ganz ernstlich krank werden. Der arme Junge, der Fritz, hatte auch darunter zu leiden, denn der kam ganz von Kräften – na, er scheint sich doch wieder aufgefuttert zu haben. Jetzt war auch die langen Jahre Frieden, und ich habe Deine Schwester über Jahr und Tag nicht einmal gesehen – fangt mir deshalb also nicht die alten Geschichten an, denn ich will von der Gesellschaft nichts wissen, und wenn wir zehnmal mit einander verschwägert sind.«

»Wer weiß denn, was sie von mir will?« sagte die Frau, die bis dahin mit im Schooße gefalteten Händen vor sich nieder gestarrt hatte. »Vielleicht thut's ihr leid, daß wir so gar nicht zusammenkommen, und hart kann ich doch nicht gegen sie sein; sie hat mir ja noch niemals 'was zu Leid gethan und bleibt doch immer meine Schwester.«

Der alte Schlosser rückte wieder an seinem Mützchen. Recht war's ihm nicht, aber er konnte der Frau auch nicht so ganz unrecht geben und litt eben – was er nicht verhindern mochte. Er war aber doch ärgerlich geworden und mußte sich ein klein wenig zerstreuen; da war denn freilich das Beste, daß er hinüber in den »Goldenen Stern« ging und noch ein Glas gutes Bier trank. Nachher vergaß er all' die unangenehmen Sachen und bekam wieder eine glatte Stirn.

6.
Der alte Salomon.

Lieutenant Bruno von Wendelsheim hatte seine Dienstwohnung eigentlich in der Kaserne; da ihm das aber aus mancherlei Gründen nicht recht paßte, so miethete er sich derselben gerade gegenüber ein kleines freundliches Parterre-Logis mit Stallung, und führte dort eine Junggesellen-Wirthschaft, in der es manchmal außerordentlich vergnügt herging. – Er sah aber heute Morgen nicht so vergnügt aus. Es konnte kaum zehn Uhr sein, und er kam schon erhitzt und müde, mit bestaubten Stiefeln, von einem Gang zurück, warf Mütze und Handschuhe auf den Tisch und ging mit unterschlagenen Armen und finster zusammengezogenen Brauen in seiner Stube auf und ab.

Die Sache war aber auch unangenehm, denn daß er, der Erbe eines so ungeheuern Vermögens, ja eigentlich schon der Besitzer, da es sich nur um Wochen handelte, jetzt seit drei Tagen fast vergebens in der Stadt herumgelaufen sein sollte, um lumpige zweihundert Louisd'or zu bekommen, schien fast unglaublich, ließ sich aber nicht abläugnen, denn die Thatsache stand fest. Aber er mußte das Geld haben; er konnte sich nicht so furchtbar blamiren, den Handel rückgängig zu machen – der Verkäufer wäre auch gar nicht darauf eingegangen –, und er zerbrach sich eben den Kopf, wie er es am besten ermöglichen könne, ohne zu riesige Procente zu zahlen, als der Briefträger draußen anpochte. Er kannte ihn schon am Klopfen.

Der Herr Lieutenant wußte recht gut, daß ihm von daher keine Hülfe kam; Correspondenz hatte er fast gar keine, und was ihm die Post in's Haus schickte, waren beinahe nur eingesiegelte Rechnungen oder gar directe Mahnbriefe. Er warf auch kaum einen Blick auf die drei oder vier Couverts, die ihm der Bote auf den Tisch legte; aber plötzlich haftete sein Auge auf einem der nicht so kunstgerecht wie die übrigen zusammengelegten Schreiben, und er brach es, wie er sich nur wieder allein sah, rasch auf. Die Adresse trug nur seinen Namen und die Wohnung – die letztere sehr gewissenhaft angegeben – und war mit etwas schwerfälligen Zügen, wie von der Hand eines Quartaners geschrieben. Inwendig enthielt das Couvert aber keine Silbe weiter, sondern nur einfach einen Fünfthalerschein.

»Das ist aber doch merkwürdig,« sagte der Officier, indem er kopfschüttelnd die wunderliche Sendung betrachtete; »wieder eine Fünfthaler-Note und kein Sterbenswort dabei, als die nämliche Handschrift auf der Adresse – und richtig, wieder mit einem Geldstück petschirt! Wer mag denn nur in aller Welt mein sehr großmüthiger, aber leider, wie es scheint, sehr unbemittelter Protector sein, der mir von Zeit zu Zeit so bedeutende Geldsendungen zukommen läßt? Fünf Thaler! Du lieber Gott, nicht einmal fünfhundert könnten mir heute helfen, und das ist höchstens genügend zu einem Frühstück, um mir die Grillen aus dem Kopfe zu jagen!«

Noch während seines kurzen Selbstgespräches hatte er das Couvert nach allen Seiten genau betrachtet, ob nicht irgendwo ein Stempel oder ein anderes Zeichen auch nur auf die Spur des Absenders deuten ließe, aber umsonst. Es war noch dazu ziemlich ordinäres Schreibpapier, mit Packsiegellack geschlossen, mit einem Geldstück petschirt, und er steckte kopfschüttelnd den Fünfthalerschein in die Westentasche und warf das Papier in die Ecke.

Was wollte er auch anders machen? Was konnte er thun? Irgend Jemand liebte ihn oder schwärmte für ihn und sandte ihm – jetzt schon das zehnte oder zwölfte Mal – durch die Post, ohne irgend einen Werth auf der Adresse anzugeben, einen Fünfthalerschein. Zurückschicken konnte er denselben nicht, er wußte ja nicht an wen, und das Geld auf die Straße werfen? Es wäre schade darum gewesen. Monate lang hatte er sich auch bei früheren Sendungen den Kopf darüber zerbrochen, wer nur möglicher Weise der freundliche Geber sein könne, aber natürlich vergebens; denn der Fall, daß ihn Jemand Geld schickte, war so außerordentlich, daß er jedes Versuches spottete, ihn jemals zu enträthseln.

Aber die Zeit verstrich. Er hatte erst die Absicht gehabt, an dem Morgen noch einmal nach Wendelsheim hinaus zu reiten, um zu hören, wie es seinem Bruder ginge; aber er konnte heute unmöglich, und hoffte ja auch, daß es doch nur einer jener Anfälle gewesen, die der stets Kränkliche von je gehabt und der dann wahrscheinlich auch eben so rasch vorüberging. Hier aber drängte ihn die Zeit; er pfiff seinem Burschen, ließ sich noch einmal sorgfältig abbürsten, zog seine Handschuhe an und eilte dann, mit wahrlich schwerem Herzen einen Gang zu thun, den er gern vermieden hätte. Aber es ging eben nicht mehr, er mußte, und wenn er dort auch kein Geld bekam.... – Er biß die Zähne auf einander und schüttelte die trüben, bitteren Gedanken ab. Noch war es ja nicht so schlimm.

Vor dem Hause begegnete er einer ältlichen Frau aus den geringeren Ständen, die ihn freundlich, aber achtungsvoll grüßte. Er warf ihr einen Blick über die Achsel zu und hob dann die rechte Hand etwa zehn bis zwölf Zoll, als ob er damit an die Mütze greifen wollte, kam aber noch nicht einmal bis zum ersten Knopfloche der Uniform. Er kannte die Frau, sie war ihm schon begegnet, aber er wußte nicht, wer es sei – möglicher Weise seine Wäscherin, die Geld von ihm haben wollte; er that viel besser, sie vollständig zu ignoriren.

Sein Weg führte ihn durch die nämliche Straße, in welcher, Nr. 11 im ersten Stocke, der Staatsanwalt Witte wohnte; aber sein Herz dachte heute Morgen weder an ihn, noch an seine Tochter, und nur zufällig hob er im Vorübergehen den Blick zu den Fenstern. Aber dort saß Ottilie schon am Nähtisch bei ihrer Arbeit, lange jedoch nicht so beschäftigt, um nicht dann und wann das Auge nach der Straße hinabgleiten zu lassen. Es war ja so interessant, zu sehen, wer vorüberging. Sie hatte auch schon mehrfach an dem Morgen Gelegenheit gehabt, zu grüßen, oder vielmehr grüßend zu danken, aber noch nie so freundlich und so tief dabei erröthend, als diesmal. Man sah es ihr ordentlich an, daß es sie freute, ihren Tänzer von neulich Abend wieder zu erblicken, und Wendelsheim selber, ordentlich erschreckt, daß er sie fast übersehen hätte, grüßte auf das verbindlichste.

Dadurch aber, daß er seine Aufmerksamkeit nach dem Fenster oben richtete, lief er einer andern Gefahr in den Rachen, und zwar gerade gegen den unvermeidlichen Rath Frühbach an, der ihn auch ohne weiteres Säumen stellte.

»Ah, mein lieber Herr Baron, auch schon auf der Promenade, und wie ich sehe, sehr angenehm beschäftigt? Ja, mein lieber junger Freund – na, ich gehe ein Stück mit Ihnen hier hinunter, denn ich habe doch nichts zu versäumen – mein lieber junger Freund, was ich gleich sagen wollte – in meiner Jugend habe ich es auch nicht besser gemacht, und ich war Ihnen ein verfluchter Kerl. Da lebte in Schwerin ein alter reicher Rauchwaarenhändler, ein steinreicher Bursch, sag' ich Ihnen, aber auch ein komischer Kauz, eine Art von Sonderling, der hatte eine wunderhübsche Tochter, Rosine hieß sie – nein, warten Sie einmal, das war eine andere; Rosine war die Nichte vom Ober-Appellationsrath Breitnagel, mit der ich auch einmal verlobt sein sollte – die Tochter von dem Rauchwaarenhändler – Herr Gott, fällt mir jetzt der Name nicht mehr ein – na, wenn sie das wüßte – aber es bleibt sich gleich, ich komme auch vielleicht noch darauf – aber es ist ärgerlich, wenn Einem so ein Name fehlt, und man quält sich manchmal einen Tag damit herum, ja, kann Nachts nicht davor einschlafen. Dieser Tochter also, Fräulein Therese – Jesus ja, Therese, wie ich das auch vergessen konnte! – machte ich damals furchtbar den Hof. Lieber Gott, ich war jung, sie war jung, und wenn sich ein paar junge Leute gern haben – warum nicht? Ja, das war ein wunderhübsches Mädchen, und ich hätte eine ganz gute Speculation mit der Heirath gemacht.«

»Und warum heiratheten Sie sie nicht?« fragte von Wendelsheim, der nur mit halbem Ohr auf die Salbaderei hörte.

»Wie ich mir's noch überlegte,« sagte der Rath, »war sie auf einmal mit einem Lieutenant verlobt, und noch dazu mit einem weitläufigen Verwandten von mir, den ich dort selber eingeführt hatte.«

»Das war Pech,« sagte der Baron; »aber, à propos, mein lieber Rath, Sie sagten mir doch einmal, daß Sie so etwas von einem Finanzmann wären?«

»Ei, gewiß,« rief Rath Frühbach rasch, »ich könnte Ihnen da Arbeiten zeigen...«

»Bitte, ist gar nicht nöthig; aber die Hauptaufgabe eines Finanzmannes wäre meiner Meinung nach die, lieber Rath, Geld in Zeit der Noth zu schaffen, nicht wahr?«

»Und das vorhandene zu verwalten,« ergänzte der Rath.

»Während wir von dem letzteren Punkt vor der Hand absehen,« fuhr der Lieutenant fort, »möchte ich Sie dann bitten, mir, gegen gute Interessen natürlich, bis heute Abend zweihundert Louisd'or zu schaffen.«

Rath Frühbach sah seinen Begleiter über die Brille an und lächelte. »Da fällt mir eine Geschichte ein,« sagte er.

»Mein lieber, bester Rath,« rief der junge Officier, jetzt wahrlich nicht in der Stimmung, lange Geschichten anzuhören, »alle Ihre Erzählungen helfen mir gar nichts, wenn Sie nicht Geld schaffen können!«

»Aber sie erläutern den Fall.«

»Der Fall ist schon so klar wie Krystall; ich brauche zweihundert Louisd'or, um ein Pferd zu bezahlen. Haben Sie so viel?«

»Nöthig, ja, lieber Freund,« erwiederte Frühbach, sich ausnahmsweise einmal kurz und bündig fassend, »aber nicht baar.«

»Und können Sie mir dieselben auch nicht verschaffen?«

»Ich wüßte nicht wo.«

»Dann leben Sie recht wohl,« nickte ihm der Lieutenant zu, indem er sich dabei ohne weitere Umstände von ihm frei machte und rechts ab in eine der Seitenstraßen bog. Rath Frühbach schien auch einen Moment nicht übel Lust zu haben, ihm zu folgen, denn gewöhnlich ließ er seine Schlachtopfer nicht so rasch wieder frei; aber bei näherer Ueberlegung stand er doch davon ab. Der Lieutenant brauchte Geld, und solchen Leuten geht man eher aus dem Wege, als daß man sie aufsucht.

Der junge Baron kümmerte sich indessen nicht weiter um seinen Begleiter, sondern schritt auf ihm allerdings wohlbekannten Pfaden zuerst eine schmale Gasse entlang, tauchte dann rechts in einen Durchgang und gerieth hier in ein Viertel der Stadt, das vorzugsweise Bekenner der mosaischen Religion zu Insassen zu haben schien. Da war Laden neben Laden, jeder einzeln aus einem kleinen, dunkeln Käfterchen bestehend und mit Waaren vollgestopft, die man sich nicht bunter hätte denken können. Da standen alte Bettladen vor der Thür, mit schauerlichen, bunt gemalten Lithographien darüber; da hingen verrostete Flinten und zerbrochene Pulverhörner, alte, getragene Kleider und Stiefel; da standen Porzellan und Steingut friedlich neben eisernen Kochtöpfen und Stutzuhren, da lagen Messer und Gabeln, Terzerole, Kämme, Hosenträger und Gott weiß was Alles bei einander, und in den kleinen, wohl kaum je geputzten Fenstern prangten zerknitterte Blumen, die vielleicht einst ein bildhübsches Mädchen zuerst beim Tanze getragen, unechter Schmuck, Halsketten mit Halbmonden und Kreuzen, und dazwischen war gewöhnlich eine Tafel von Pappe angebracht, auf welcher schreckbar aussehende, vergilbte, zerbrochene Cigarren verkünden sollten, daß auch dieser Geschäftszweig – und welcher nicht? – hier vertreten wäre.

Gleich daneben war ein Fleischerladen, nicht größer und nicht reinlicher oder heller als die Rumpelbuden, mit kleinen Papieren auf das Fleisch geheftet, auf welchen hebräische Zeichen standen. Auch die Aushängeschilder waren in dieser wie in deutscher Sprache, und entsetzlich schmutzige Kinder balgten sich auf der Gasse herum, oder wurden von genau solchen Müttern aus irgend einem in allen Regenbogenfarben schillernden Fenster des ersten Stocks zur Ordnung gerufen.

Der Baron durchschritt auch die enge Gasse mit einiger Vorsicht, besonders wenn sich irgendwo ein Fenster öffnete, denn er wußte aus Erfahrung, daß die Bewohner dieser Spelunken gerade nicht sehr wählerisch in den Gegenständen waren, die sie zuweilen von oben herab auf die Straße schütteten. Er selber aber, obgleich ein Officier in diese Umgebung allerdings nicht paßte, schien hier nicht die geringste Aufmerksamkeit zu erregen. Es war eben nichts so Seltenes, daß sich sehr anständig gekleidete Herren, in Uniform wie in Civil, in dieses Viertel verloren, und wenn sie auch nichts von den da aufgestellten Waaren gebrauchen konnten, wurde doch manches »Geschäft« mit den Eigenthümern derselben abgemacht. Wer konnte diesen verwehren, daß sie auf Uhren oder sonstige Pretiosen Geld verborgten! Und Mancher, der sich scheute, offen in das städtische Leihhaus zu gehen, suchte dringenden Bedürfnissen hier ganz im Geheimen, wenn auch mit etwas größeren Opfern, abzuhelfen.

Das aber galt doch nur für kleine, unbedeutende Verlegenheiten, wenigstens für solche, die eine geringe Summe betrafen. Bruno von Wendelsheim brauchte aber mehr, und kannte auch genau die Quelle, zu der er gehen mußte. Und trotzdem ging er den Weg mit schwerem Herzen, denn gerade dem Manne gegenüber fühlte er sich unbehaglich, gerade diese Schwelle hätte er nicht mit einem Ansuchen um Geld mehr überschritten, wie er es früher so oft gethan, wenn ihm nur eben eine Wahl geblieben wäre; aber es half ihm nichts, er mußte.

Die enge Gasse hatte er jetzt durchschritten, in welcher das Proletariat dieser Bevölkerung zu leben schien. Hier kreuzte sie eine andere Straße, und sie nahm von da ab einen andern Namen an und wurde breiter. Die Namen der Schilder gehörten allerdings noch ganz entschieden israelitischer Abkunft an; da gab es einen Oppenheimer und Hirsch, einen Goldmeier und Levy, einen Süß und Rosenstengel, aber die Läden wurden eleganter und die Häuser reinlicher und sahen wohnlicher aus. Da waren Ausschnittläden und Materialwaaren-Handlungen, rechts stand eine Druckerei und gegenüber wohnte ein Geldwechsler, aber ein Geschäft betrieb jedes Haus, und die unteren Räume nahm bei allen ein oder das andere Verkaufslocal ein. Der junge Officier schritt aber immer noch hindurch, bis er fast das Ende der Straße erreichte, und dort erst betrat er gleich darauf einen Laden, der wohl auch eine wunderliche Mischung von Dingen zeigte, aber sich nicht mit dem Abwurf des gewöhnlichen Lebens beschäftigte.

Es war ein großes Kreuzgewölbe, mit einem dicken steinernen Pfeiler in der Mitte, und sah allerdings so aus, als ob es weit eher zu dem Refectorium eines Klosters, als zu seiner jetzigen Bestimmung gepaßt hätte. Der Hintergrund blieb auch düster, obgleich ihm vorn zwei hohe Bogenfenster Licht gaben. Der ganze Raum zeigte sich aber mit Dingen gefüllt, die der Umgebung allerdings entsprachen und fast sämmtlich vergangenen Jahrhunderten zugehören mußten. Da waren alte, wunderlich geformte und gemalte Vasen, mit Silber und Elfenbein eingelegte Kasten, riesige, echt beschlagene Trinkhörner, kostbare, aber ebenfalls alterthümliche Waffen, chinesische und japanische Schnitzereien und Lackarbeiten, prachtvolle, aber schon angerauchte alte Meerschaumpfeifenköpfe, Bernsteinspitzen vom größten Umfange; dann Rüstungsstücke, mit Silber eingelegte Panzerhemden, Spazierstöcke mit mächtigen Amethysten oder anderen edlen Steinen als Knopf, Theebretter mit kostbaren Malereien, Tabaksdosen mit in Brillanten eingelegten Namenschiffern und Kronen, Thee-Service in Rococoform, kurz alles nur Erdenkliche, was in dieses Fach schlug und aus allen Theilen der Erde, von allen Völkern hier versammelt schien.

Der Baron kannte den Platz, und als er ihn erreicht, war es fast, als ob sein Fuß einen Moment zögerte. Aber was half ihm unschlüssiges Besinnen – da drinnen lag seine letzte Hoffnung, und es nützte ihm wahrlich nichts, den Entscheid nur hinauszuschieben. Wenn er jetzt auch vorbeigegangen wäre, weiter oben hätte er doch umdrehen und hieher zurückkehren müssen. So denn, die Zähne fest zusammengebissen, schritt er auf die Thür zu, warf noch einen raschen Blick nach rechts und links hinüber, ob er nicht doch vielleicht zufällig jemand Bekanntes sähe, was ihm wahrscheinlich nicht lieb gewesen wäre, und trat dann schnell ein.

Der Laden war indeß nicht leer von Besuchern, wie er anfangs geglaubt, denn der alte Mann, der Eigenthümer desselben, stand ziemlich im Hintergrund mit einer kleinen, corpulenten und wunderlich gekleideten Gestalt. Das Geschäft mußte aber beendet oder gar nicht entrirt sein, denn wie er jetzt entschlossen nach hinten schritt, hörte er nur noch, daß der alte Salomon sagte:

»Nein, lieber Freund, thut mir leid, mache gern Geschäfte, aber nicht solche und mit unbekannten Leuten.«

Der Kleine flüsterte etwas dagegen; der Alte schüttelte aber mit dem Kopf und fuhr fort: »Würde Ihnen auch nichts helfen; derlei Sachen kaufe ich nicht, ist auch nicht mein Geschäft, als ich nur offen und ehrlich handele mit guten, reellen Waaren. Sollte mich aber gar nicht wundern, wenn Sie in der Straße weiter unten einen Käufer finden; ich mag nichts damit zu thun haben.«

Dem kleinen Mann schien die Gegenwart eines Dritten nicht besonders angenehm. Der Baron merkte auch, daß er etwas in ein rothbaumwollenes Tuch einschlug und dann unter den Arm nahm. Er erwiederte aber nichts weiter, drehte sich ab und glitt dann an dem Lieutenant, an dem er einen halbscheuen Blick hinaufwarf, vorüber, der Thür zu. Dem Baron war es auch fast, als ob er ihn gegrüßt hätte, das konnte aber auch vielleicht Verlegenheit oder allgemeine Höflichkeit gewesen sein, und überdies fühlte er sich gerade nicht in der Stimmung, darauf zu achten oder den Gruß zu erwiedern. Er sah sich nach dem Davonschleichenden, der aber von dem alten Händler fest im Auge behalten wurde, bis er die Thür hinter sich in's Schloß drückte, auch gar nicht um, und nun auf Salomon zuschreitend, streckte er ihm die Hand entgegen und sagte freundlicher, als er bis dahin ausgesehen:

»Nun, wie geht's, alter Freund – immer noch auf dem Zeug?«

»Gott der Gerechte, der Herr Baron!« sagte der Mann mit einem eigenen, fast wehmüthigen Lächeln, die dargebotene Hand aber nehmend und schüttelnd. »Hab' ich doch beinah' geglaubt, daß Sie vergessen hätten, wo der alte Salomon wohnt. Es muß ein Menschenalter sein, daß wir einander nicht gesehen haben.«

»Nun so lange doch wohl nicht, Salomon,« sagte der Baron halb verlegen, »ich dächte, es könnten kaum vier Wochen sein.«

»Wie Sie recht haben,« sagte der Alte, sich mit dem dritten Finger der linken Hand vor die Stirn klopfend. »Aber das Gedächtniß wird schwach, Herr Baron, das Gedächtniß wird schwach. 's ist ja wahr, vor vier Wochen etwa, wo Sie mir die Ehre gaben, ein kleines Geschäft mit mir zu machen. Gott der Gerechte, wie schlecht die Zeiten seitdem geworden sind!«

»Und wie geht es Ihrer Fräulein Tochter?«

»Danke der Nachfrage, Herr Baron – aber wollen Sie nicht ein wenig Platz nehmen bei einem alten Manne – der liebe Gott sei gepriesen, recht gut geht's ihr! Sie blüht wie ein Röschen im Moos, und der Herr hat mich Freude erleben lassen an dem Kind; nur in der letzten Zeit ist sie leidend gewesen. Hat ihr nichts gefehlt im Körper, ist sie blos gewesen schwermüthig und betrübt, wie junge Mädchen haben ja manchmal die Laune. Es ist ein gutes, liebes Kind, aber mit viel Gefühl, zu viel Gefühl für Unsereinen – möge sie mir noch lange erhalten bleiben.«

»Sie erlauben mir doch vielleicht, daß ich sie nachher begrüßen darf?« sagte Wendelsheim, immer noch mit einer gewissen Empfindung, das, was ihn eigentlich hieher geführt, so lange als möglich hinauszuschieben.

Der alte Mann zögerte einen Moment mit der Antwort; endlich sagte er, still vor sich hin mit dem Kopf nickend: »Sie hält viel auf den Herrn Baron und hat oft gesagt, er hätte versprochen, einmal wieder zu kommen und mit ihr zu musiciren. Wie haißt? hab' ich gesagt – der Herr Baron hat zu thun, wird er nicht haben so viel Zeit, sich zu Dir herzusetzen und Musik zu machen.«

»Es ist wahr,« sagte der junge Mann, »ich hatte ihr versprochen, bald wieder zu kommen und ihr die Schubert'schen Lieder zu accompagniren; ich hatte aber wirklich so viel zu thun...«

»Nu, wer hat nicht zu thun?« sagte der alte Mann. »Ist ein Kunststück. Sie haben zu thun in Ihrer, wir in unserer Art; jeder Mensch hat zu thun und kann nicht immer auf Zeitvertreib denken.«

»Ich hoffe aber, jetzt öfter kommen zu können.«

»Versprechen Sie nichts, Herr Baron, besonders der Rebekka nichts, denn man weiß nicht immer, ob man's halten kann, und das Warten macht nachher müde. Es giebt kaum was Schlimmeres auf der Welt, als warten.«

»Ja,« sagte der Baron etwas zerstreut; »aber – was ich gleich sagen wollte – ich bin noch so weit in Ihrer Schuld, lieber Salomon...«

»Da giebt's ein Mittel, das zu ändern,« lächelte der Alte.

»Ein Mittel?«

»Nun, Sie zahlen eben.«

»Ja so, – gewiß – das ist wahr – aber...«

»Nun, ich habe Sie noch nicht gedrängt,« erwiederte der Händler. »Unser Contract lautet: bei Zurücklegung Ihres vierundzwanzigsten Jahres, wann wird ausgezahlt werden die Erbschaft. Gott Abraham's, es ist viel für mich, aber Ihnen wird es dann nicht weh thun!«

»Aber wenn ich heute noch um weitere Vorschüsse käme?«

»Heute?« sagte der Alte, etwas verlegen auf seinem Stuhl umherrückend. »Der Herr Baron werden gewiß einem alten Mann nicht mehr aufbürden, als er tragen kann, und es sollte mir leid thun, Ihnen eine abschlägige Antwort zu geben.«

»Aber ich muß heute Geld haben, Salomon!« rief Wendelsheim, also gedrängt und in die Enge getrieben. »Ich brauche bis heute Abend sechs Uhr zweihundert Louisd'or...«

»Gott der Gerechte, was ein Geld!«

»Die zu der bestimmten Frist zu zahlen, ich mein Ehrenwort gegeben habe. Als Officier muß ich das einlösen oder meinen Abschied nehmen.«

»Wär' kein Unglück,« sagte Salomon; »wenn Sie die Hunderttausende erben, was thun Sie mit der Lieutenants-Gage? Sie reicht nicht einmal zu Taschengeld.«

»Aber ich bin auch zugleich beschimpft.«

»Es ist ein sonderbar Ding,« sagte der alte Jude, langsam dazu mit dem Kopf nickend, »daß sich die Menschen ein Wort so hoch hinstellen und so verehren, und dann nachher doch so leichtsinnig damit umgehen. Ich versteh's nicht und kann's nicht begreifen. Aber haben Sie vielleicht für einen guten Freund oder Verwandten, der in großer Noth und Gefahr war, gutgesagt, Herr Baron, daß Sie das viele Geld brauchen, oder haben Sie – Gott will's verhüten! – gespielt?«

»Nein, Salomon,« sagte der Baron, »gespielt habe ich nicht. Ich versprach Euch ja bei dem letzten Anlehen, nicht zu spielen; aber – mein Pferd war schlecht, ich mußte ein anderes Thier haben, und der englische Lord, der hier kürzlich seinen Marstall verkaufte, hatte einen so wundervollen Fuchs...«

»Für zweihundert Lujedor?« rief der alte Mann, seine Hände vor Verwunderung zusammenschlagend.

»Es ist ein Spottpreis für das Pferd,« rief der Lieutenant, »und ich konnte es mir nicht entgehen lassen! Die Kaufbedingungen waren aber baar Geld, oder letzter Zahlungstermin heute Abend unter Garantie. Mein Ehrenwort wurde natürlich als solche genommen, und ich bekam das Pferd.«

»Zweihundert Lujedor für ein Pferd,« sagte Salomon noch immer kopfschüttelnd über den Gedanken, »und wenn Sie drauf sitzen und es stolpert und bricht ein Bein, so sind die zweihundert Lujedors mitgebrochen und kapores. Man sollt's nicht glauben, wenn man's nicht mit eigenen Ohren hörte.«

»Und kann ich das Geld bekommen, Salomon?«

Der alte Mann hörte nicht auf zu schütteln. »Herr Baron,« sagte er endlich, »Sie wissen, daß ich Ihnen bin gefällig gewesen, wo ich konnte, aber – es hat Alles seine Grenzen – auch mein Geldbeutel. Ich bin kein armer Mann, der Herr hat meine Arbeit und meinen Fleiß gesegnet; aber in den Waaren steckt viel Geld, und wenig Leute kommen, die kaufen. Wer soll sorgen für meine alten Tage, wenn ich's nicht thue? Keine Seele. Was kümmert sie der alte Salomon!«

»Aber das Geld ist Euch doch sicher, Salomon.«

»Weiß ich nicht,« sagte der alte Mann entschlossen, »denn es ist keine Erbschaft wie sonst, sondern noch in den Händen des Gerichts und an Bedingungen geknüpft.«

»Die aber in so kurzer Zeit gelöst sind.«

»Weiß ich wieder nicht,« sagte der Alte. »Der Herr Baron sind Officier, und die Herren Officiere haben einen starken Begriff von Ehre. Es darf Einer dem Andern aus Versehen auf den Fuß treten und sich nicht entschuldigen – und, Gott der Gerechte, was für ein Unglück! – und sie gehen hinaus und schießen mit geladene Pistolen auf einander. Der Herr Baron kann in den paar Wochen auf dem theuern Pferd ausreiten und fallen und den Hals brechen, und geb' ich das Geld, so bricht der Herr Baron den Hals nicht, aber der alte Salomon bricht ihn.«

»Aber ich werde mich gewiß in der Zeit sehr in Acht nehmen, Salomon. Ich weiß ja doch, was für mich und die Meinen davon abhängt.«

»Ist recht schön von Ihnen,« erwiederte der alte Mann, »aber ich stecke schon tief genug in der Geschichte drin, und mehr noch zu riskiren, wäre nicht klug gehandelt, selbst angenommen, daß ich das Geld hätte, was aber, soll mir Gott helfen, nicht der Fall ist. Wenn Sie ein Haus versichern bei einer Gesellschaft, so nimmt sie die Versicherung nur zu einem bestimmten Werth, nicht mehr. Ich bin schon weiter gegangen. Als ich habe nachgesehen meine Bücher am letzten Ersten, habe ich gefunden große Summen hinter dem Herrn Baron seinen Namen, und alle auf der einen Seite – war doch die andere blank und rein, eine wahre Papierverschwendung. Auf die Seite geht noch viel, auf die andere nichts mehr, oder der Salomon könnt's nicht verantworten vor Weib und Kind und dem Gott seiner Väter, als ich will bleiben gesund – das ist mein letztes Wort.«

»Aber, Salomon,« rief der Officier in Todesangst, »ich habe keinen Menschen weiter auf der Welt, von dem ich heute noch so viel Geld bekommen könnte, und ich muß es haben, oder ich weiß nicht, was ich thue! Ihr treibt mich zur Verzweiflung, und mir bleibt nichts Anderes übrig als....«

»Drohen Sie nicht mit einer Sache, junger Mann,« sagte der alte Jude ernst, »wo der Gedanke, noch nicht einmal ausgesprochen, schon Sünde ist vor dem Thron des Höchsten. Denken Sie an Ihren Vater, an Ihre todte Mutter, denken Sie an die Leute, die Ihnen vertraut haben, wenn auch ohne gegebenes Ehrenwort, doch mit gedachtem, und die Sie auf die Weise nicht bezahlen können. Sie sind noch jung, und ein Fehler ist in Ihrem Alter leicht wieder gut gemacht – aber das müssen Sie selber thun – ich nicht –, und doch verlangen Sie's von mir.«

Der Officier saß vor ihm, die rechte Faust auf seinem Knie geballt, die Augen stier und düster am Boden haftend. Ein Gedanke, wie ein Blitz, schoß ihm durch die Seele. Noch war Hoffnung. Rebekka, des Juden Tochter, hatte ihn lieb, das wußte er, und wenn er oft mit dem wunderbar schönen Mädchen getändelt, traf ihn manchmal ein Blick aus ihren schwarzen Augen, der ihm in die Seele schnitt. Er mied sie auch deshalb, denn er war nicht schlecht, und wollte keine Neigung erwecken, die er, wie er glaubte, doch nie erwiedern durfte. Aber jetzt galt es, ihn aus einer wirklichen Noth zu erretten, und zwar einer Summe wegen, die er ja in wenigen Monden schon mit reichen Zinsen zurückzahlen konnte und wollte. – Sie mußte ihm helfen, den Vater zu erweichen, und sie that es, denn mit dem Alten war, nach dem letzten Schwure, den er gethan, kein Wort weiter zu reden, das wußte er gut genug.

»Ihr seid hart heute, Salomon,« sagte er endlich, »hart und zäh, wie ich Euch nie gefunden....«

»Schade für mich,« sagte der Alte störrisch.

»Ich weiß auch im Augenblick nicht, wie ich mir helfen soll, wenn Ihr mich im Stiche laßt. Ich muß Zeit zum Ueberlegen haben, und es ist das Beste, daß ich gehe....«

»Thut mir leid,« sagte der alte Mann, »den Herrn Baron umsonst den weiten Weg haben machen zu lassen; aber soll mir Gott helfen, ich kann nicht anders. Ich habe mehr für Sie gethan, als für einen andern fremden Menschen auf der Welt; aber eine Grenze muß sein, und wir stehen dran.«

»Es ist möglich, Salomon,« sagte der junge Mann, »daß wir uns jetzt in längerer Zeit nicht sehen. Erlauben Sie mir, Ihre Tochter noch zu begrüßen.«

Der Alte zögerte. »Gehen Sie,« sagte er endlich; »ihre Mutter ist oben, ich kann jetzt noch nicht; es ist vier Uhr gerade, und ein Freund wollte kommen, mit dem ich habe zu reden. Ich folge gleich nach, muß dann erst zuschließen die Ladenthür, denn viel Gesindel treibt sich hier herum.«

»Ich werde vorausgehen.«

»Der Herr Baron wissen ja den Weg, die Treppe ist etwas dunkel; erst vier Stufen, dann ein Absatz und dann drei. Fallen Sie nicht.«

»Ich kenne ja die Treppe – also auf Wiedersehen, Salomon!« Und mit schwerem Herzen schritt der junge Mann durch die Hinterthür über den Hof und dort dem schmalen Eingang zu, der zu dem eigentlichen Wohnhaus des alten Mannes hinaufführte.

7.
Rebekka.

Das Haus war von der Vorderseite, wenn auch massiv gebaut, doch unscheinbar genug, denn den ganzen unteren Theil nahm der gewölbte Laden ein, während die oberen Räume zu Speichern und Waarenläden benutzt wurden und nicht einmal Fenster, sondern braune Laden zeigten. Eben so schmal war der Hof; aber von dem Hintergebäude an erweiterte sich das Grundstück, das hinter diesem einen wohl von Mauern eingeschlossenen, aber doch freundlichen und auch nicht ganz kleinen Garten besaß. Auf der Treppe herrschte allerdings kaum Dämmerlicht, und es erforderte einige Geschicklichkeit, sich hinaufzufinden; oben aber verrieth eine sauber angestrichene Glasthür die behäbigere Wohnung, und das Licht fiel hier durch ein Fenster von dickem Glase schräg auf den Vorsaal hinab, in dem sich drei Thüren öffneten.

Wendelsheim zog die Klingel; drinnen wurde der Vorhang etwas zurückgeschoben, und er hörte die Stimme der Mutter.

»Gott der Gerechte, der Herr Baron – Rebekkchen, der Herr Baron kommt!«

Zugleich wurde der Schlüssel umgedreht und die Kette zurückgeschlagen, und die alte Frau begrüßte den jungen Officier mit einem tiefen Knix.

»Und darf ich eintreten, liebe Frau Salomon?«

»Mit dem größten Vergnügen, wenn Sie uns die Ehre anthun wollen.«

Die Frau war wirklich die Höflichkeit selber, denn erstens wirkte der Name eines Barons doch immer auf sie ein, und dann hatte sie den jungen Mann, der sich früher in ihrem Hause eingeführt und manche Stunde dort in harmloser, geselliger Weise verbracht hatte, in der That liebgewonnen.

Bruno schritt der Thür zu, wo er Rebekka wußte, und als er dort anklopfte und ein leises, kaum hörbares Herein! vernahm, sah er sich plötzlich dem Mädchen gegenüber, das schon seinen Namen draußen gehört hatte und jetzt, ihn erwartend, mitten in der Stube stand. Aber auf der Schwelle blieb er wie gefesselt halten, denn mehr einer überirdischen Erscheinung als einem menschlichen Wesen glich das wunderbar schöne Mädchen.

Ein langes weißes Gewand, nur in der Mitte durch einen blitzenden Gürtel gehalten, umhüllte ihre schlanke Gestalt. In vollen, üppigen Locken fiel ihr das rabenschwarze Haar auf den Nacken nieder, und aus dem jetzt nur durch die Erregung bleichen Antlitz sahen ihn ein Paar große, seelenvolle Augen an – und diese Augen, dieser Blick, der ihn traf!

»Rebekka,« sagte der junge Officier, wirklich überrascht von dem Anblick, denn so schön – so ungewöhnlich schön hatte er das Mädchen noch nie gesehen – »wie freue ich mich, Sie wieder begrüßen zu dürfen!«

»Thun Sie das wirklich?« sagte sie mit leiser, zitternder Stimme. »O, wenn ich das glauben dürfte!«

Er schritt auf sie zu und faßte ihre Hand – sie war kalt und bebte in der seinigen; er hatte sie sonst nur auf diese Weise begrüßt, heute hob er unwillkürlich die feinen Finger an seine Lippen und preßte einen heißen Kuß darauf.

»Und wie lange sind Sie ausgeblieben,« flüsterte Rebekka mit einem leisen, aber doch so freundlichen Vorwurf im Tone; »wie hatte ich mich darauf gefreut, daß Sie Ihr Versprechen halten und mit mir die Noten durchgehen würden, die Sie mir geschickt.«

»Ich bekenne mich schuldig, mein Fräulein,« sagte der junge Mann, indem er ihr voll in die klaren Augen schaute, während die ganze duftige Gestalt des Mädchens vom Sonnenlicht wie übergossen schien; »aber ich fürchte fast, daß ich trotzdem noch – zu oft gekommen bin.«

»Was Sie für häßliche Wortspiele machen,« lächelte Rebekka, leicht erröthend. »Wie kann man dahin, wo man gern gesehen ist, zu oft kommen? Das verstehe ich nicht.«

»Und wenn es nun zu oft für mich wäre?«

»Das verstehe ich wieder nicht; wenn Sie gern kommen, und ich – hätte das doch so gern geglaubt –«

»Sie sind so lieb und gut, Rebekka,« sagte der junge Mann, »daß Ihnen die Welt nur immer, wohin Sie schauen, Ihr eigenes Spiegelbild zurückwirft. O, bleiben Sie so – ich kann Ihnen nichts Weiteres wünschen!«

»Sie sprechen heute wirklich in lauter Räthseln,« sagte kopfschüttelnd das schöne Mädchen. »Aber wollen Sie nicht ablegen? Sie stehen da so mitten in der Stube – oder – war das nur ein Besuch, den Sie im Vorübergehen abmachen wollten, um vielleicht eine alte Verpflichtung einzulösen?«

»Es wäre möglich, daß es – ein Abschiedsbesuch sein sollte,« erwiederte Wendelsheim, aber wie scheu und halb abgewandt.

»Ein Abschiedsbesuch?« rief Rebekka erschreckt. »Sie wollen fort?«

»Ich – muß vielleicht – doch diese kurze Stunde wollen wir uns nicht verbittern; kommen Sie zum Instrument – wo haben Sie Ihre Lieder, daß ich noch einmal Ihre liebe Stimme höre?«

»Ich werde nicht singen können, Herr Baron.«

»Es wird schon gehen; wenn Sie Musik hören, können Sie doch nicht widerstehen.«

»Ich will es versuchen,« hauchte das schöne Mädchen leise und schritt zum Flügel, den sie öffnete und einen Band mit Liedern vornahm, der obenauf in ihrem Pult lag. Sie hatte sie ja täglich durchgespielt.

Bruno war ganz tüchtig auf dem Instrument und begleitete besonders vortrefflich, und das Mädchen sang dazu mit einer so vollen und so glockenreinen Stimme und dabei einem so weichen, schmelzenden Ausdruck in den Tönen, daß es dem jungen Mann wirklich bis in alle Herzensfasern drang und er genau aufpassen mußte, um nicht selber aus dem Tact zu kommen.

Die Mutter stand dabei, die Hände gefaltet, und war glücklich. Plötzlich sprang Wendelsheim in die Höhe.

»Rebekka,« sagte er, »Ihre Töne dringen durch Mark und Bein, und es ist manchmal, als ob sie Einem das Herz aus der Brust reißen könnten. Mädchen, wo haben Sie die wunderbare Stimme her?«

»Ach, ich mußte mich heute so zusammennehmen,« sagte Rebekka schüchtern, »ich hatte solche Angst!«

»Angst – und wozu Angst?« sagte die Mutter. »Der Herr Baron weiß, wie Du singst, und Du brauchst Dich vor ihm nicht zu geniren – und vor keinem Menschen. Aber glauben Sie, Herr Baron, daß Sie der Einzige sind, vor dem sie überhaupt den Mund aufthut, ihren Vater und mich ausgenommen? Wenn Besuch da ist und wir bitten sie noch so schön, da macht sie bald die, bald jene Ausrede, und wenn wir sie lange quälen, geht sie ganz weg und kommt nicht wieder.«

»Weil ich mich nicht selbst begleiten kann, Mutter,« sagte das junge Mädchen tief erröthend.

»Ob Du nicht kannst,« rief aber die Mutter, mit dem Kopf nickend, »ob Du nicht kannst, wenn Du willst! Sie sollten sie nur hören, Herr Baron, wenn sie ganz allein ist, wie sie da spielt und dazu singt, daß mir alten Frau manchmal die Thränen aus den Augen laufen.«

»Du lieber Himmel,« sagte Rebekka seufzend, »wir leben hier gar so einsam in unserer kleinen, abgeschlossenen Welt. Die Musik ist da ja das Einzige, das uns Ersatz bieten kann, und wie der Vogel draußen auf den Zweigen sein Lied unbekümmert zwitschert, gut oder schlecht, wie es gerade herauskommt, so singe auch ich – aber nicht besser, Mütterchen, gewiß nicht besser.«

Bruno hatte sich in seinem ganzen Leben noch nicht so befangen gefühlt. Er war sich bewußt, was ihn heute eigentlich hieher geführt – in welche gedrückte, peinliche Lage ihn sein Leichtsinn gebracht; aber er wäre nicht im Stand gewesen, zu dem Mädchen heute von Geld zu sprechen und ihr Fürwort bei dem Vater zu erbitten. Alles, was gut und edel in ihm war und vielleicht lange da geschlummert hatte, oder auch durch das schale Garnisonleben, seine Umgebung und tägliche Gesellschaft betäubt und unterdrückt gehalten worden, erwachte heute mit voller und vielleicht nie geahnter Stärke, und gute, ernstgemeinte Vorsätze für sein künftiges Leben keimten in seinem Herzen frisch und gewaltig empor. Er nahm Rebekka's Hand und sagte leise: »Dann muß ich Ihnen um so viel dankbarer sein, Rebekka, daß Sie gerade in meiner Gegenwart die Scheu ablegen. Sie haben mich recht glücklich damit gemacht, und die Erinnerung an diese Zeit wird immer – so lange ich noch lebe – mir die schönste und liebste sein.«

»So lange Sie noch leben – Gott der Gerechte!« lächelte die Frau. »Sollte man nicht glauben, wenn man Sie hörte, Sie wären ein Mann von achtundachtzig Jahren, mit grauen Haaren und mit einem Stocke? So lange Sie noch leben – Sie fangen ja erst an, und der liebe Gott wird Ihnen schon ein langes und freudiges Leben schenken. Wir werden uns wieder sprechen.«

Die beiden jungen Leute schwiegen, Jedes mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und die Mutter sah Eines nach dem Andern verwundert an.

»Nun, wie haißt?« lächelte sie endlich. »Keine Musik? Keine Unterhaltung? Wo bleibt da die Gesellschaft? Was hast Du nur, Bekkchen? Hab' ich doch geglaubt, das Kind wäre nur so still und schweigsam, wenn sie allein wär'; jetzt macht sie's in der Gesellschaft gerade so.«

»Ich dachte eben – Mutter – der Herr Baron hat vorhin angedeutet, daß er nur hergekommen wäre, um Abschied von uns zu nehmen.«

»Abschied? Gott soll's verhüten, und wozu? Wollen Sie verreisen?«

»Wahrscheinlich – auf einige Zeit wenigstens,« sagte der Lieutenant verlegen; »es sind Geschäfte, die mich dazu zwingen.«

»Aber Sie kommen hieher zurück?« fragte Rebekka, und ihr Auge hing forschend an den Zügen des jungen Mannes.

»Was für a Frag!« sagte die Mutter. »Hat der Herr Baron sein großes, schönes Gut hier, und die Familie; wird er nicht zurückkommen!«

Rebekka sah ihn angstvoll an, als ob sie die Bestätigung dieses Ausspruches in seinen Blicken lesen wolle; aber er wandte sich ab, schritt zum Fenster und sah hinaus.

Es war eine wunderliche Scenerie, die sich hier dem Blicke zeigte, und so pittoresk wie bunt gemischt. Unten vor dem Fenster lag der kleine freundliche Garten, gegen die Umgebung von der Mauer scharf abgegrenzt und selbst unnahbar; denn daß man der Nachbarschaft nicht besonders traute, bewiesen die auf dem oberen Rand des Steinwalles eingekitteten, spitz und gefährlich hervorragenden Glassplitter, die ein Hinüberklettern ganz unmöglich machten. Unter dem Schutz derselben blühte und grünte aber auch da unten eine kleine, vollkommen für sich abgeschlossene Welt, ein Rosenflor zum Beispiel, wie er nicht weiter in der Stadt vorkam, und die Beete dabei so sorgfältig gepflegt, die schmalen Wege so rein und sauber gehalten, der kleine Springbrunnen in der Mitte, sein Wasser so rein und frisch und lustig emporplätschernd. Und was für ein lauschiges Plätzchen hatte der alte Salomon da unten seinem Kinde gebaut! Dicht hinter dem Springbrunnen, kühl und zugleich geschützt und versteckt, lag eine kleine Laube, deren Dach ein einziger ausrankender Rosenbusch zu bilden schien; aber blühende Granat- und Orangenbäume, gemischt mit Vanille und hochstämmigen Fuchsien, bildeten die Wände, und mildes Dämmerlicht lag in dem kleinen, zauberisch schönen Raum. Hob sich aber der Blick, dann traf er gleich darüber hin auf einen so schroffen, trostlosen Gegensatz, daß er ordentlich staunend wieder zurück zu jenem kleinen Paradiese flog, um sich zu überzeugen, daß er recht gesehen, und wirklich zwei Bilder so unmittelbar neben einander stehen könnten, die das eine dem Himmel, das andere der Hölle glichen.

Dort, gleich rechts über der Mauer nämlich, und nur durch wenige Gärten oder offene Hofplätze davon getrennt, erhoben sich die Hintergebäude der eigentlichen Judengasse, spitz und phantastisch genug, es ist wahr, mit hohen Giebeln und rauchgeschwärzten Dächern; aber ordentlich Gespenstern glichen die schmalen, fest in einander gedrängten Häuser mit den leeren, düsteren Augen, die überall hinausstarrten. Da war kein einziges fast mit ganzem Rahmen oder Glas, keine weiße Gardine zeigte auch nur an einem Punkt, daß dort gesittete Menschen hausten – schmutzige Lappen und Tücher, alte, wüst aussehende Kleidungsstücke hingen überall heraus, der Luft, als einziger Reinigung, ausgesetzt, und an jeder Wand zeigten die Spuren niedergegossenen Wassers und Unraths den Zustand, der im Innern herrschen mußte.

Der junge Baron von Wendelsheim hatte auch früher wohl oft staunend und kopfschüttelnd zu jenen Höhlen hinübergeschaut, die ja doch ebenfalls das umschlossen, was der Mensch seine Heimath nennt und wo er sich wohl und glücklich fühlen soll, und dann immer nicht begriffen, wie Menschen gerade dort freiwillig existiren konnten. Heute schweifte sein Blick glanzlos, ohne das Paradies, ohne die Hölle dahinter auch nur zu sehen, über die Blumen, über die rauchverbrannten Häuser wie über eine Leere hin.

Sein Ehrenwort! – er hatte es leichtsinnig, gedankenlos gegeben – es war den Leuten gegenüber, die ihn bei dem Kauf umstanden, mehr eine Prahlerei gewesen, und die Folgen der Nichterfüllung konnte er noch nicht übersehen. Aber selbst das lag ihm jetzt weniger auf dem Herzen, als die Trennung von dem Mädchen, das heute, erregt wie er war, einen nie geahnten Einfluß auf ihn ausgeübt. Und was durfte sie ihm je sein? Sie, die Tochter des alten Salomon, eine Jüdin – er, der Sohn eines der adelstolzesten Häuser im ganzen Reiche! Und konnte ihm das eine Rücksicht auferlegen? Hatte ihn nicht gerade dieser Vater, so lange er denken konnte, rauh und abstoßend behandelt? – Er faßte die fieberheiße Stirn mit den Händen. Die Gedanken, die ihm wild und toll durch das Hirn zuckten, machten ihn fast schwindeln.

»Fehlt Ihnen etwas, Herr Baron?« sagte eine weiche Stimme an seiner Seite. »Soll ich Ihnen vielleicht ein Glas Wasser holen?«

»Ja, Kind, mit ein paar Tropfen Rum hinein, von dem guten, den der Vater neulich auf der Auction gekauft hat.«

»Ich danke Ihnen, Rebekka,« sagte der junge Mann freundlich; »es war nur – ein heftiger Schmerz, der mir durch die Schläfe zuckte – es ist schon vorüber.«

»Aber ich hole es doch, damit es nicht wiederkehrt,« lächelte das junge Mädchen – »Sie dürfen es mir nicht abschlagen, nicht wahr? Und dann spielen Sie mir noch einige von den Mendelssohn'schen Liedern; es giebt für mich nichts Schöneres auf der Welt. Das wird Sie auch ein wenig zerstreuen,« setzte sie leiser hinzu und huschte dann aus dem Zimmer.

»Armes Kind,« sagte die Mutter, die ihr nachsah und langsam dazu mit dem Kopfe nickte – »jetzt ist sie noch so jung und heiter, und kennt keine Sorgen und Schmerzen; und wie bald wird die Zeit kommen, wo sie an die Thür klopfen und dann nicht mehr weggehen, man mag thun und machen, was man will!«

»Gott möge sie ewig fern von ihr halten!« sagte Bruno viel weicher, als er sonst wohl dachte und fühlte, denn unwillkürlich traf ihn der Gedanke, daß er selber die Ursache sein könne, welche die erste Thräne in des Mädchens Augen rief, den ersten wehen Schmerz in ihre Brust einziehen ließ.

»Sagen Sie, Herr Lieutenant,« rief da die Frau, deren Gedanken rasch einen andern Flug nahmen, »Sie haben ein so gutes und weiches Herz und sind so ein braver Mensch, und tragen doch immer an Ihrer Seite einen langen spitzen Degen, um Menschen damit todtzustechen – Gott der Gerechte, wenn ich mir denken müßte, wo so eine Klinge in den Leib geht!«

»Aber, liebe Frau Salomon,« lächelte Bruno, der sich gewaltsam Mühe gab, die alten Gedanken abzuschütteln, »der Degen ist so weit ganz harmlos und gehört nur mit zu meiner Uniform. Eben so wenig aber, wie ich die Epauletten ablegen dürfte, darf ich auch die Waffe von der Seite lassen!«

»Und mitten im Frieden – wer thut Ihnen denn 'was? Und Sie wollen doch auch Niemandem etwas zu Leide thun.«

»Aber der Soldat muß doch Waffen tragen!«

»Im Kriege, ja, wenn sie sich einander todtschlagen; aber wenn nun der Salomon den ganzen Tag mit einem Schleppsäbel herumgehen wollte, und über die Treppen rasseln, und unten im Laden das Porzellan damit herunterschmeißen – Gott Abraham's, wie der Salomon damit aussehen müßte! Hat er sich doch neulich einmal zum Spaß einen umgeschnallt und ist damit auf und ab gegangen, aber nicht lange, denn er kam ihm gleich zwischen die Füßcher, und beinahe wär' er damit hingefallen. Hätt' sich können Schaden thun mit dem Säbel, und wär' ihm recht geschehen, warum macht er solche Dummheiten auf seine alten Tage!«

Bruno lachte, und auch Rebekka's liebes Gesicht klärte sich wieder auf, als sie in diesem Augenblick in's Zimmer trat und ihren jungen Gast so freundlich sah.

»Und nun trinken Sie,« sagte sie, ihm Glas und Flaschen hinschiebend; »es wird Ihnen gut thun und der Kopf Ihnen wieder klar werden.«

»Aber nur auf so lange, Rebekka, bis ich Ihnen wieder in die Augen sehe.«

Das Mädchen wurde ernst. »Das ist nicht recht, Herr Baron,« sagte sie. »Erinnern Sie sich noch, als Sie das erste Mal bei uns waren und mir so viele Schmeicheleien sagten, wie sie wohl draußen bei Ihnen Sitte sind? Damals bat ich Sie so herzlich, das nicht mit mir zu thun, und Sie versprachen es mir und haben Ihr Wort ehrlich gehalten. Wollen Sie es jetzt brechen?«

»Nein, Rebekka – nein, wahrlich nicht,« seufzte der junge Mann recht aus tiefster Brust; »es sollte auch bei Gott keine fade Schmeichelei sein, es war ehrlich gemeint! Aber – Sie haben recht,« brach er kurz ab, »wir wollen wieder musiciren – kommen Sie.«

»Und wollen Sie nicht erst trinken? Das Wasser ist so frisch.«

Bruno folgte der Einladung; er goß sich reichlich Rum hinzu und stürzte das Glas hinunter. Dann trat er zum Instrument und griff einzelne Accorde.

Während Rebekka zu ihm ging und die Mutter sich auf einem der nächsten Stühle niederließ, wurde nebenan leise und geräuschlos die Thür geöffnet, und der alte Salomon trat ein; wie er aber die Musik hörte, warf er erst einen Blick durch den Vorhang, der die beiden Zimmer schied, hinein, glitt dann still zu dem nächsten Kanapee und ließ sich darauf nieder. Er regte sich dabei nicht und sah nur still und unverwandt ein Bild an, das ihm gegenüber hing – das seiner verstorbenen Mutter.

Der junge Officier präludirte eine Weile, aber nicht lange; er ging bald in eine etwas schwermüthige Phantasie über, der er sich hingab und darüber seine Zuhörer fast vergaß.

»Aber so ernst?« sagte Rebekka endlich leise.

»Sie haben recht, mein Fräulein – ich muß....« er horchte – die Uhr hob zum Schlagen aus – er zählte: es schlug fünf Uhr – »ich muß Ihnen etwas Heiteres spielen, denn Sie sollen nicht sagen, daß ich mit einem Trauermarsch von Ihnen geschieden bin.« – Und jetzt spielte er einen der wildesten Strauß'schen Walzer von Anfang bis zu Ende durch. – »Nun,« sagte er dann, »klang der besser?«

»Der klang fast noch trauriger als das erste Stück,« sagte das junge Mädchen ernst und wandte sich dabei halb scheu zur Seite.

»Aber ich weiß nicht, was Du willst, Kind,« rief die Mutter – »was Lustigeres kann es ja doch gar nicht geben, und zuckt es doch sogar mir alten Frau, die das Tanzen lange abgeschworen hat, in den Füßen.«

Bruno erwiederte nichts; wieder griff er einige Accorde, die sich aber fast von selber zu einer Melodie gestalteten, und ohne daß er es vielleicht wußte, klangen sie plötzlich zu Mendelssohn's: »Es ist bestimmt in Gottes Rath,« zusammen. Er spielte es durch, beide Verse, die letzten Töne so leise, daß sie kaum hörbar durch das Zimmer klangen; dann stand er langsam auf und griff nach seiner Dienstmütze, die oben auf dem Instrument lag.

Rebekka stand ihm stumm und regungslos gegenüber; ihr Gesicht war marmorbleich geworden, daß sich die rabenschwarzen, langen Wimpern der niedergeschlagenen Augen deutlich und scharf in einem dunkeln Bogen auf den Wangen abzeichneten. Jetzt schlug sie den Blick zu ihm auf; er war mit Thränen gefüllt und schwamm darin wie zwei dunkle Diamanten, und o – wie zauberschön und lieblich sie war!

»Rebekka!« rief der junge Officier, seiner Sinne kaum mehr mächtig – »und Dich, Mädchen, Dich soll ich nie wiedersehen? Aber es muß sein – die Zeit verfliegt, ich kann nicht länger säumen! Leb' wohl, und wenn Du....«

Er vermochte nicht weiter zu reden, Thränen erstickten seine Stimme; aber er hatte auch das Uebermenschliche geleistet, und die Jungfrau an sich ziehend, preßte er einen heftigen Kuß auf ihre Lippen. In demselben Augenblick fühlte er sich aber auch von Rebekka's Armen in wilder Leidenschaft umschlungen.

»Bruno,« flüsterte sie, indem sie ihn fest an sich preßte, »wenn Du mich verläßt, sterbe ich.«

»Gott der Gerechte!« rief die Mutter, die ebenfalls aufgesprungen war und vor Verwunderung die Hände zusammenschlug.

»Herr Lieutenant,« sagte da die kalte, ruhige Stimme Salomon's, »es wird Zeit, daß Sie aufbrechen; es ist halb sechs Uhr vorüber, und wir haben noch unten ein kleines Geschäft mit einander abzumachen.«

»Salomon,« hauchte der junge Mann, sich verstört, wie aus einem Traum emporrichtend – »zürnen Sie mir nicht....«

»Ich habe gehört,« fuhr der alte Mann ruhig, aber doch mit bewegter Stimme fort, »was die Rebekka gesagt hat, und habe gehört, was Sie gesagt haben. Ich hatte anfangs geglaubt, Sie wollten über 'was Anderes mit dem Mädel sprechen. Es hätt' Ihnen nichts geholfen, Herr Baron; aber – nehmen Sie mir den Verdacht nicht übel – Sie sind ein Ehrenmann, und ich hoffe, Sie werden nicht abreisen und das gegebene Ehrenwort derweil auf mich übertragen.«

»Salomon!«

»Bitte, kommen Sie herunter, es liegt Alles bereit, und Dinte und Feder steht daneben; wir brauchen keine zwei Minuten damit zu versäumen. Sie wissen doch um sechs Uhr.«

»Und er kehrt zurück, Vater?«

»Wird er zurückkehren, wenn er sein Wort hält, und ich glaube, er thut's – meinetwegen – und vielleicht auch Deinetwegen.«

»Salomon, wie soll ich Euch danken.«

»Ein Kunststück,« lachte der alte Mann still vor sich hin, »das wär' leicht genug – aber wir vertrödeln die kostbare Zeit. Er kommt wieder, Rebekka, ich versprech' Dir's, und Du weißt, ich halte mein Wort.«

»Und ich auch, Salomon, so wahr sich ein Himmel über uns wölbt!« rief der junge Officier leidenschaftlich, indem er das schöne Mädchen noch einmal an sich preßte und einen leisen Kuß auf ihre Stirn drückte. Der alte Salomon seufzte tief auf, aber er sprach nichts mehr hinein, und den jungen Mann nur bei der Hand nehmend, führte er ihn aus der Stube hinaus, die etwas dunkle Treppe hinab in das Gewölbe.

Die Läden waren schon geschlossen; es brannte nur ein Licht auf dem Tisch. Dort blieb der Mann stehen.

»Der alte Salomon hat sich zum ersten Mal in seinem Leben verrechnet,« sagte er. »Wie ich Ihnen das Geld verweigerte und Sie mich fragten, ob Sie zu der Rebekka hinaufgehen dürften, glaubte ich, daß Sie das Mädel um das Geld drängen würden – ich hatt' es gehofft, denn leider hab' ich schon lange fühlen müssen, daß sie mehr an Ihnen hing, als ihr und mir gut war. Das aber hätt' sie curirt und es wär' aus und vorbei gewesen mit dem Baron und der Tochter des alten Juden. – Es ist anders gekommen. Die Liebe ist aufgeschlagen wie eine Flamme aus lodernder Scheune – und ob das ein himmlisches oder ein verderbliches Feuer wird – die Zeit muß es lehren.«

»Salomon – haltet Ihr mich für einen ehrlichen Mann?«

»Lieber Gott,« sagte der Jude, »wie haißt – Sie sind ein Baron und von altem Adel, und wie es einmal werden soll, der Herr da oben weiß es – doch es wird spät. Hier, Herr Baron,« fuhr er fort, indem er mit langsamen Zügen einen Wechsel ausfüllte, »Geld hab' ich nicht so viel im Haus – besonders kein Gold – aber das Papier hier, mit dem Namen vom alten Salomon darunter, ist in der ganzen Stadt so gut wie Gold. So, und hier auf den Zettel schreiben Sie: »von Isaak Salomon 200 Lujedor – schreibe zweihundert Lujedor mit fünf Procent Zinsen geborgt erhalten zu haben, bescheinigt« – und Ihren Namen darunter.«

»Salomon....«

»Es wird gleich sechs Uhr schlagen – wozu das viele Reden – wo ich mein eigenes Kind riskire – was liegt an dem Geld!«

»Ich werde Euch das nie vergessen!«

»Wär' mir auch nicht lieb,« nickte der Alte, indem er den rasch geschriebenen Schein gegen das Licht hielt und dann wegschloß. »Und jetzt leben Sie wohl! Warten Sie, ich lasse Sie gleich durch den Hof auf die Straße, vorn ist zu.«

»Mein lieber, braver Salomon!«

»Auf Wiedersehen, Herr Baron, auf Wiedersehen!«

Und der alte Mann drängte ihn selber hinaus auf die Straße; dann ging er zurück in den Laden, schloß den Geldschrank und schob den Schlüssel in die Tasche, löschte das Licht aus, kniete neben dem Stuhl, an dem er stand, nieder und betete da im Dunkeln, allein mit seinem Gott, heiß und brünstig.

8.
Der Familienball.

Am Mittwoch Abend war große Gesellschaft beim Staatsanwalt Witte, allerdings nicht zu dessen eigenem Vergnügen, denn er haßte nichts mehr auf der Welt – einen schlechten Proceß ausgenommen –, als derlei sogenannte Vergnügungen oder Festlichkeiten, die das eigene Haus schon auf drei, vier Tage vorher auf den Kopf stellen und jede eigene Bequemlichkeit aus dem Fenster werfen. Er hatte auch gewünscht, daß sie das Ganze in einem Hotel arrangiren möchten, wo sich nicht allein passendere Räumlichkeiten fanden, sondern auch die Leute darauf eingerichtet waren, und er dann Abends, nach überstandenem Genusse, augenblicklich wieder in seine alte Ordnung und Ruhe zurückkehren konnte. Es kostete allerdings eine Kleinigkeit mehr – und das vielleicht nicht einmal. Wenn man aber all' die Unruhe und Aufregung und die vielen fremden Leute rechnete, die man gezwungen war zur Bedienung in das Haus zu nehmen, so konnte das gar nicht in Betracht kommen. Er wurde jedoch im Familienrath überstimmt, denn Frau wie Tochter hatten es sich einmal in den Kopf gesetzt, die kleine Festlichkeit auch in den eigenen Räumen zu geben, selbst wenn diese etwas beschränkt waren.

Ein Hotel – dort war die Frau Staatsanwalt weiter nichts, als was ihr Titel besagte, aber nicht die Hausfrau, und Ottilie nicht die Tochter vom Hause. Man bewegte sich in fremden Sälen genau so, als ob man wo anders zu Gaste gewesen wäre, und viele der Eingeladenen wurden sich am Ende nicht einmal recht klar, wem sie die Einladung verdankten: dem, der die Karten geschickt, oder vielleicht einem Andern, für den er das nur besorgt hatte; ja, es konnte eben so gut eine »Actien-Gesellschaft« sein, wo sich Mehrere zusammengethan, um ihre Freunde und Bekannten einmal »abzufüttern.« Da lieber nicht – die Frau Staatsanwalt erklärte, daß sie ihrem Manne »den Gefallen gethan habe,« die Freunde zu sich zu bitten (sie hatte ihn nämlich bis auf's Blut gequält und immer wieder erinnert und gebohrt, bis sie seine Einwilligung bekam), nun aber wolle sie die Sache auch ordentlich in's Werk setzen, wie sich's gehöre, und nicht halb und stückweise.

Dabei blieb es natürlich, denn der Staatsanwalt war eben nur ein Anwalt, kein Richter, besonders in seinem eigenen Hause, und hatte dafür das Vergnügen, daß ihm schon zwei Tage vor dem eigentlichen Festabend sein Studirzimmer selber, aus Mangel an Raum, mit denjenigen Möbeln vollgepfropft und verstellt wurde, die aus dem Salon und anderen Nebenpiècen ausgeräumt werden mußten, um Platz für Seitentische und den Tanzraum zu schaffen. Er protestirte allerdings dagegen und behauptete thörichter Weise, daß er zu seinen Bücher-Regalen freien Zugang haben müsse, weil er nicht wissen könne, welches er gerade brauche; aber was half es ihm! Seine Frau bewies ihm, daß die Sache nicht anders zu arrangiren sei; er habe den Ball einmal gewollt, und nun müsse er auch die Folgen tragen. Mit einem Seufzer fügte er sich deshalb in das Unvermeidliche.

Witte's Unglück war, daß seine Frau für den Adel schwärmte. Sie behauptete selber, im vierten oder fünften Zweig ihres Stammbaumes aus einer edlen Familie abzuleiten, aus welcher eine ihrer Vormütter – Gott vergebe es ihr – einmal eine Mesalliance gemacht. Für sie hatte denn auch nur der Adel Werth, und sie begriff eigentlich manchmal in stillen Stunden selber nicht, weshalb sie einen Bürgerlichen geheirathet hatte. Witte mußte jedenfalls in seiner Jugendzeit zu unwiderstehlich gewesen sein, und an der Sache war auch überhaupt nichts mehr zu ändern. Aber sie suchte sich wenigstens ihre Umgebung am liebsten unter dem Adel auf, und ihr Lieblingsgedanke blieb immer der: ihre Ottilie doch jedenfalls wieder gesetzlich und berechtigt in die Kreise und den Rang einzuführen, aus dem jene besagte Vormutter freiwillig und leichtsinniger Weise ausgetreten, das heißt, sie an einen Baron zu verheirathen.

Die eingeladenen Gäste gehörten deshalb auch vorzugsweise diesem Stande an. Es war allerdings nicht zu vermeiden gewesen, einige bürgerliche Appellations-, Gerichts- und Justizräthe wie mehrere Collegen Witte's mit ihren Familien zu laden; aber adelige Namen, mit dem »von« jedesmal deutlich ausgeschrieben, glänzten hauptsächlich auf ihrer Liste, zu der sie sich denn auch vielleicht nur aus diesem Grunde bewogen gefunden, den alten Major von Halsen und Frau von Bleßheim hinzuzufügen. Sie brauchte Tänzer, also nicht den Major; aber der Major spielte vortrefflich l'Hombre, und dazu hatte ihn sich Witte für den Abend ausersehen.

Daß Lieutenant von Wendelsheim geladen war, verstand sich von selbst. Witte hatte allerdings gegen ihn protestirt; denn wenn er auch den Verdacht des Majors für zu vage erklärte, um ihm besonders viel Glauben zu schenken, war er doch in etwas mißtrauisch geworden und wollte eine nähere gesellschaftliche Bekanntschaft nicht provociren. Aber, lieber Gott, er hätte eben so gut von seiner Frau verlangen können, an dem Abend des Balls in einem Kattunkleide zu erscheinen! Er wurde mit Entrüstung abgewiesen, ja der Lieutenant erhielt eine der ersten Karten, und das Einzige, was der Rechtsanwalt erlangen konnte, war, noch einen Referendar von seiner Seite einzuschmuggeln.

In der Ausschmückung und Arrangirung des Gesellschaftsraumes war wirklich das Aeußerste geleistet, und die Zimmer sahen in der That gar nicht mehr so aus, als ob sie zu einer stets benutzten Familienwohnung gehörten. Da stand aber auch kein Sopha und kein Stuhl mehr auf seiner alten Stelle, und der Secretär mit der Commode friedlich in der Waschküche, während wieder Chiffonièren und Schränke einen Platz auf dem Trockenboden einnahmen und dort allerdings wunderlich genug aussahen. Selbst das Heiligthum der Schlafzimmer war nicht unangetastet geblieben, und als der Staatsanwalt Abends noch einmal hineinging, um seine etwas derangirte Frisur ein wenig in Ordnung zu bringen, fand er statt des sonst gewohnten Lagers an der nämlichen Stelle einen wahren Berg von Matratzen und Kopfkissen, die fast zu Manneshöhe aufgeschichtet lagen. Aber er sagte kein Wort; nur einen tiefen Seufzer stieß er aus, arbeitete sich dann zwischen den beiden Nähtischen seiner Frau und Tochter, die hier, wie in eifriger Unterhaltung begriffen, zusammenstanden, durch, kam zu seinem Waschtisch, beendete die gewünschte Operation und gelangte nach einiger Mühe wieder in's Freie und hinaus, wo er wenigstens Raum hatte sich zu bewegen.

Aber jetzt bekam er auch keine Zeit mehr, um ein finsteres Gesicht zu ziehen, ja, er mußte im Gegentheil lächeln und sehr liebenswürdig sein, denn die ersten Gäste langten eben an, und seine Frau war mit ihrer Toilette, die sie in der Tochter Zimmer beendete, richtig noch nicht fertig geworden – Damen werden das überhaupt selten. Sie hatte aber freilich auch noch bis zum letzten Augenblick so entsetzlich viel zu thun und anzuordnen gehabt, daß ihr nicht ein Moment für sich selber blieb. Sie wollte auch, wie sie meinte, an das Fest und die Unordnung im Hause denken, und so 'was passirte ihr nicht wieder, so lange sie ein Wort da hinein zu reden hätte.

Aber das war freilich in dem Moment Alles vergessen, wo sie den hellerleuchteten, ja, von Lichtern ordentlich strahlenden Saal betrat und nun nichts mehr hörte, als das Rauschen schwerer Kleiderstoffe und süß gelispelte Begrüßungsformeln, zwischen welche sich melodisch manchmal das Klirren von einem Paar Sporen oder einer Säbelscheide mischte.

Im Anfang ging das auch vortrefflich. Die ziemlich geräumigen Gemächer, von geputzten, fröhlichen Menschen belebt, sahen vortrefflich aus, und Alles schien sich außerordentlich behaglich zu befinden; aber mehr und mehr trafen ein – es waren doch, wie das ja oft geschieht, etwas mehr geladen, als man anfangs beabsichtigt hatte, und die Zimmer dabei ebenfalls nicht so groß, wie man gedacht. Aber es half jetzt nichts, es mußte gehen, und ging, und nur die Gruppen standen ein wenig dicht, und es hatte später einige Schwierigkeit, um einen Raum zum Tanzen frei zu bekommen. Dazu herrschte gleich von Anfang an, und durch die zahlreichen Lichter noch vermehrt, eine drückende Schwüle in den Räumen, so daß die Rouleaux beseitigt und die oberen Fenster geöffnet werden mußten, wonach sich wieder einige alte Herren und Damen über Zug beklagten. Allen Menschen kann man es aber doch nicht recht machen, und da sich das junge Volk bedeutend in der Majorität befand, setzte es seinen Willen durch.

Der Staatsanwalt hatte aber auch für sich etwas durchgesetzt, und zwar auf sehr schlaue Weise, nämlich ein Spielzimmer, das zugleich zum »Rauch-Coupé« dienen sollte. Dagegen – gegen das Rauchen nämlich – hatte die Frau Staatsanwalt sich mit Händen und Füßen gesträubt, obgleich sich ein vollkommen passendes Stübchen am Ende der Wohnung befand, das aber zu entfernt vom Speisezimmer lag, um zu anderen Zwecken zu dienen und von ihr in Anspruch genommen werden konnte. Das Stübchen war dabei nur einfach gemalt, und Ottiliens Mutter hatte ihren Mann lange deshalb gequält, es einmal tapezieren zu lassen, damit man es zu einem, wie sie sagte, »anständigen« Fremdenstübchen herrichten konnte. Der Staatsanwalt war aber aus verschiedenen Gründen nie darauf eingegangen, jetzt wurde er weich. Er versprach der Gattin Wunsch zu erfüllen, wenn es ihm an dem Abend zur Disposition gestellt würde, und wie er die Einwilligung erhielt, wurde augenblicklich der Tapezierer beordert, der in unglaublich kurzer Zeit die gemalte Wand mit einer Tapete überklebte; dann kamen drei Spieltische hinein mit den nöthigen Karten und Marken, und – Aschenbecher und Feuerzeuge mit zwei Kisten ausgesuchter Havannah-Cigarren. Jetzt sah er dem Kommenden ruhig entgegen; er wußte einen Platz, wo er untertreten konnte.

In der Gesellschaft bewegte sich indessen noch Alles ziemlich wirr und ungeordnet durcheinander, denn die Leute waren noch nicht recht mit einander bekannt geworden. Thee wurde herumgereicht mit Backwerk, aber man stand zu gedrängt, und wenn Jemand der einen Dame eine Verbeugung machen wollte, so gerieth er dabei einer andern auf die Robe und mußte sich wieder entschuldigen. Doch das regulirt sich zuletzt Alles von selber.

Wenn ein Schiff, zum Ueberlaufen mit Passagieren besetzt, in See geht, so glaubt man anfangs gar nicht, daß alle die Leute mit ihren zahllosen Koffern und Kisten ein Unterkommen darauf finden können; aber kaum einmal eine kurze Zeit in See, und sie werden so in einander geschüttelt, daß noch viel mehr darauf Platz gefunden hätten. Genau so ist es in Gesellschaft. Anfangs stehen sich die Leute alle im Wege und getrauen sich gar nicht, da oder dort hinüber zu rücken. Aber das dauert nicht lange, da gewinnen auch die Blödesten ihre freie Bewegung wieder, und nur erst einmal in Bewegung, und die Masse vertheilt sich aus eigenem Antrieb bald so zweckmäßig, daß sie sogar noch Raum für die hin und her gehenden Diener läßt.

Das Militär war besonders zahlreich vertreten, vorzüglich der Stand der Lieutenants, denn schon Hauptleute sind meist verheirathet und außerordentlich schwer zum Tanzen zu bringen, während ein Major nur in Ausnahmefällen springt. Lieutenant von Wendelsheim hatte sich denn ebenfalls pflichtschuldigst eingefunden, denn wenn er sich auch nicht gerade in der Stimmung fühlte, eben jetzt einer solchen Gesellschaft beizuwohnen, mochte er auch nicht unhöflich gegen eine Familie erscheinen, die sich ihm immer so freundlich und aufmerksam gezeigt. So leichtherzig, ja man könnte sagen, leichtfertig er sich aber auch sonst bei solchen Gelegenheiten benommen, so still und zurückgezogen hielt er sich heute, mischte sich fast gar nicht unter das rege Getümmel des jungen Volkes, sondern hielt sich fast einzig und allein zu der freundlichen Wirthin selber, die auch über diese Aufmerksamkeit entzückt schien und ihn mit ihrer Liebenswürdigkeit überschüttete.

Aber das junge Volk ließ nicht lange Ruhe. Ein kleines Gerüst war für die Musici aufgebaut worden, und einige von diesen hatten sich dort sehen lassen, um ihre Instrumente einzustellen. Ein paar Geigenstriche, der Stimmung wegen, wurden dabei unvermeidlich, und der scharfe Ton derselben wirkte wie ein Zauber auf die Tanznerven der Gesellschaft.

Zuerst wurden die jungen Damen unruhig und fingen an zu flüstern und zu zischeln, dann wagte einer oder der andere der jungen Herren den allerdings lauten, aber doch aus sicherem Versteck hervorgestoßenen Ruf: »Musik!« so daß man nicht genau bestimmen konnte, von welcher Ecke er eigentlich zuerst erschallte. Da aber Ottilie selber bei der Sache interessirt war und gewissermaßen als Vice-Hausfrau fungirte, so wußte sie die Musici bald auf die Tribüne zu bringen, und erst einmal dort, verstand es sich von selbst, daß sie ihre Instrumente in Thätigkeit setzten.

Eigentlich hatte die Frau Staatsanwalt bestimmt gehabt, daß der Tanz erst nach dem Essen beginnen sollte; aber was half ihre kalte Berechnung an einem so heißen Abend. Die Leidenschaft siegte, und während der Staatsanwalt selber sich seine Mannschaft für das Rauch-Coupé zusammensuchte und dadurch ebenfalls dafür sorgte, daß ein wenig mehr Raum wurde, fing das junge Volk schon an, sich im Kreise zu drehen.

Wendelsheim hatte dabei schon aus schuldiger Artigkeit die Tochter des Hauses zum ersten Tanze engagirt und keinen Korb bekommen, und Paar an Paar schloß sich dem lustigen Reigen an, während es der Staatsanwalt dagegen lange nicht so leicht fand, die Spieltische zu besetzen. So gern nämlich viele Leute spielen, haben sie auch nur zu häufig den Aberglauben dabei, daß sie sich müssen dazu nöthigen lassen, um nachher zu gewinnen. Aber es gelang trotzdem, und er brachte, während er sich selber für das l'Hombre mit dem Major und dem Justizrath Bertling engagirte, noch eine Whist- und eine Skat-Partie zusammen, wobei sich dann noch etwa zehn oder zwölf ältere Herren der Hitze und dem Gewirr der anderen Zimmer entzogen, um hier in aller Gemüthlichkeit dem Spiel zuzusehen und dabei ihr Glas Wein zu trinken und eine Cigarre zu rauchen. Sie hätten es sich nicht besser wünschen können.

Der alte Major war ein ungemein eifriger l'Hombrespieler und vergaß merkwürdiger Weise von dem Moment an, wo er am Kartentische saß, seine ganze Krankheit und sein sonstiges Elend. Zu anderen Zeiten stöhnte und jammerte er den ganzen Tag bald über dies, bald über das, was ihn im Körper quälte und peinigte. Jetzt stöhnte er allerdings auch – denn das war ihm nun einmal zur andern Natur geworden, und er konnte es eben nicht mehr lassen –, aber keineswegs über irgend ein Krankheits-Symptom, sondern nur einzig und allein über schlechte Karten, die er, wie er äußerte, immer unter der Würde bekam. Außerdem aber verläugnete er auch beim Kartenspiel seine sonstige Unausstehlichkeit nicht und hatte bald da, bald dort etwas auszusetzen; aber er spielte sehr gut, und man ließ es sich deshalb gefallen.

So hatten die Herren, während im Saale schon flott getanzt wurde, ein paar Stunden etwa gesessen, als die Frau Staatsanwalt selber einmal hinüberging, um ihrem Gatten anzuzeigen, daß gegessen werden könne und die Herren ihr Spiel auf kurze Zeit unterbrechen möchten. Sie öffnete auch vollkommen athemlos die Thür, blieb aber wirklich vor Entsetzen wie festgebannt auf der Schwelle stehen, als ihr eine fast undurchsichtige blaue Dampfwolke entgegenquoll, in der sie nur in höchst unbestimmten Umrissen einzelne sitzende und stehende Gestalten erkennen konnte.

»Herr Du meine Güte!« rief sie ordentlich erschreckt aus. »Dietrich, wo bist Du denn?«

»Hier, mein Kind,« sagte der Verlangte, indem er sich wie ein graues Nebelbild aus dem Qualm emporhob, oder vielmehr damit in die Höhe zu steigen schien.

»Aber weshalb, um Gottes willen, öffnen Sie denn kein Fenster? – ich begreife gar nicht, daß Sie noch im Stand sind, die Karten zu sehen!«

»Das hätten wir allerdings thun können,« lächelte der Staatsanwalt verlegen, »aber wir waren so in unser Spiel vertieft....«

»Und dürft' ich die Herren bitten, hinüber zum Essen zu kommen – es ist Alles bereit.«

»Sehr wohl, gnädige Frau! – Den Augenblick! – Letztes Spiel!« und mehrere andere derartige Ausrufe antworteten ihr, während die Frau Staatsanwalt scheu wieder zurückwich und die Thür hinter sich schloß, denn in der Atmosphäre konnte sie nicht existiren, der Tabaksgeruch hätte sich ihr ja in Kleidern und Locken festgesetzt.

Begonnene Partien wurden jetzt beendet und, da der Tabaksqualm auch einmal erwähnt worden und die Herren darauf aufmerksam gemacht waren, auch die Fenster geöffnet. Dann bereitete man sich vor, um hinüber in den Speisesaal zu gehen. Die l'Hombre-Partie war am ersten aus und das Dreiblatt aufgestanden. Der Justizrath trat noch zu einem andern Tisch, als der Major den Staatsanwalt unter den Arm faßte und etwas mit sich bei Seite führte.

»Wissen Sie, Staatsanwalt, daß ich wieder auf einer neuen Spur bin?« sagte er dabei leise.

»Spur? Wohin?« sagte Witte, der noch das letzte Spiel im Kopfe hatte, das er mit den brillantesten Karten verloren.

»Nun, in der Wendelsheim'schen Sache.«

»Mein lieber Herr Major,« erwiederte der Jurist, »ich fürchte, Sie geben sich, mit anerkennenswerther Thätigkeit, da ganz vergebene Mühe; denn Sie werden zuletzt finden, daß Sie auf Ihrer neuen Spur, genau wie auf der alten, nur auf einem Holzweg sind. Die Sache ist eben ungreifbar, sie bietet nirgends einen Halt, denn Alles, was wir bis jetzt davon erfahren haben, sind eben weiter nichts als Verdachtgründe und vage Vermuthungen, und damit dürfen wir nicht arbeiten. Bringen Sie mir einen haltbaren Beweis, nur einen einzigen, dann überlassen Sie das Andere mir; denn wenn man erst das eine Ende von einem Faden hat, findet man auch das andere. Aber sonst will ich mit der Geschichte nichts weiter zu thun haben, schon des jungen Mannes selber wegen, der sogar in diesem Augenblick mein Gast ist.«

»Hol' ihn der Teufel!« knurrte der Major. »Er ist so wenig ein Baron von Wendelsheim, wie Sie und ich....«

»Wollen wir nicht zum Essen gehen? Die Herren scheinen ihr Spiel beendet zu haben.«

»Und ich setz' es doch durch,« sagte der Major, der, störrisch wie viele alte Leute, sich einmal auf den Gedanken verbissen hatte und nun mit menschlichen Mitteln nicht wieder davon abzubringen war. »Ich bin kein Advocat, aber ich wollte, ich wäre einer geworden; denn wenn irgend ein Haken an der Sache zu finden ist, ich finde ihn, Staatsanwalt, ich finde ihn – soll mich der Teufel holen!«

Der Staatsanwalt war froh, daß er Gelegenheit bekam, sich von der ihm lästig werdenden Unterredung zu befreien, und jetzt verschlang auch der Zug der in die Eßzimmer strömenden Menschen jedes weitere Gespräch, denn das wogte nur so herüber und hinüber und erforderte die ganze Aufmerksamkeit und Umsicht der Hausfrau, Allen nicht allein ihren Platz, sondern sogar ihren bestimmten Platz anzuweisen. Frau Staatsanwalt Witte war ihrer Aufgabe aber auch vollkommen gewachsen; sie hatte viel unternommen, aber nicht zu viel, und nach kaum einer Viertelstunde, wobei sich das junge Volk besonders gut amüsirte, wenn es ein wenig herüber und hinüber gestoßen wurde, fand sich die Gesellschaft wirklich untergebracht, und die Lohndiener konnten jetzt ungehindert in den Gängen hin und wieder schießen, um die verschiedenen Speisen herum zu reichen.

Ottilie war glücklich heute Abend – Lieutenant von Wendelsheim, den sie aber ausnahmsweise still und schweigsam fand, während er sonst gar nicht genug erzählen und plaudern konnte, hatte sich fast ausschließlich den ganzen Abend durch mit ihr beschäftigt und sie dann natürlich auch zu Tisch geführt. Sie saß jetzt neben ihm und mußte sich gestehen, daß ihm der Ernst viel besser stand, als das frühere, etwas fahrige Wesen. Ein wenig galanter freilich hätte er schon sein können, und sie erinnerte sich nicht, daß er ihr an dem ganzen Abend auch nur ein paar aufmerksame Worte über ihre gewiß brillante Toilette gesagt, und beim Tanze selber – das fiel ihr eigentlich jetzt erst auf – schien er ganz vergessen zu haben, ihr seine Bemerkungen über den Putz anderer Damen, worüber sie sich sonst so amüsirt, mitzutheilen. Er war wirklich heute wie ausgewechselt. Nicht einmal von seinem Fuchs hatte er gesprochen; Ottilie mußte ihn erst daran erinnern, und dann wußte er so gut als gar nichts über ihn zu sagen. Wenn sie nur im Stande gewesen wäre, heraus zu bekommen, was eine solche Veränderung bei ihm hervorgebracht – es wäre so interessant gewesen!

Ottilie war aber wirklich an dem Abend vollkommen zwischen das Militär gerathen, denn an ihrer andern Seite hatte sie noch einen Lieutenant, und dieser wußte in der That, über was er sich unterhalten sollte, denn er ließ das Gespräch mit seinen beiden Nachbarinnen auch nicht einen Augenblick stocken.

»Sage Ihnen, mein gnädiges Fräulein,« schnarrte er, »pompös heut' Abend, auf Ehre – wüßte nicht, wann mich so trefflich amüsirt hätte – à propos, haben himmelblauen Aufsatz von Frau Professor Nestewitz schon entdeckt? Himmlisch, im wahren Sinne des Worts – genau so, wie Kolibri auf Klatschrose!« und in dieser Art weiter. Ottilie gerieth auch dadurch ein paarmal ziemlich in Verlegenheit, denn eine Verwandte gerade jener etwas auffällig gekleideten Professorin saß gar nicht so weit von ihnen entfernt und hätte eigentlich das Ganze hören können, und ihr vis-à-vis war mit der Dame ebenfalls bekannt. Der Sohn des Mars schien aber einmal im Gang und nicht aufzuhalten, und überfluthete seine beiden schönen Nachbarinnen unaufhörlich bald mit solchen ziemlich rücksichtslosen Beobachtungen, bald mit den überschwänglichsten Schmeicheleien.

»Sagen Sie, Herr Lieutenant,« wandte sich endlich Ottilie, als sie nur einen Augenblick Luft bekam, an ihren Nachbar zur Linken, denn sie war entschlossen, in der Sache etwas klarer zu sehen, »weshalb sind Sie eigentlich heute so einsilbig? Fehlt Ihnen etwas, oder – noch schlimmer – langweilen Sie sich?«

»Aber, mein gnädiges Fräulein, das ist ungerecht von Ihnen,« sagte Wendelsheim freundlich, »mir auch nur fragweise einen solchen Vorwurf zu machen, denn es wäre schlimmer als undankbar, wenn das an Ihrer Seite der Fall sein könnte.«

»Also fehlt Ihnen etwas?« sagte Ottilie leicht erröthend, denn das Wort »Ihrer« war mit besonderer Betonung gesprochen worden.

»Auch das nicht,« lächelte Wendelsheim ausweichend. »Wie wäre das auch möglich? Wir schwelgen ja hier im Ueberfluß.«

»So meinte ich es nicht,« sagte Ottilie, die fest entschlossen schien, ihren Nachbar nicht so leichten Kaufs davon zu lassen. »Fühlen Sie sich vielleicht nicht wohl, oder drückt Sie ein geheimer Kummer?«

»Habe ich mich wirklich so ungeschickt benommen, daß ich in den Verdacht kommen konnte?« fragte der Lieutenant.

»Ungeschickt? O, gewiß nicht, Herr von Wendelsheim!« sagte Ottilie rasch. »Aber ich weiß nicht, der Ausdruck in Ihren Zügen kam mir so – wie soll ich nur sagen – so gedrückt, so wehmüthig vor, und ein paarmal, wenn Sie sich unbemerkt glaubten, starrten Sie so düster vor sich nieder. Sie haben doch sicher und gewiß keine Ursache, traurig zu sein?«

»Und woher wissen Sie das, mein gnädiges Fräulein?« sagte Wendelsheim, indem er ihr so voll in die Augen sah, daß sie die ihrigen verwirrt abwandte. »Wie mancher Mensch hat wirklich einen geheimen Kummer, in dem ihm entweder kein Anderer beistehen kann, oder wo er es wenigstens glaubt, die ganze Sorge auch vielleicht nur eingebildet ist, und er trägt sie nur eine Zeit lang mit sich herum und hegt und pflegt sie, bis er einsieht, daß Alles, was er bis dahin für ein Unglück gehalten, der Vorbote seines Glückes gewesen...«

Ottilie erröthete tief. »Ich will gewiß wünschen,« sagte sie endlich, »daß das auch bei Ihnen der Fall ist; mein anderer Nachbar scheint aber keinen solchen Kummer zu haben, denn er plaudert frisch von der Leber weg.«

»Glückliche Menschen,« sagte Wendelsheim, »weil sie ihre eigene Unbedeutendheit nicht fühlen; denn wenn sie einmal zur Selbsterkenntniß kämen, wäre es vorbei – gerade wie bei mir.«

»Also das wäre Ihr Kummer?« lächelte Ottilie. »Da ist es doch ein wahres Sprichwort, wenn man sagt: »Wer keine Sorgen hat, macht sich welche, oder er ist nicht zufrieden.«

»Ah, reden Sie von Sorgen?« fiel hier der unverwüstliche Nachbar ein, der das Wort aufgefangen haben mußte. »Famoser Gedanke das, hier bei diesem lucullischen Mahl und bei dem Wein von Sorgen zu reden! Halten wohl meinem Kameraden da drüben eine kleine moralische Vorlesung? Sehr liebenswürdig, meine Gnädige, denn ich fürchte fast, er kann sie nothwendig gebrauchen.«

»Ich dürfte sie dann vielleicht zwischen den beiden Herren vertheilen?« lächelte Ottilie, die ihn gern bei dem Gedanken lassen wollte.

»Bitte unterthänigst, meine Gnädige,« sagte abwehrend der junge Officier – »kriegen Nasen genug auch ohne das – auf Ehre! Wäre auch rein weggeworfene Müh' – gründlich verloren gegangene Zerknirschung verduftet, vollständig verduftet, und nichts übrig geblieben, als namenlose Seligkeit und Verzückung – auf Ehre! Schwimme in einem wahren Taumel von Wonne, und wäre grausam, daraus zu wecken!«

Mit dem jungen Mann war kein ernstes Wort zu reden, noch weniger ein vernünftiges, das fühlte Ottilie recht gut, und da dessen Nachbarin sich, vielleicht ebenfalls des Geschwätzes müde, zur andern Seite gewandt hatte, so blieb ihr, als Tochter vom Hause, nichts weiter übrig, als ihn artig anzuhören.

So verging die kurze, einer leiblichen Stärkung gewidmete Zeit, denn die jungen Damen, die überhaupt bei solchen Gelegenheiten, sehr zum Aerger älterer Herren und Damen, nur sehr wenig essen und fast gar nichts trinken, fingen schon wieder an unruhig zu werden und winkten Ottilien zu – wo das irgend unbemerkt geschehen konnte –, doch so bald als möglich nur die Tafel aufzuheben.

Ottilie zögerte noch, denn sie wußte nicht, ob es ihrem Vater recht wäre, der solche Gelegenheiten selten und nur höchst ungern zu kurz abbrach. Die jungen Dämchen, überhaupt erfinderisch in solchen Dingen, wußten aber ein anderes Mittel, das sich auch als vollkommen probat bewährte. Eine von ihnen flüsterte nämlich dem nächsten Lohndiener, bei dem sie ein Glas Wasser bestellt hatte, zu, die Musici aufzufordern, einen Galopp zu spielen, und kaum erklangen die verführerischen Töne, als auch kein Halten mehr in der Gesellschaft war. Der ältere Theil derselben sträubte sich allerdings noch und wollte Stand halten, aber unter dem Tisch trippelten schon die kleinen Füße den Tact zu der so lange ersehnten Melodie, und von da und dort her ertönte das verrätherische und zündende Geräusch eines heimlich gerückten Stuhles. Da glaubte der Staatsanwalt durch ein verzweifeltes Mittel die Tafel noch etwas zu verlängern – er wollte einen Toast ausbringen, räusperte sich und stand auf. Wie er aber nur den Stuhl zurückschob, war es, als ob ein Funke in ein Pulverfaß geflogen. Im Nu folgten zwei Drittheile der Gesellschaft seinem Beispiel; er wollte an ein Glas anschlagen, sah sich aber schon in den Strudel hineingerissen. Noch hielt er das Messer in der Hand, aber von allen Seiten preßten die jungen Damen auf ihn ein und wünschten ihm gesegnete Mahlzeit, und die Herren drückten ihm die Hand. Es war eben nichts zu machen, er mußte es aufgeben und trat mit dem demüthigenden Gefühl zurück, sich an seinem eigenen Tisch nicht einmal satt gegessen zu haben.

Jetzt war aber kein Halten mehr. Die jungen Herren, Militär wie Civil, griffen selber mit zu, um die Tische und Stühle bei Seite zu schaffen, das Dienstpersonal konnte kaum schnell genug das Geschirr retten, daß es nicht mit in die Verwirrung hineingerieth, und in unglaublich kurzer Zeit war, wenigstens im Saale selber, die Ordnung wieder so weit hergestellt, daß die Paare zum neuen Tanze antreten konnten.

Das war aber auch das Signal für die älteren Herren gewesen, sich wieder zu einer Tasse Kaffee und Cigarre in das kleine Hinterstübchen zurückzuziehen und ihr Spiel fortzusetzen, denn daß das junge Volk davon nicht so bald müde werden würde, ließ sich voraussehen.

Dort in dem Stübchen fanden sie aber eine Heidenverwirrung vor, denn die Frau Staatsanwalt hatte befohlen, sobald die Herren den Raum verlassen würden, sämmtliche Fenster ebenso wie die Thür zu öffnen, damit der Qualm einen Abzug finde und die Luft gereinigt würde. Das war auch in der That gründlich geschehen; aber der heftige Zug, der dadurch entstand, hatte sämmtliche Karten von den Tischen hinabgefegt und unter einander geworfen, so daß es einige Mühe kostete, um sie wieder in Ordnung und spielfähig zu bekommen.

Als Witte noch einmal zur Küche zurückging, um von dort einen der dienstbaren Geister einzufangen, der unter die Tische kriechen und die Karten auflesen konnte, hörte er von da her ein schallendes Gelächter und fand, als er, neugierig gemacht, hineinsah, den Schuhmacher Heßberger mitten in der Küche, wie er dort, mit einem Glas Wein in der rechten erhobenen Hand, aufrecht stand und eine Rede hielt.

»Bitte tausendmal um Escüse, Herr Geheimer Staatsanwalt,« sagte der Schuhmacher, wie er nur seiner ansichtig wurde, und machte eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung, »daß Sie uns hier in einer kleinen Conservation treffen! Da ich aber gerade ein Paar Schuh' für das unterthänigste Fräulein Tochter gebracht habe, so sagte die Frau Geheime Staatsanwalt, ich möchte so frei sein und ein Glas Wein auf ihr Wohl leeren, und das wollten mit Dank begründen....«

»Schon gut, Heßberger,« sagte der Staatsanwalt; »haltet mir nur hier die Leute jetzt nicht von der Arbeit ab, denn sie haben gerade viel zu thun. Franz, springen Sie einmal hinüber in's Spielzimmer und suchen Sie die heruntergewehten Karten mit auf!« Damit drehte er sich ab und schritt dem kleinen Zimmer wieder zu.

Im Saale wurde indessen flott getanzt, und Wendelsheim hatte natürlich zu dem ersten Galopp wieder seine Tischnachbarin aufgefordert. Ottilie war dann von ein paar anderen Herren zu den nächsten Tänzen engagirt worden, und der junge Officier benutzte die Gelegenheit, sich auf einen der Stühle zurückzuziehen und dem Vergnügen eine Weile ausruhend zuzusehen. Er war nicht in der Stimmung, selber große Freude daran zu finden.

Jetzt schwebte Ottilie an ihm vorüber, und ein freundliches Lächeln glitt über ihre Wangen, als ihr Blick den seinen traf. Er tanzte nicht, weil sie nicht mit ihm tanzen konnte – er war wirklich zu liebenswürdig! Und doch, welch andere Gedanken zuckten ihm durch den Sinn! »Merkwürdig,« dachte er, als sie, noch immer lächelnd, im Tanze ihr Gesicht so drehte, daß er das Profil zu sehen bekam, ob sie nicht Aehnlichkeit mit Rebekka hat? Ganz die leise gebogene Nase und die schwellenden Lippen; nur der seelenvolle Ausdruck der Augen, nur das reizende Grübchen im Kinn fehlen ihr; auch ihr Teint ist lange nicht so zart und weiß, das Haar nicht so üppig und natürlich gelockt. Er konnte sich nicht helfen: sein Blick mußte sie immer und immer wieder suchen, und so vertieft war er in den Gedanken, daß er nicht einmal bemerkte, wie er dabei sowohl von Ottilien als ihrer Mutter beobachtet wurde. Er vergaß sich selber, und die Gedanken flogen hinüber zu dem kleinen sonnigen Stübchen in der Judengasse, zu dem Instrument dort und seiner Sängerin, und die Gestalten vor ihm bewegten sich im Tacte der Musik wohl sichtbar, aber ungesehen vor seinen Augen.

Wie aus einem wachen Traum fuhr er auch empor, als er plötzlich seinen Namen genannt hörte und Ottilie vor sich sah, die ihm lächelnd und erröthend eine Verbeugung machte. Es war zum Cotillon angetreten, und die Damen forderten ihre Tänzer selber auf. Was er sprach – er wußte es selber nicht; er fühlte wohl, daß er blutroth dabei wurde, aber ein verlegener Lieutenant ist schon an und für sich interessant, und Ottilie führte ihre Beute im Triumph den Reihen zu.

Es war spät geworden, und der Cotillon, der mit seinen mannigfachen Variationen über eine Stunde dauerte, näherte sich seinem Ende. Aeltere Damen, die als Ehrengarde mit ihren Töchtern oder Nichten hergekommen und in irgend einer Ecke, »des langen Harrens müde,« sanft entschlummert waren, wurden von ihren Nachbarinnen geweckt und rafften sich, wie sie nur erst einmal wieder begriffen, wo sie waren und was man von ihnen wollte, mit einem »Gott sei Dank – beinah' wär' ich eingeschlafen!« zusammen. Einzelne Paare und Gruppen hatten sich schon entfernt; auch die Spielpartie war bei so vorgerückter Zeit aufgebrochen, obgleich sie keine Störung von der Frau Staatsanwalt mehr zu fürchten brauchte.

Draußen in der Garderobe suchten junge, decolletirte Damen nach ihren Mantillen, und junge Herren drückten mit Lichtern umherwartenden Dienstmädchen warm getanzte Zehngroschenstücke in die Hände. Jetzt verstummte aber die Musik, und Wendelsheim, bis zuletzt beschäftigt, empfahl sich der freundlichen Wirthin und ihrer Tochter, und war dabei so herzlich und unbefangen, und drückte der Frau Staatsanwalt so »bedeutungsvoll« die Hand, und schüttelte die des Staatsanwalts selber so ausnehmend dankbar, und küßte die Ottiliens so zart und ehrfurchtsvoll – es war ordentlich, als ob er auf zeitlebens Abschied genommen hätte. Wie er aber das Haus verließ, huschte Ottilie, ihrer fast unbewußt, in ihr jetzt dunkles Schlafzimmer, um zu sehen, ob sie nicht noch einmal seinen Schatten unten auf der Straße erkennen könne. Dort kam er – er ging quer über den Weg – ob er wohl noch einmal stehen blieb und heraufsah? Wahrhaftig, dort hielt er mitten im Fahrwege – er schaute sich gewiß nach den erleuchteten Fenstern um und suchte sie. Jetzt blitzte etwas – es war ein Funken, der stärker zu glimmen anfing. Ottilie ließ enttäuscht die Gardine fallen – er zündete sich eine Cigarre an. – Das abscheuliche Rauchen!

9.
Am andern Morgen.

Am nächsten Morgen fand sich der Staatsanwalt zu seinem Leidwesen viel früher geweckt, als ihm lieb war; denn die Nachwehen des gestern Abend erduldeten Festes mußten jetzt erst in allen Stadien durchgekostet werden – und es wurde ihm nichts geschenkt oder erspart.

Hauptursache des so frühen Alarmirens war natürlich die Nothwendigkeit, das Logis wieder in Ordnung zu bringen, ehe der übliche Besuch an dem Morgen kam, und wenn der müde Hausvater auch meinte: »Der Besuch solle zum Teufel gehen,« so wußte seine Frau doch besser, was sich schicke, und handelte danach. Dienstleute waren deshalb auch schon auf sieben Uhr früh bestellt worden, um die verschiedenen ausgestreuten Möbel wieder an ihre alten Plätze zu schaffen; zu gleicher Zeit mußten die sämmtlichen Stuben natürlich – ohne Ausnahme – naß aufgewischt und wo nöthig gescheuert werden, zu welchem Zwecke eine Anzahl von alten Weibern schon seit sechs Uhr früh, mit aufgestreiften Aermeln und sackleinene, nasse Schürzen vor, auf den Knieen herumrutschten und dabei die Familienverhältnisse ihrer Bekanntschaft besprachen.

Das aber verstand sich, als unausbleibliche Folge eines solchen Genusses, von selbst, und der Staatsanwalt hatte es voraus gewußt, ja es sogar als Schreckbild – freilich vergeblich – seiner Ehehälfte schon früher vorgehalten und gewissermaßen prophezeit. Was er aber nicht gewußt hatte, das waren die »unvorhergesehenen Fälle,« die bei derartigen Gelegenheiten nie ausbleiben und dann im Stande sind, den sonst ruhigsten Menschen zur Verzweiflung zu treiben.

Vier silberne Löffel fehlten und der schwere Deckel der silbernen Zuckerdose mit einem massiven Engel darauf, der ein flammendes Herz in der Hand hielt. Außerdem war ein Stück aus einer der guten Porzellanschüsseln, mit blau und goldenen Streifen, ausgebrochen, drei englische Gläser lagen ohne Fuß auf dem Küchentische, und die Fruchtschale von Krystall – ein Leibstück der Frau Staatsanwalt, denn sie hatte es erst zur Feier ihres Hochzeitstages im vorigen Jahr bekommen – war rettungslos geborsten und konnte jeden Augenblick auseinandergehen.

Außerdem fehlten sechs Flaschen Wein; sie hatte sie selber herausgegeben, gezählt und aufgeschrieben, und wenn sie getrunken worden wären, wie das freche Geschöpf, die Köchin, behauptete, so hätten doch wenigstens die leeren Flaschen oder selbst deren Scherben da sein müssen. Aber Gott bewahre – keine Spur davon, und sie wußte wohl, wer sie fortgetragen, denn umsonst war sie nicht schon ein paarmal im Dunkeln unten im Hausflur an einen langen Soldaten angestoßen, den sein Hauptmann doch sicher nicht dahin auf Posten gestellt hatte.

Und was nun außerdem von eßbaren Dingen fortgeschleppt worden, wollte sie gar nicht einmal rathen, denn das heilige Abendmahl konnte sie darauf nehmen, daß die Nußtorte zum Beispiel zur großen Hälfte noch vom Tisch abgetragen sei, und jetzt lagen nur noch zwei dünne Stücke auf dem Porzellanteller – und selbst auf denen fehlte das Eingemachte oben.

Aber das Alles verschwand trotzdem in dem einen Gefühl der Entrüstung über den Silberdieb und der gänzlichen Rathlosigkeit, wie man desselben habhaft werden sollte – denn wer unter all' den fremden Dienstleuten war es gewesen?

Mit dieser Nachricht wurde der Staatsanwalt auch geweckt. Er lag noch und schlummerte sanft, trotzdem daß die Nebenstube schon unter Wasser gesetzt war und die Thür eben abgescheuert wurde. Sein Morgengruß lautete:

»Weißt Du's schon, Dietrich? – vier silberne Eßlöffel und den Deckel zu der Zuckerdose, mit dem Amor, haben sie uns gestohlen, und die große gute Schüssel ist zerbrochen und die Krystallvase – vier englische Gläser und die Teller habe ich noch nicht einmal gezählt; die Maiweinbowle klingt mir ebenfalls verdächtig, wenn die nur nicht auch 'was gekriegt hat!«

»Gott sei mir gnädig,« sagte der Staatsanwalt, indem er sich, noch schlaftrunken, im Bett emporrichtete, »der Tag fängt gut an! Aber – scheuern sie denn hier die Schlafstube?«

»Nein, das ist nebenan – denke Dir nur...«

»Ich will Dir etwas sagen, Therese,« unterbrach sie der Staatsanwalt, indem er nach der neben seinem Bett liegenden Uhr sah und dazu mit dem Kopf schüttelte, »wenn Du mir nicht den ganzen Morgen verderben willst, so sei so gut und laß mich vorher aufstehen und besorge mir eine Tasse Kaffee; nachher wollen wir dann in Ruhe...«

»Ja, Kaffee,« sagte die Frau, »wir haben noch gar kein Feuer in der Küche – das sieht ja Alles aus wie Sodom und Gomorrha, und muß doch erst gereinigt und aufgewaschen werden; aber vier silberne Eßlöffel fehlen, noch dazu von den schwersten, und der Deckel von der Zuckerdose ist ebenfalls fort. Wenn da die Polizei nicht einschreitet, wozu ist sie denn da?«

Der Staatsanwalt erwiederte kein Wort; er seufzte nur aus tiefster Brust und streckte das eine Bein aus dem Bett, wonach seine Frau ihm denn wenigstens gestattete, sich unbelästigt ankleiden zu können. Durch die Thür rief sie ihm aber noch zu:

»Zieh' Dir nur auch gleich die Stiefel an, Dietrich; Du mußt unverweilt auf die Polizei und die Anzeige machen – so 'was ist ja noch gar nicht erlebt worden!«

»Das ist recht,« murmelte der Staatsanwalt vor sich hin, indem er seine verschiedenen Leiden, aber mit einer gewissen Resignation, aufsummirte: »Morgens vor Tag aufstehen, Stuben scheuern, keinen Kaffee, Silber gestohlen, Geschirr zerbrochen, Waschtisch mit Nähtischen verbarrikadirt, Stiefel anziehen und auf die Polizei laufen – na, an das Vergnügen will ich denken!«

Der Ausgang auf die Polizei diente übrigens doch als Rettung aus diesem Heidenwirrwarr der eigenen Wirthschaft. Vor allen Dingen ging er, nachdem er sich angezogen, in das nächste Hotel und trank dort im Speisesaale, bei offenen Thüren und Fenstern, wobei alle Stühle auf den Tischen standen und zwei Stubenmädchen einen furchtbaren Staub mit Auskehren machten, seinen Kaffee. Dann machte er die Anzeige der gestohlenen Sachen in der festen Ueberzeugung, daß die Polizei eben so wenig über den Diebstahl herausbekommen würde, wie er selber, und nachher lief er hinaus auf die Promenade und rauchte seine Cigarre – was sollte er jetzt in seiner Wohnung thun? Dort fing ihn Rath Frühbach ab und erzählte ihm sehr interessante Geschichten: eine von einem Gummischuh, den er einmal nicht anbekommen hatte, aber nachher doch noch – von seinem Zusammentreffen mit dem früheren Handelsminister, der so geheimnißvoll gethan hatte, daß er gleich merkte, es müsse etwas vorgefallen sein – von einer berühmten Sängerin, mit welcher er einmal zufällig in einer Droschke vom Bahnhofe gefahren – von seinem Schneider, den er abgeschafft und wieder angenommen hätte, und noch mehrere andere Erlebnisse, bis der Staatsanwalt endlich aus blanker Verzweiflung eine Droschke anrief und irgend ein Haus in einer entfernten Straße nannte, nur um Ruhe für seine Gehörwerkzeuge zu bekommen.

In seiner Wohnung herrschte indessen die Thätigkeit eines Bienenschwarmes, und die Frau Staatsanwalt, darin besonders tüchtig und erfahren, setzte es auch durch, sie bis elf Uhr Morgens wieder wie ein Puppenstübchen hergestellt zu haben. Es roch allerdings noch ein wenig darin nach Seife, und ein feuchter Dunst lag auf dem Ganzen; aber es war doch Alles wieder rein und stand auf seiner Stelle – die Studirstube ihres Mannes ausgenommen. Aber die hatte noch Zeit, da ja dort Niemand hineinkam, als er selber. Die Schreiber nebenan saßen indessen schon wieder auf ihren Drehstühlen und copirten und excerpirten nach Herzenslust.

So war es zwölf Uhr geworden und richtig schon hier und da ein Besuch gekommen, der sich erkundigte, wie man geschlafen hatte und ob der gestrige Ball gut bekommen wäre. Bei den Meisten war dies auch nur eine leere Höflichkeitsform, aber es füllte doch die Zeit aus, und das ist bei vielen Menschen schon von großem Werth. Die Unterhaltung der Frau Staatsanwalt drehte sich jedoch an diesem Morgen so ausschließlich um das Thema der Schlechtigkeit der jetzigen Menschen im Allgemeinen und silberne Löffel und Zuckerbüchsendeckel insbesondere, daß Ottilie, der die ewige Wiederholung langweilig zu werden anfing, die jüngeren Damenbesuche in ihr eigenes Zimmer nahm – nur die Herren wurden bei Mama empfangen.

Gegen ein Uhr trat eine kleine Pause ein; die Frau Professor Nestewitz war allein noch da und zeigte, da sie selber in der vorigen Woche den Verlust dreier Theelöffel zu beklagen gehabt, ein so warmes Interesse an der Sache und so tiefe Entrüstung, daß sie die Frau Staatsanwalt, als sie Abschied nahm, bis an die Treppe begleitete und dort die Angelegenheit noch einmal von vorn und gründlich durchnahm.

Ottilie war allein im Zimmer, als sie hörte, wie das Mädchen einen neuen Besuch brachte. Es war ein männlicher Schritt, und ihr Herz klopfte ein wenig – Lieutenant von Wendelsheim hatte auch gar so lange auf sich warten lassen; als sie sich aber der Thür zuwandte, erschien nicht der Erwartete, sondern Fritz Baumann auf der Schwelle, und zwar hielt er den Thermometer in der Hand, den er schon vor einiger Zeit zur Reparatur erhalten. Uebrigens konnte es ihr nicht entgehen, daß er heute anders aussah als gewöhnlich, denn er war nicht in seinen Arbeitskleidern, sondern in einem dunkeln, saubern Anzug, der ihm vortrefflich stand.

Fritz Baumann war überhaupt ein ganz hübscher Bursche – oder Bursche konnte man eigentlich kaum mehr sagen, denn er mußte die Zwanzig schon lange überschritten haben. Sein gutmüthiges, offenes Gesicht mit den klugen dunkeln Augen nahm auf den ersten Blick für ihn ein, und der kleine Schnurrbart, den er trug, gab ihm dabei etwas Männliches. Auch seine Gestalt war schlank und edel, und er bewegte sich damit frei und ungezwungen – wenigstens wenn er draußen und unter seines Gleichen war. Jetzt dagegen schien er etwas befangen, und es war fast, als ob er ganz vergessen habe, daß er eine gefertigte Arbeit trug und abgeben wolle, denn er fand nicht gleich ein Wort zur Einführung. Ottilie half ihm darüber hin.

»Ah, Herr Baumann,« sagte sie freundlich, »Sie bringen mir den Thermometer wieder; das ist mir sehr lieb, denn – Vater hat schon ein paarmal danach gefragt.«

»Ja, mein Fräulein,« sagte der junge Mann, der dadurch wieder Luft bekam, indem er ihr den Gegenstand reichte; »er war gestern schon fertig, da ich aber hörte, daß Sie Gesellschaft hätten, wollte ich nicht stören.«

»Und Sie bemühen sich dabei immer selber.«

»Und soll ich das nicht?« sagte Fritz herzlich. »Wie selten wird mir überhaupt Gelegenheit geboten, Sie zu sehen, und ich möchte doch so gern, daß Sie nicht vergäßen, wie wir als Kinder mit einander gespielt und immer ungeduldig wurden, wenn Einer auf dem Platze fehlte!«

Ottilie war blutroth geworden und stand verlegen, den Thermometer noch immer in der Hand haltend – er zeigte schon auf 30 Grad Réaumur –, vor dem jungen Manne. Wohl erinnerte auch sie sich der Zeit – lieber Gott, sie lag ja noch nicht einmal so übermäßig fern – und sie wußte auch recht gut, daß gerade Fritz immer ihr liebster Spielgefährte gewesen und sich ihrer am treuesten und mannhaftesten angenommen hatte, wenn irgend Jemand ihr zu nahe treten wollte. Aber ihr Vater hatte damals – sich erst aus ziemlich ärmlichen Verhältnissen wacker emporarbeitend – noch kein so großes Haus gemacht. Die Nachbarskinder standen ihr näher; jetzt war sie in andere Kreise eingeführt und schon seit Jahren nicht mehr mit ihnen, außer einem flüchtigen Gruß, zusammengetroffen. Eigentlich gehörte es sich auch gar nicht, daß sie der junge Handwerker jetzt daran erinnerte, denn er mußte dies ja ebenfalls wissen, und die Spielzeit ihrer Kinderjahre lag doch längst hinter Beiden.

Auch Baumann fand nicht gleich ein Wort wieder, und zwar weniger aus Verlegenheit, als weil ihn die Erinnerung zu jenen fröhlichen, glücklichen Stunden zurückführte, und er im Geist noch das kleine hübsche Mädchen mit dem flatternden Lockenkopf und den vor Lust gerötheten Wangen jetzt in der aufgeblühten Jungfrau wiedersah.

»Damals war es doch eine herrliche Zeit,« fuhr er endlich leise fort, »und das einzige Böse nur bei der Sache, daß Kinder eigentlich nie wissen, wie glücklich, wie namenlos glücklich sie sind; sie könnten es freilich sonst auch gar nicht ertragen.«

»Ja, das ist allerdings schon eine lange Zeit her,« sagte Ottilie, die doch wohl fühlte, daß sie etwas darauf erwiedern müsse; »ich glaube, ich war damals ein recht wildes Mädchen.«

»Ich sehe Sie noch vor mir,« nickte Baumann, »als Sie an jenem Morgen, wie der Strom die ganzen Wiesen und Felder überschwemmt hatte, in den Kahn gestiegen waren und, als dieser sich losriß, draußen auf dem Wasser mit der Strömung forttrieben.«

»Und Sie sprangen damals hinein, um mich an Land zu bringen.«

»Gefahr war nicht dabei,« schüttelte Fritz Baumann mit dem Kopf, »denn Sie hätten doch an den Damm antreiben müssen; aber ich freue mich noch darüber, daß Sie damals gar nicht weinten oder um Hülfe riefen, sondern nur ruhig und trotzig im Boot standen.«

»Es war so ungezogen...«

»Wir sind Beide älter geworden,« setzte der junge Mann nach einer Weile hinzu – »unsere Wege liefen auseinander, und wir verbrachten unsere Zeit getrennt. Sie zogen in ein großes, schönes Haus und wuchsen zur Freude Ihrer Eltern heran; ich selber mußte etwas Tüchtiges lernen, um mir einmal mein Brot zu verdienen und einen Hausstand zu gründen. Ich weiß nicht, Fräulein Ottilie, ob es Sie vielleicht interessirt zu erfahren, daß ich jetzt meinen Zweck erreicht. Mein Meisterstück habe ich schon vor einem halben Jahre gemacht und eingeliefert. Es ist nicht allein sehr günstig aufgenommen worden, sondern ich schickte es auch auf die Londoner Ausstellung und bekam dafür die goldene Medaille. Ich bin jetzt im Begriff Meister zu werden, und will mich in der Stadt hier, da ein einziger Mechanikus wirklich nicht mehr all' die einkommende Arbeit bewältigen kann, in nächster Zeit etabliren.«

Ottilie schwieg und horchte nach der Thür; es war ihr, als ob sie draußen wieder fremde Stimmen gehört hätte – Lieutenant von Wendelsheim war viel zu aufmerksam, als daß er den schuldigen Morgenbesuch hätte versäumen sollen – wenn ihn wirklich sonst nichts hieher trieb, als eben nur die kalte Artigkeit.

»Das freut mich in der That,« sagte sie und erglühte dabei wie eine Rose, denn draußen unterschied sie jetzt deutlich die Stimme des Erwarteten, der sich noch mit ihrer Mutter auf dem Vorsaal unterhielt.

»Wie gut Sie sind, Fräulein,« sagte Fritz, der das augenscheinliche Erröthen einer ganz andern Ursache zuschrieb, »noch immer wie früher. Ich bin auch nicht mittellos; meine Mutter hat von einer Erbschaft, die sie früher gemacht...«

Die Stimmen draußen waren dicht vor der Thür.

»Sie entschuldigen mich gewiß heute,« sagte Ottilie, »wir werden so mit Besuchen gedrängt...«

»Ja, ich glaube, es kommt sogar in diesem Augenblick Besuch,« sagte Fritz, jetzt selber aufhorchend – in seiner Erregung hatte er gar nicht darauf gehört – »ich darf Sie dem nicht entziehen. Vielleicht findet sich später einmal eine passendere Zeit...«

»Gewiß, gewiß – es wird mich immer freuen...«

Die Thür wurde aufgemacht, aber es kam noch Niemand herein, denn die Mutter wollte den Herrn Lieutenant in's Zimmer nöthigen, während er darauf bestand, der Dame den Vortritt zu lassen.

Fritz Baumann sah, daß eine weitere Unterhaltung jetzt zu den Unmöglichkeiten gehöre, und machte Ottilien nur eine stumme Verbeugung; aber er traf ihr Auge nicht mehr, das an der Thür haftete, und verließ, Frau Staatsanwalt Witte ebenfalls achtungsvoll grüßend, das Zimmer, um nach Hause zurückzukehren. Er sah auch noch, daß der Besuch der Lieutenant von Wendelsheim war; aber Du lieber Gott, das gehörte einmal zu den Lasten des höheren Lebens, daß man es sich erst mit großen Gesellschaften schwer machte und dann auch noch die Bürde langweiliger Höflichkeitsbesuche trug. – Wenn er nur hätte ahnen können, wie lästig gerade Ottilie diesen Besuch ansah!

Wendelsheim hatte indessen, ohne den Fremden weiter zu beachten, während ihm jedoch die Frau Staatsanwalt erstaunt nachsah, das Zimmer betreten; er ging ohne Weiteres auf Ottilie zu, nahm ihre Hand, führte sie an seine Lippen und sagte – er war in diesem Augenblick wieder ganz Lieutenant: »Mein gnädiges Fräulein, ich schätze mich glücklich, Sie heute Morgen so frisch und blühend begrüßen zu können – brauche also gar nicht zu fragen, wie Ihnen die gestrige Anstrengung bekommen ist – wie ich zu meiner Freude sehe, vortrefflich!«

»Sie sind sehr gütig, Herr Baron,« sagte die Mutter, während das junge Mädchen wie mit Purpur übergossen vor ihm stand. »Aber wer war denn der junge Herr eben, Ottilie? Den kannte ich ja gar nicht.«

»Der junge Baumann,« sagte die Tochter, »der den Thermometer hier gebracht hat« – er zeigte jetzt fast Siedehitze –, »er wollte ihn selber abgeben, damit er nicht wieder zerbrochen würde.«

»Das war der Fritz Baumann?« rief die Mutter aus. »Herr Du meine Güte, und er sah so anständig aus, ich habe ihm eine ordentliche Verbeugung gemacht – ich kannte ihn gar nicht!«

»Er ist selbstständig geworden – aber Ihnen ist der Ball ebenfalls gut bekommen, Herr Baron?«

»Ausgezeichnet, mein gnädiges Fräulein; ich habe vortrefflich geschlafen, aber die ganze Nacht von weiter nichts geträumt, als mißglückten Touren und allen möglichen Fatalitäten.«

»Ob Einem das aber nicht immer so geht,« sagte die Mutter; »ich habe geträumt – aber wollen der Herr Baron sich denn nicht niederlassen, Sie nehmen uns ja sonst die Ruhe mit – ich habe geträumt, das Mädchen hätte den Rehrücken in die Kohlen fallen lassen und die Eistorten wären ganz aus einander geschmolzen gewesen. Aber wissen Sie schon, daß uns gestern so viel Silberzeug gestohlen worden ist?«

»In der That, gnädige Frau? Das bedauere ich ja unendlich!«

»Ja, denken Sie nur, wie ich die Löffel heute Morgen nachzähle – gestern Abend war ich so müde, daß ich die Augen nicht mehr aufhalten konnte...«

»Aber, liebe Mutter, das interessirt ja doch den Herrn Lieutenant nicht!«

»Bitte, mein gnädiges Fräulein, gewiß...«

»Siehst Du wohl, Kind – das wußte ich auch vorher. Wie ich also die Löffel heute Morgen nachzähle, fehlen richtig gerade vier von den allerschwersten und der Deckel von der silbernen Zuckerdose, mit einem Engel, einem Amor, massiv in Silber, oben drauf.«

»Aber wie ist das möglich?«

»Ja, das sage nun ein Mensch – bei dem Staatsanwalt – und dabei haben wir Polizei im Ort, und reitende Gensdarmen, und einen Stadtrath und Stadtverordnete! Aber ich will keinen Kopf wieder ruhig auf ein Kissen legen, bis ich die Räuberbande herausgefunden habe und die Kerle am Galgen sehe, denn den haben sie im reichsten Maß verdient! Der Deckel ärgert mich nur, und gleich vom ganzen Service weg; aber was macht sich so ein schlechter Mensch daraus, wenn er Einem ein Service verdirbt – die lachen noch darüber!«

»Ich will nur hoffen, daß Sie die Gegenstände wiederbekommen!«

»Ja, es wäre wirklich zu wünschen – und das waren noch nicht einmal die ersten; schon in voriger Woche sind uns einzelne Löffel abhanden gekommen. Es muß auch ein Hausdieb sein, das lasse ich mir gar nicht ausreden; denn ein anderer Mensch hätte die Frechheit nicht, blos hieher zu kommen, um Löffel zu stehlen und Deckel von Zuckerdosen.«

Die Frau konnte das unselige Silberzeug nicht aus dem Kopf bekommen. So oft auch Ottilie versuchte, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, es blieb vergebens, während der Lieutenant zu viel Tact besaß, um nicht Alles über sich ergehen zu lassen. Es war eben ja Besuch, der bekanntermaßen nicht unter die Vergnügungen gezählt werden darf.

Endlich kam ein Blitzableiter – die Frau Appellationsgerichtsräthin Nebeldamm, die denn allerdings die nämliche Sache noch einmal erfuhr, nothgedrungen aber auch die Zuckerdose, auf welche der fehlende Deckel gehörte, von Angesicht zu Angesicht sehen mußte.

Die Frau Staatsanwalt führte sie hinüber; sie hätte gern den Lieutenant ebenfalls gebeten, mitzugehen – er würde bei der Gelegenheit auch gleich ihr Silberzeug beisammen gesehen haben. Aber der Schrank sah leider noch ein wenig zu unordentlich aus; die Zeit heute Morgen war ja nur so kurz und sie selber nicht im Stande gewesen, Alles wieder in der gehörigen Ordnung wegzuräumen.

»Es war so wunderhübsch gestern Abend,« sagte Ottilie, wie sie nur erst einmal Luft bekam, auch ein Wort zu reden, »und ich habe mich so herrlich amüsirt!«

»In der That, mein gnädiges Fräulein,« erwiederte Bruno – und wieder fiel ihm die Aehnlichkeit zwischen ihr und Rebekka auf – »ich muß Ihnen auch gestehen, daß ich lange nicht so viel getanzt habe.«

»Aber zuletzt wurden Sie so still und nachdenkend; Sie müssen drei oder vier Tänze versäumt haben. Sie wurden gewiß müde?«

»Nein, das nicht – auf – wirklich nicht, aber – Sie wurden ja engagirt.«

»Aber die anderen Damen würden sich ebenfalls sehr gefreut haben, von einem so guten Tänzer engagirt zu werden,« lächelte Ottilie, und Wendelsheim wurde so verlegen, daß er nicht gleich wußte, was er erwiedern sollte.

»Ihr Herr Vater ist wohl nicht zugegen?« sagte er endlich.

»Vater wird sehr bedauern, Sie heute Morgen nicht zu sehen,« fuhr Ottilie fort; »er mußte der unangenehmen Sache wegen in die Stadt und ist noch nicht zurückgekehrt. Aber was sehen Sie mich immer so sonderbar an?« lächelte sie plötzlich. »Trage ich irgend etwas Auffälliges an mir?«

»Ich? – Sie? Nein, gewiß nicht!« rief Wendelsheim. »Entschuldigen Sie, aber – Sie können es mir auch nicht verdenken,« setzte er rasch gefaßt und galant hinzu; »es ist etwas Seltenes, nach einer durchtanzten Nacht eine junge Dame wieder so morgenfrisch zu finden, und thut den Augen ordentlich wohl.«

»Ah, Sie können auch schmeicheln! Die Eigenschaft hatte ich noch nicht bei Ihnen entdeckt.«

»Schmeicheln? Nein, gewiß nicht, liebes Fräulein! Ich hasse die faden Schmeicheleien und glaube, ich darf dabei, um mit der Tochter eines Anwalts zu reden, »nicht schuldig« plaidiren. Ich begreife auch wirklich manchmal nicht, wie junge Damen etwas Derartiges gern anhören mögen.«

»Wer weiß denn, ob sie es gern thun?« sagte das junge Mädchen. »Aber was will man machen? Viele junge Herren kennen gar keine andere Unterhaltung, und wenn man ihnen die abschneiden wollte, so ist es sehr die Frage, ob sie nicht gänzlich stumm würden.«

»Und wäre das ein Verlust?«

»Für sie selber jedenfalls. Aber nehmen Sie auch meine Frage nicht zu ernst; ich hatte Ihnen den Vorwurf gewiß nicht machen wollen. Doch was ich gleich sagen wollte: ich habe Sie ja heute Morgen nicht hier vorbeireiten sehen – und gestern und vorgestern auch nicht, wie mir jetzt einfällt.«

»Sie werden mich auslachen,« sagte Wendelsheim, »und mich inconsequent nennen, aber ich besitze in diesem Augenblick nur noch mein altes Pferd, das ich schonen muß, denn ich habe den Fuchs wieder verkauft.«

»Das wunderschöne Thier!«

»Ich bekam ein gutes Gebot und – er gefiel mir auch nicht besonders – er war sehr unartig und scheute gern.«

»Aber Sie reiten sonst immer die wildesten Pferde!«

»Vielleicht bin ich vorsichtiger geworden,« lächelte der Officier.

»Ach, das wäre recht zu wünschen,« sagte Ottilie mit ordentlich komischem Ernst, indem sie die Hände dabei faltete.

»Sie haben sich doch nicht etwa meinetwegen schon gesorgt, mein Fräulein?« sagte der junge Mann freundlich. »Es würde mich sehr glücklich machen, wenn ich das wüßte!«

»Ich war einmal Zeuge, wie der Rappe damals mit Ihnen durchging.«

»Ah, an jenem Tage,« nickte der Baron, und es war, als ob eine Wolke über seine Stirn flöge; »ja, das war ein böses Thier – aber,« brach er plötzlich ab, »wir unterhalten uns richtig wieder von Pferden, das Ungeschickteste, was ein Herr in Gegenwart einer Dame thun kann.«

»Ich glaube, ich habe selber davon angefangen.«

»Dann werde ich mich Ihnen dankbar zeigen und das Gespräch auf die gestrigen Toiletten bringen. Wissen Sie, daß ich lange nicht so geschmackvolle Toiletten gesehen habe, wie gestern Abend?«

»Auch die der Frau Professor Nestewitz?« lächelte Ottilie.

»Die war allerdings nicht ganz geschickt gewählt,« sagte Wendelsheim achselzuckend. »Damen, die über das jugendliche, ja nur über das jugendfrische Alter hinaus sind, sollten sehr vorsichtig darin sein, nicht zu modern und in zu auffallenden Farben zu gehen; aber wie oft wird das doch versäumt, und die Trägerinnen sehen dann, anstatt pompös, gewöhnlich nur komisch aus.«

»Für einen Lieutenant,« lächelte Ottilie, »entwickeln Sie ganz achtungswerthe Kenntnisse in der Toilette.«

»Bitte, mein gnädiges Fräulein, von Kenntnissen kann da keine Rede sein; das Ganze ist ja überhaupt nur Gefühlssache.«

»Vielleicht haben Sie sogar recht.«

»Möglich, aber dann ist es nur das Urtheil der Menge, das ich ausspreche. Das gerade gefällt mir auch an Ihnen, daß Sie sich immer so einfach kleiden, Fräulein; Sie glauben gar nicht, wie gut Ihnen so ein hohes, dunkles, eng anschließendes Kleid steht!«

»Soll ich Sie wieder denunciren?« drohte Ottilie schelmisch mit dem Finger.

»Nein, Fräulein Ottilie,« sagte Wendelsheim treuherzig, indem er ihr die Hand hinreichte, »wahrhaftig nicht! Ich will Ihnen gern zugeben, daß ich früher nicht besser wie mancher der Uebrigen gewesen bin und entsetzlich fades Zeug geschwatzt haben mag; aber ich glaube, ich habe mir das abgewöhnt, gebe mir wenigstens die größte Mühe, und Ihnen gegenüber am allerwenigsten würde ich mich falsch zeigen.«

»Ich glaube Ihnen ja so gern, Herr von Wendelsheim,« sagte Ottilie, indem sie der ausgestreckten Hand begegnete; »es war auch nur ein Scherz, aber Sie wissen....«

Das Gespräch ward hier abgeschnitten, denn die beiden älteren Damen traten wieder in das Zimmer, und die Frau Appellationsgerichtsräthin, nachdem sie erst die identische deckellose Zuckerdose selbst gesehen, war so entrüstet über den Diebstahl, daß sie kaum Worte genug dafür finden konnte. Eine andere Unterhaltung wurde zur Unmöglichkeit, und nachdem Wendelsheim noch ein paar freundliche Worte mit dem jungen Mädchen gewechselt, empfahl er sich und ließ Ottilie mit einem ganzen Herzen voll Seligkeit zurück.

10.
Neue Spuren.

Der alte Major von Halsen war ein wunderlicher Kauz und so obstinat in seinem ganzen Wesen, wie unberechenbar in seinen eigenen Ansichten. Jetzt, in diesem Augenblick, behauptete er etwas, und wenn irgend Jemand dem widersprach, so konnte er in der Vertheidigung des Behaupteten fast außer sich gerathen; kam aber nach einiger Zeit das Gespräch zufällig auf denselben Gegenstand und irgend jemand Anderes stellte das als Thatsache auf, was er früher selber Wort für Wort verfochten, dann war er auch im Stande, ganz entschieden auf die andere Seite hinüber zu springen und nun alle die Beweisgründe gegen den aufgestellten Satz hervor zu suchen, die früher gegen ihn selber angewendet worden.

Genau so machte er es in seiner ganzen Lebensweise, und während er sich heute einredete, daß er todsterbenskrank sei und vielleicht die nächste Woche, den nächsten Tag nicht mehr erleben würde, vergaß er plötzlich einmal das imaginäre Elend und hinkte so flott und rüstig in der Stadt umher, als ob er ein paar Jahrzehnte von seinem Alter abgeschüttelt hätte und nie in seinem Leben krank gewesen wäre.

Eine solche Haupttriebfeder erneuter Thätigkeit war die in Aussicht gestellte Erbschaft jenes alten, längst verstorbenen Freiherrn von Wendelsheim, die aber, nach allen menschlichen Begriffen, schon lange für ihn verloren sein mußte, da sämmtliche an die letzte Linie Wendelsheim gestellten Bedingungen am Vorabend ihrer Erfüllung standen. War das Geld aber erst einmal, und wenn auch nur für eine einzige Stunde, verfallen und ausgezahlt, dann hätten ihm alle Processe der Welt nichts mehr genutzt, und da er das wußte, trieb es ihn ordentlich wie mit einer feindlichen Macht vorwärts, um wenigstens jeden möglichen Augenblick zu benutzen, sein Ziel zu erreichen und die Ansprüche des von ihm gründlich gehaßten alten Freiherrn von Wendelsheim umzustoßen.

Er hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, daß in der Erbfolge des Hauses faules Spiel getrieben sei. Wie er dazu gekommen, wer konnte es sagen! Jedenfalls kannte er den Charakter des alten Kammerherrn von früheren Zeiten her genau, um ihm etwas Derartiges zuzutrauen, und das, mit dem damals unter den Leuten verbreiteten Gerücht zusammengebracht, mochte dann wohl bei ihm zur fixen Idee geworden sein, die ihn eben nicht ruhen und nicht rasten ließ. – Den Staatsanwalt Witte, einen scharfen und klaren Kopf, hatte er dabei seinen Ansichten zu gewinnen gesucht, und die Möglichkeit eines solchen Falles, mit manchen sogar dafür sprechenden Einzelheiten, machten diesen anfangs selber stutzen und Interesse an der Sache nehmen. Wie sich aber mehr und mehr herausstellte, daß Alles, was der Major wußte oder zu wissen glaubte, nur eben auf leeren, unhaltbaren Gerüchten, ohne irgend einen auch nur annähernden Beweis, beruhte, zog er sich von dem Ganzen zurück und war besonders unter keiner Bedingung dazu zu bringen, eine wirkliche Klage zu erheben. Er wenigstens wollte sich nicht blamiren.

Der Major hing aber jetzt sogar für kurze Zeit seine oft von ihm ausgesprochene lebensgefährliche Krankheit an den Nagel und beschloß, selber der Sache auf den Grund zu gehen.

Einen neuen Sporn dazu fand er allerdings in der Frau Meier, die ihren besondern Grund haben mußte, jene Familie oder wenigstens den alten Freiherrn zu hassen, und diese gab ihm auch bereitwillig, so weit ihr Gedächtniß ausreichte, eine Liste aller der Dienstboten, die zu jener Zeit auf dem Gute in Dienst gestanden, während der Major nun seinerseits alle Minen springen ließ und keine Kosten scheute, um die namhaft gemachten Personen wieder aufzufinden.

Dreiundzwanzig, ja fast vierundzwanzig Jahre sind aber eine lange Zeit, und es gelang ihm nur bei sehr Wenigen. Viele waren gestorben oder verschollen, Manche fortgezogen, Niemand konnte sagen wohin, und den Namen der Hauptperson, der Amme, die damals angenommen worden, kannte sie gar nicht oder konnte sich nicht mehr darauf besinnen. Einer aber, der vielleicht Auskunft geben konnte, war der damalige Gärtner, ein Mann Namens Tettelberg, der sich schon vor längerer Zeit in der Nachbarschaft von Alburg angekauft haben und später in die Stadt selber übergesiedelt sein sollte. Diesen hatte auch der Major gemeint, da er erst kürzlich seine Wohnung ausgekundschaftet, als er am Ballabend dem Rechtsanwalt von einer »neuen Spur« gesprochen. Aber auch das schien auf diesen seine Wirkung verfehlt zu haben, und der Major beschloß deshalb, ihn selber aufzusuchen. Er wollte wenigstens nichts versäumen, was ihn zu dem ersehnten Ziel führen konnte.

Eines Morgens um zehn Uhr war er deshalb auch schon unterwegs, denn er kannte den Platz genau, da es das nämliche Grundstück zu sein schien, auf dem sein alter Bekannter Rath Frühbach wohnte. Er hatte auch anfangs nicht übel Lust, den Rath selber mit in das Geheimniß zu ziehen und seine Meinung darüber zu hören; aber der Mann sprach zu viel. Er traute ihm nicht, daß er es bewahren würde, und hielt es deshalb für gerathener, lieber vorsichtig zu Werke zu gehen und nicht mehr als unumgänglich nothwendig zu Mitwissern zu machen. Wer mochte denn auch sagen, ob im andern Falle der alte Freiherr nicht Wind von den Nachforschungen bekam und seine Maßregeln danach nehmen würde, während er jetzt, in vollständige Sicherheit eingewiegt, keine Ahnung irgend einer ihm etwa drohenden Gefahr haben konnte und deshalb also auch der Sache ruhig ihren Lauf ließ?

Jene Wohnung lag allerdings eine ziemliche Strecke von seinem Hause entfernt, und zu jeder andern Zeit würde der Major die Zumuthung, einen solchen Weg bei seiner Körperschwäche zu Fuß zurückzulegen, mit Entrüstung und einem entsetzlichen Stöhnen abgewiesen haben. Heute dachte er aber weder an Rheumatismus noch fliegende Gicht, und setzte die alte Frau von Bleßheim auf's äußerste in Erstaunen, ihn, statt hülflos in seinem Lehnstuhl, stramm und entschieden vor seinem Spiegel zu finden, wo er sich den langen Schnurrbart auskämmte und an der Cravatte zupfte. Er ließ auch alle Einreden wegen noch zu früher Tageszeit, Ostwind oder Regendrohen nicht gelten, nahm seinen Stock, setzte seinen grauen Filzhut auf und hinkte rüstig, wenn auch ein wenig knochensteif, auf seine Entdeckungstour aus. Freilich mußte er sich dabei gestehen, daß ihm nur sehr geringe Aussichten blieben, wenn sich auch dieser Zeuge nicht bewährte oder doch weiter nichts aufbringen konnte, als ebenfalls Vermuthungen und Gerüchte; aber er verlor deshalb den Muth nicht, denn er war, wie er sich selber vorerzählte, ein alter Soldat, der vor Schwierigkeiten oder Hindernissen nicht zurückschrecken dürfe. Nein, im Gegentheil, je mehr ihrer sich zeigten, desto hartnäckiger hieß es ihnen zu Leibe rücken.

Der Weg war übrigens ziemlich weit, oder kam ihm wenigstens so vor, denn der alte Gärtner wohnte draußen vor der Stadt, eigentlich im letzten Hause, und an seiner Hecke begannen die Felder und Wiesen; aber durch die Anlagen ging es sich auch vortrefflich, und er hatte bald das kleine, in grünen Büschen fast versteckte Haus herausgefunden, in welchem der alte Tettelberg eine, allerdings sehr beschränkte Handelsgärtnerei angelegt und dort, ziemlich zurückgezogen von der Welt, aber noch immer wacker arbeitend und selber schaffend, lebte.

Dicht neben ihm, auf dem nämlichen Grundstück in einer Parterrewohnung, residirte Rath Frühbach, und der Major sah, als er den Garten betrat, die ganze Familie, Mann, Frau und Kinder, »auf der Weide,« das heißt, alles von Früchten absuchend, was noch irgendwo an Busch oder Baum hing. Da er ihnen aber jetzt nicht gern begegnen wollte, drückte er sich seitab um das Haus herum, wo er Tettelberg's Behausung ebenfalls erreichen konnte, und fand den alten Mann, der überhaupt nie ausging, auch daheim.

»Hören Sie einmal, Tettelberg,« fing hier der alte Herr ohne weitere Umschweife an, »ich bin der Major von Halsen, möchte gern ein paar Worte mit Ihnen über eine alte Geschichte reden. Haben Sie einen Augenblick Zeit?«

»Zeit, Herr Major?« sagte der Mann. »Wenn man erst einmal so alt ist, hat man eigentlich keine mehr; aber das bischen Graben kann wohl eine Viertelstunde warten; der Buckel thut mir so weh.«

»Donnerwetter,« sagte der Major, »graben Sie denn noch selber in Ihrem Garten? Wie alt sind Sie?«

»Wird wohl so um die Zweiundsiebenzig herum sein,« meinte der Alte; »ganz genau kann ich's nicht sagen, denn ich bin gerade an einem Schalttag geboren und dadurch in der Rechnung etwas confus geworden. Kommt aber auf ein paar Jahre nicht an, so lange man nur noch gesund ist. Aber was war es denn, was Sie mir sagen wollten?«

»Können wir nicht einen Augenblick in's Haus gehen?«

»Ja, gewiß. Bitte, treten Sie hier gleich ein; wir sind da ganz ungestört.« Und dabei führte ihn der alte Gärtner in eine dicht an ein Treibhaus stoßende Stube oder Kammer vielmehr, denn besonders wohnlich sah es darin nicht aus. Nur ein hölzerner Tisch und ein paar eben solche Stühle standen darin, und auf dem Tisch lagen Bindfaden, Bast, Gartenerde, Blumentopfscherben und alles Mögliche ziemlich bunt durcheinander. Der Alte fand aber eine Entschuldigung dafür nicht nöthig, rückte dem Major den einen Stuhl hin und setzte sich dann auf den andern, wo er, beide Arme auf seine Kniee gestützt, geduldig erwartete, was der Herr von ihm wolle.

Der Major ließ ihn nicht lange in Zweifel. Er räusperte sich allerdings erst ein paarmal, denn er wußte nicht gleich, wie er beginnen sollte. Der harte Stuhl, auf dem er saß, genirte ihn ebenfalls; aber der Alte sah ihm genau so aus, als ob er mit ihm von der Leber weg reden könne, und da ihm das ebenfalls am besten paßte, so that er es. Er erzählte ihm geradezu, welchen Verdacht er habe, daß nämlich der alte Freiherr, da die Erbschaft nur auf einen Sohn überging, ein ihm geborenes Mädchen gegen einen Knaben eingetauscht haben könne, und zählte ihm dann auch die ihm wenigstens zu Ohren gekommenen Daten auf, die ihn darin nur immer mehr bestärkten.

Der alte Gärtner hörte ihm ruhig und ohne auch nur ein einziges Wort hinein zu reden zu; nur manchmal nickte er leise mit dem Kopf, als ob er das eben Gesagte bestätigen könne. Als aber der alte Herr wärmer wurde und auf die Möglichkeit hinwies, einen etwaigen Betrug zu entlarven, da schüttelte er ihn langsam und zweifelnd, und als der Major endlich schwieg, sagte er:

»Ja, lieber Herr, Vieles ist wohl so, wie Sie es da hergezählt haben: die Frau Meier hat recht, ich habe in jener Nacht den Mann im Garten gesehen, und daß er ein Kind getragen haben muß, glaube ich ebenfalls. Jedenfalls schrie es genau so, und richtig ist mir und uns Allen die Sache damals gleich nicht vorgekommen. Aber was hilft das? Die allein darüber reden könnten, werden sich hüten, und was wir Anderen davon wissen, ist nichts.«

»Sie meinen die alte Heßberger?«

Tettelberg schüttelte mit dem Kopf. »Nein, noch eine Andere – aber es ist auch ein häßlich Ding, solche alte Geschichten wieder aufzurühren und sich dann vor Gericht damit umherzutreiben. Ich wenigstens möchte nichts damit zu thun haben, auch nichts darin beschwören, denn es ist damals so viel darüber unter dem Gesinde gesprochen worden, daß man wirklich gar nicht mehr recht weiß, was man eigentlich selber gesehen oder nur gehört hat.«

»Aber von welch einer andern Person reden Sie?«

»Von der damaligen Amme des ältesten Sohnes.«

»Die ist aber mit ihrem Kinde nach Amerika gegangen.«

Der Gärtner schüttelte wieder den Kopf. »Nein,« sagte er, »sie wollte hinüber, ja, und die Köchin, die damals mit ihrer Zunge immer ein wenig flink bei der Hand war, meinte, der alte Baron hätte sie selber fortgeschickt. Aber das Schiff verunglückte an der englischen Küste, die Passagiere wurden jedoch gerettet und an Land gebracht, und jene Person trat in England in Dienst und blieb dort wohl sechzehn oder siebenzehn Jahre. In der Zeit muß sie sich aber etwas erspart haben, denn noch gar nicht so lange her ist sie mit ihrer Tochter in die hiesige Gegend zurückgezogen, nach Vollmers, von wo sie zu Hause war, und die Tochter soll dort verheirathet sein.«

»Und wie alt ist die Tochter?«

»Nun, genau so alt, wie der erste Sohn des Herrn Barons. Sie muß jetzt in's vierundzwanzigste Jahr gehen, denn gerade nach der Geburt dieses Kindes trat sie ja als Amme in den Dienst der Herrschaft.«

»Und wer hat sie dahin gebracht?«

»Ja, wer soll das wissen! Aber sie war mit der Heßbergerin dick befreundet.«

»Und haben Sie das Kind einmal gesehen, Freund? Seien Sie mir nicht böse über mein vieles Fragen, aber die Sache ist in der That von der höchsten Wichtigkeit.«

»Als Kind, ja,« nickte der alte Mann. »Sie wohnte damals, oder ihre Mutter vielmehr, dicht neben meinem Bruder in Vollmers, und so lange der noch lebte, kam ich manchmal hin. Nun ist er aber schon die langen Jahre todt.«

»Und wie sah es aus?«

»Das Kind? O, es war ein allerliebstes Ding,« erwiederte der alte Mann, »zart wie Wachs, und die Glieder so fein und zierlich! Ich weiß auch, daß sie damals vielerlei redeten; aber, wie das so immer geht, die Leute wurden's endlich müde, und wie die Mutter mit der Kleinen zu Schiffe ging, sprach kein Mensch mehr davon.«

»Und wie heißt das Kind?«

»Ja, wie sie jetzt heißt, weiß ich nicht einmal – mit Vornamen Martha, und ihre Mutter war eine verehelichte Müller. Jetzt hat die Tochter aber einen Feldmesser geheirathet, und wenn ich den Namen auch schon gehört habe, kann ich mich doch nicht mehr darauf besinnen. Uebrigens erfährt man das leicht in Vollmers.«

»Und ist sie jetzt dort?«

»Kann ich auch nicht sagen; sie soll manchmal zum Besuch hinkommen. Sie wohnt mit ihrem Mann eine Stunde weiter, in Rübhausen; aber die Mutter treffen Sie jedenfalls.«

»Vollmers liegt etwa anderthalb Stunde entfernt....«

»Knapp; es giebt noch einen näheren Weg über den Wald.«

»Tettelberg, wenn ich etwas in der Sache ausrichte, soll es Ihr Schaden nicht sein.«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Wenn die Müllern noch ein solch' resolutes Frauenzimmer ist wie früher,« sagte er, »so werden Sie wohl unverrichteter Sache wieder zurückkommen. Ueberdies ist es auch ein bös Ding, etwas Derartiges, was so lange geschlafen hat, wieder aufzurühren. Wenn ich wie Sie wäre, ging ich verwünscht vorsichtig dran, oder – ließe es am allerliebsten ganz zufrieden. Mit der Müllern ist nicht gut spaßen.«

»Wenn die Sache einen Haken hat,« sagte der Major, »so fass' ich sie, darauf können Sie sich verlassen.«

»Manchmal bleibt man auch an so 'nem Haken hangen,« meinte der Alte, »und ich könnte Ihnen da, wie mein Nachbar, der Herr Rath Frühbach, sagt, eine Geschichte erzählen. Mit dem Herrn Baron von Wendelsheim ist ebenfalls nicht zu spaßen; ich kenne den Herrn, und wenn der etwas davon erführe, hing er Ihnen den schönsten Proceß an den Hals.«

»Proceß?« rief der Major, denn Processe waren ja gerade sein Steckenpferd. »Damit soll er nur kommen, weiter verlange ich gar nichts! Dem wollen wir heimleuchten, dem alten Cujon und Schuldenmacher! Den Henker auch – kein Ziegel auf den Dächern von ganz Wendelsheim ist ja noch sein eigen, und die ganzen langen Jahre borgt er nun schon auf das Capital los, das sein Sohn einmal erben soll! Hab' ich recht oder nicht?«

Der alte Gärtner zuckte die Achseln. »Das sind Dinge,« sagte er, »von denen ich nichts weiß, und die mich nichts angehen, Herr Major, möchte auch nichts damit zu thun haben. Außerdem muß ich Sie auch bitten, mich nicht als Zeugen aufzurufen, wenn die Sache wirklich vor Gericht kommen sollte.«

»Aber Sie können doch aussagen, was Sie gesehen haben?«

»Wenn ich etwas gesehen hätte, ja; aber so war's dunkel und Regenwetter noch dazu, und das wissen Sie wohl, im Dunkeln sind alle Katzen grau.«

»Ihr habt Alle solch eine Heidenangst vor den Gerichten,« sagte der Major, eben nicht besonders erfreut, daß ihm der alte Gärtner auch wieder zwischen den Fingern durchschlüpfen wollte; »die beißen Einen doch wahrhaftig nicht, und Recht muß am Ende doch Recht bleiben! Was können sie Euch thun, wenn Ihr bei der Wahrheit bleibt, heh? Gar nichts!«

»Ich kann aber auch nichts nützen,« meinte der Alte, »und habe im günstigsten Falle nur Lauferei und Aerger davon. Ich wollte überhaupt, die Meier hätte das Maul gehalten; da sie es aber in ihren jungen Jahren nicht gethan, so war kaum zu erwarten, daß sie in ihren alten damit anfangen würde.«

»Und wie kann ich am besten nach Vollmers hinaus?« fragte der Major. »Eine Post geht wohl gar nicht hin?«

»Post? nein,« sagte Tettelberg; »aber ich glaube, der Herr Rath Frühbach könnte Ihnen da die beste Auskunft geben; der fährt manchmal hinüber und bezieht auch seinen Aepfelwein daher. In Vollmers pressen sie eine Menge Aepfel, und der Wein schmeckt auch gar nicht so schlecht – wer ihn eben vertragen kann. Ich bekomme immer Leibschneiden danach.«

»Hm, so?« sagte der Major, noch nicht recht mit sich einig, ob er den Rath Frühbach zum Vertrauten gebrauchen könne. Der Mann hatte jedenfalls viel in seinem Leben gesehen und durchgemacht und war auch vielleicht praktischer Art – er wußte es nicht; aber er fürchtete sich vor seinen endlosen Geschichten, die wie die Bilder eines Kaleidoskops, immer und ewig aus demselben gehackten Material bestehend, einen langweiligen Stern darstellten. Da er übrigens so unmittelbar neben seinem Hause war, beschloß er, einmal hinüber zu gehen. Die Familie traf er ja auch wohl im Garten, und konnte dann, was er zu fragen hatte, im Vorbeigehen abmachen.

»Also, Tettelberg,« sagte der Major, indem er dem Gärtner die Hand reichte, »ich danke Ihnen vorläufig für die ertheilte Auskunft, und wenn ich von Vollmers zurückkehre und etwas ausgerichtet habe, komme ich noch einmal heraus, und wir verabreden das Weitere.«

»Wird wohl weiter nichts zu verabreden sein, Herr Major,« sagte der Mann in der hartnäckigen Weise alter Leute; »wenn Sie sich denn absolut die Finger verbrennen wollen, ich kann's nicht hindern. Durch Schaden wird der Mensch klug, sagen die Leute; manchmal dauert's aber lange.«

»So wollen wir denn sehen, Tettelberg, daß wir den alten Baron klug machen können,« nickte der Major, viel zu verbissen auf sein Steckenpferd, um auch nur eines Haares Breite davon abzuweichen. »Guten Morgen!« Und sich an seinem Stock emporrichtend, denn er war auf dem harten Stuhl ganz steif geworden, humpelte er zur Thür hinaus wieder in's Freie.

Draußen hinkte der Major zuerst einmal um das Haus herum, wo der Rath wohnte, weil er ihn vorher da bei der Fruchtlese getroffen; aber der Weg wurde ihm nicht so leicht gemacht, denn quer vor dem schmalen Gang, der dorthin führte, hingen ein paar alte wollene Decken, die so schmutzig aussahen, daß sich der Major ekelte, nur daran zu streifen. Er wollte auch schon umkehren, aber sein Bein that ihm weh. Er scheute den Umweg, und vorsichtig mit dem Stock die eine Decke emporhebend, bückte er sich mit einem leise gemurmelten Fluch darunter durch und fand sich jetzt in dem Garten selber, aus dem aber die Familie verschwunden schien. Er konnte wenigstens Niemanden mehr darin entdecken, als einen Jungen, der eben an einem Birnbaum schüttelte, um die letzten Birnen davon herunter zu bekommen. Den rief er an; der Junge mochte aber wohl unter dem »falschen Baume« gewesen sein und hatte kein gutes Gewissen, denn er sah sich gar nicht einmal um, wer ihn gerufen haben könne, sondern fuhr gleich zwischen die nächsten Büsche hinein, hinter denen er verschwand und nicht wieder zum Vorschein kam.

Dem Major blieb jetzt nichts weiter übrig, als in das Haus selber zu gehen und dort den Rath aufzusuchen, und er entschloß sich gerade nicht gern dazu, blieb auch wirklich noch einmal stehen und überlegte sich die Sache, als plötzlich ein Fenster geöffnet wurde und die wohlbekannte Stimme des Raths herausrief:

»Ah, bester Major, wie haben Sie sich einmal in diesen entlegenen Winkel verloren? Wollen Sie denn nicht näher treten? Ich ziehe mich gerade an und begleite Sie dann ein Stück.«

»Ei guten Morgen, mein lieber Rath!« sagte der Major, dem jetzt wenigstens die Wahl erspart worden. »Werde so frei sein« – und den Weg dahin einschlagend, betrat er gleich darauf das Haus.

Der Rath wohnte parterre und hatte ein ganz bescheidenes Schild an seiner Thür, auf dem nur der Name Frühbach stand. Die Thür war auch nicht verschlossen, und der Major gerieth in einen langen schmalen Gang mit einer Unzahl Thüren, aus welchen er nicht gleich die rechte herausfinden konnte. An der rechten Seite war aber eine geöffnet – wie er gleich darauf bemerkte, die Küche, und dort handirte ein weibliches Wesen in einem sehr schmutzigen Ueberrock von verschossener Barège, aber ohne Schürze, das er natürlich für die Köchin oder das Hausmädchen hielt.

»Können Sie mir wohl sagen, liebes Kind,« fragte er dieses, »in welchem Zimmer ich den Herrn Rath finde.«

»Gehen Sie nur gerade aus,« lautete die Antwort, »mein Mann ist in der letzten Stube links.«

»Bitte,« sagte der Major erschreckt, einen solchen Verstoß gegen die Höflichkeit und die Frau vom Hause zugleich begangen zu haben. »Entschuldigen Sie, es ist hier so dunkel im Vorsaal....« Und damit wandte er sich, immer still mit dem Kopf schüttelnd, der bezeichneten Thür zu. Er hatte aber die letzten Worte der Frau gar nicht mehr gehört, ging geradeaus und öffnete die dort befindliche Thür, schloß sie aber eben so rasch wieder, denn er war in das Heiligthum eines Schlafzimmers im Urzustand gerathen.

»Hier herein, bester Freund! Hier herein!« rief der Rath und stieß seine eigene Thür auf. »Sie wären beinah' in das falsche Zimmer gefahren, heh? Treten Sie nur näher, ich bin den Augenblick fertig – na, wie geht's? Das ist gescheidt, daß Sie sich auch einmal bei mir sehen lassen!«

»Es thut mir leid, daß ich Sie störe, bester Freund,« sagte der Major, der den Rath noch in schon seit einiger Zeit getragenen Unterhosen fand, während seine übrigen Kleidungsstücke im Zimmer umhergestreut lagen.

»Mich stören? Nein, sicher nicht!« lachte der freundliche alte Herr. »Sie sehen ja, daß ich mich gar nicht stören lasse – aber bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen?«

»Danke Ihnen, habe die ganze Zeit gesessen,« sagte der Major, der in der Stickluft des Zimmers, die so unangenehm nach Schweiß roch, kaum zu athmen vermochte. »Wenn Sie erlauben, gehe ich einen Augenblick an das Fenster, indessen ziehen Sie sich fertig an. Famoser Garten, das!«

»Ja, recht hübsch,« sagte der Rath, während der Major das Fenster öffnete.

»Aber wer wohnt hier über Ihnen?«

»Ueber mir? Ist augenblicklich gar nicht vermiethet – zwei Treppen hoch wohnt ein Beamter.«

»Hören Sie, lieber Rath,« sagte der Major – denn gerade vor dem Fenster hingen die beiden wollenen Decken – »dem würde ich dann aber nicht erlauben, mir die beiden Schmierlappen da gerade vor die Nase zu hängen – Alles, was recht ist, aber....«

»Die beiden Decken?« sagte Frühbach, zum Fenster hinaussehend. »Das sind ja meine eigenen – in denen schlafe ich jede Nacht.«

»In den Decken?« sagte der Major, wirklich starr vor Schrecken.

»Ja, sehen Sie, lieber Freund,« fuhr der Rath fort, »ich muß jede Nacht tüchtig schwitzen – wenn ich nicht schwitze, leidet meine Verdauung, und da ich genöthigt bin, mit meiner Gesundheit sehr vorsichtig zu sein....«

»Ob Sie noch frühstücken wollen, ehe Sie ausgehen, Herr Rath?« sagte in diesem Augenblick ein ziemlich sauber gekleidetes Dienstmädchen, das, trotz der etwas derangirten Toilette des Hausherrn den Kopf in's Zimmer steckte.

»Frühstücken? Gewiß!« lautete die Antwort. »Aber bringen Sie gleich zwei Gläser mit herein, Henriette, und zwei Teller und Messer und Gabeln dazu!«

»Ich danke Ihnen wirklich, lieber Rath,« sagte der Major, dem der ganze Appetit vergangen war – »ist mir noch zu früh.«

»Noch zu früh?« lachte der Rath. »So? – Da waren wir einmal in Schwerin »Im Mohren«, fuhr er fort, während er sich die Unaussprechlichen anzog, was mit einiger Schwierigkeit verbunden war, da ihm die Brille immer dabei herunterrutschte, »und der Geheime Regierungsrath Hesse – er wurde nachher Minister und hat eine bedeutende Rolle gespielt – war auch hereingekommen – um nach einem Fremden zu fragen. Wir saßen und frühstückten – frische Austern und alten Rheinwein dazu – es schmeckt eigentlich Morgens nichts besser als frische Austern und alter Rheinwein –, und wie er hereinkam, riefen wir ihm zu und sagten, er solle sich doch mit hersetzen; aber er meinte auch, es wäre ihm zu früh. Und glauben Sie, daß er gefrühstückt hätte? Gott bewahre!«

»Sagen Sie einmal, lieber Rath,« fragte jetzt der Major, der nicht mit Unrecht eine zweite, der ersten rasch folgende Erzählung fürchtete, denn wenn der Mann im Zuge war, ging es Schlag auf Schlag, »weshalb ich eigentlich herkam: können Sie mir nicht sagen, wie ich am besten nach Vollmers hinaus komme?«

»Nach Vollmers?« rief Rath Frühbach erstaunt aus, indem er seinen Besuch über die Brille ansah. »Ja, alle Wetter, Major, das wäre ja ein merkwürdiges Zusammentreffen! Aber was haben Sie in Vollmers zu thun? Aha, kommen Sie endlich auch auf meine Sprünge? Ja, Sie können mir's glauben, es geht nichts in der Welt über eine Aepfelwein-Diät, und wenn ich den nicht die langen Jahre hindurch gebraucht hätte, wäre ich gar nicht der Mann, der ich bin. Denken Sie sich, da kam vor etwa drei Monaten, gerade als ich von Schwerin fortziehen wollte...«

»Aber Sie wollten mir wegen Vollmers sagen – wie so ist das ein merkwürdiges Zusammentreffen?«

Rath Frühbach hatte eine gute Eigenschaft: er war unerschöpflich in nichtssagenden Geschichten; sowie er aber unterbrochen wurde, vergaß er augenblicklich, was er eben erzählen wollte, und wenn er nicht gerade in eine andere hineingerieth, blieb er bei der Sache.

»Ja so, Vollmers,« nickte er; »das ist allerdings merkwürdig, denn ich ziehe mich gerade an, um meine gewöhnliche Fuhre dahin zu machen. Um elf Uhr wollte ich fort, und wenn Sie mich begleiten, nehmen wir den Einspänner zusammen.«

»Um elf Uhr – das muß es aber gleich sein.«

»Es ist auch dicht hierbei. Jetzt frühstücken wir erst, und dann kann die Henriette gleich hinüber springen und den Wagen besorgen. Das wäre ja wundervoll, Major! So eine Stunde lang im Wagen allein zu sitzen und den Mund nicht aufzuthun, ist für mich immer eine Qual, denn mit dem Kutscher läßt sich leider gar nicht reden; er hört so furchtbar schwer, daß man immer laut schreien muß, und das verdirbt jede Unterhaltung. Also fahren wir?«

Der Major war in allen seinen Bewegungen, sobald er nur erst einmal den einen Punkt: seine Krankheit, überwunden hatte, ziemlich resolut. Jetzt fand er das Eisen heiß, jetzt mußte es also auch geschmiedet werden.

»Na, meinetwegen, Rath,« sagte er dann, »fahren wir zusammen; allein getraue ich mir die Tour ohnedies nicht gern zu machen, des verdammten Beines wegen, und meinen Gärtner kann ich nicht gut mitnehmen – das ist ein ebenso alter, elender Krüppel, als ich selber bin. Also basta – bestellen Sie die Karre. Bis wann können wir wieder zurück sein?«

»Wann wir wollen, bester Freund. Wir essen draußen zu Mittag – ich sage Ihnen, ganz delicat. Heute giebt es dort Wildpretsbraten – ich habe mich schon danach erkundigt – und einen ganz magnifiquen Selleriesalat, und nach dem Essen, wenn wir unser Geschäft beendet haben, setzen wir uns wieder ein und kommen in aller Behaglichkeit zurück.«

»Also abgemacht.«

»Und da bringt die Henriette gerade das Frühstück – so, mein Kind, setzen Sie nur hieher,« sagte der Rath, indem er auf dem Tisch, auf welchem es wild genug aussah, ein wenig Platz machte und einen dort liegenden Kamm, sein Rasirzeug mit der Seifenbüchse und ein Paket frisch angebrochenen Schnupftabaks ein wenig bei Seite schob. »Da, so, das soll nicht lange dauern. Aber wo haben Sie denn die Flasche?«

»Ich bringe sie gleich, Herr Rath.«

»Und dann springen Sie einmal zum Kutscher Behrens hinüber, er sollte nur gleich anspannen – er weiß schon – und ein bischen Heu in den Sitzkasten legen; wenn wir zurückkommen, packen wir ihn voll. Und nun, lieber Major, seien Sie so gut, setzen Sie sich und langen Sie zu; wir werden sonst flau, ehe wir hinauskommen.«

Das Frühstück roch allerdings delicat und bestand aus einem sehr schön braun gebratenen Fleischgericht und Brot.

»Alle Wetter,« sagte der Major, der jetzt selber Appetit bekam, »was haben sie denn da, Rath? Das riecht ja vortrefflich.«

»Ja, und schmeckt noch besser,« nickte Frühbach, dessen Augen schon in dem Vorgenusse funkelten; »das ist auch mein Leibgericht: gebratene Kuh-Euter.«

»Kuh-Euter?« rief der Major entsetzt, indem ihm die schon aufgenommene Gabel wieder aus der Hand fiel. »Das ist ja ein schrecklicher Gedanke, Rath! Sie essen Kuh-Euter?«

»Alles,« rief der Mann, indem er sich ein tüchtiges Stück auf den Teller nahm und mit wahrer Wonne hineinbiß – »Alles von der Kuh, bis auf die Klauen und Hörner, aber das Euter und Gehirn am liebsten! Aber schenken Sie sich ein, lieber Freund, schenken Sie sich ein, daß Sie zu Kräften kommen.«

Dem Major war der ganze Appetit vergangen, und er sehnte sich nach einem Glase Wein. Aber auch der zog ihm die Backen zusammen; er war von schnöden Aepfeln gepreßt und herb und bitter.

»Nun, wie schmeckt Ihnen der?«

»Na, wissen Sie, Rath,« sagte der Major, dessen Höflichkeit doch nicht so weit ging, einen Wein zu loben, der ihm in dem nämlichen Augenblicke die Eingeweide zusammenzog, »ich habe in meinem Leben schon besseren getrunken.«

»Besseren?« rief der unverwüstliche Rath. »Das gebe ich zu, wenigstens solchen, der besser schmeckte, aber keinen gesunderen, darauf können Sie sich verlassen, Major, keinen gesunderen! Der arbeitet Ihnen das Innere heraus und macht Sie zu einem vollständig neuen Menschen! Aber nun trinken Sie auch und langen Sie zu.«

Der Major aß ein Stückchen Brot, um den Wein, und trank dann wieder einen Schluck, um das Brot herunter zu bekommen. Er wäre nicht im Stande gewesen, ein Stück von dem Kuh-Euter auch nur an die Lippen zu bringen, ja bei dem bloßen Gedanken wurde ihm übel. Endlich waren sie fertig, und der Wagen hielt auch schon vor der Thür.

Wie sie hinausgingen, klopfte der Rath an die Thür des Schlafzimmers.

»Herzchen,« sagte er zärtlich, »können wir Dir Adieu sagen?«

»Ich bin noch nicht angezogen, Männi,« antwortete die Stimme der Frau Räthin.

»Na, denn leb' wohl, mein Schätzchen,« erwiederte Rath Frühbach. »Ich komme bald wieder und bringe Dir auch etwas mit.«

»Aepfelwein,« dachte der Major und fühlte, wie ihm die Zähne schon wieder stumpf wurden. Dann gingen sie hinaus vor den Garten, wo der Wagen hielt, und fort rollte das leichte Fuhrwerk die Straße entlang, die nach Vollmers zu führte.

11.
Die beiden Verbündeten.

Der alte Major von Halsen war, als er an dem Morgen zum Rath Frühbach kam, wie schon gesagt, gar nicht etwa gewillt gewesen, ihn zum Vertrauten in der Erbschafts-Angelegenheit zu machen; aber Umstände verändern manchmal die Sache, und der Wagen schüttelte ihn nach und nach in eine andere Ansicht hinein.

»Der verdammte Kasten hat, glaub' ich, gar keine Federn,« sagte er, als sie eine Weile auf einem Feldweg hingerasselt waren; »er stößt Einem ja die Seele aus dem Leib.«

»Aber Sie glauben gar nicht,« erwiederte der Rath, »wie wohlthätig das Schütteln auf die Verdauung wirkt, und ich spüre den segensreichen Einfluß jedesmal. Sie wissen, ich leide daran. Da fuhr ich einmal in Schwerin, wo ich etwas auf dem Lande zu besorgen hatte, mit einem Leiterwagen, weil kein anderes Fuhrwerk zu bekommen war, und zu Fuß war mir der Weg zu weit, obgleich ich täglich meinen Spaziergang mache und mich dann jedesmal in Schweiß laufe – ich muß das schon meiner Gesundheit wegen thun – etwa dritthalb Stunde über einen Weg – einen Weg, sage ich Ihnen, Major, man kriegte Hühneraugen, wenn man nur den Weg ansah. Wissen Sie, es war weicher Boden, wo sie an den sumpfigen Stellen hatten Knüppel hineinwerfen müssen, um bei nasser Witterung die Wagen vom Versinken abzuhalten. Nun aber war es sehr lange trocken gewesen und die alte Wagenspur so hart und fest wie Stein geworden. Da ging es denn hinauf und herunter, daß man die Zunge im Munde festhalten mußte, und wenn man einmal auf so eine Stelle mit Knüppeln kam – nein, ich versichere Ihnen, es stieß einem geradezu den Hut vom Kopf herunter!«

»Hören Sie einmal, Rath,« sagte der Major, der nicht mit Unrecht fürchtete, auf dem ganzen Wege derartige Erzählungen dulden zu müssen, »ich will Ihnen etwas sagen. Wissen Sie, weshalb ich heute nach Vollmers fahre?«

»Sie? Nun, um den Aepfelwein einmal an der Quelle zu trinken. Ich habe Sie ja lange genug darum gebeten, mich einmal zu begleiten.«

»Der Teufel soll Ihren Aepfelwein holen,« knurrte der alte Soldat, »er liegt mir noch wie blanker Essig im Magen! Nein, ich habe einen andern Zweck, und da Sie doch einmal ein Rath sind, so sollen Sie mir nun auch einen Rath in einer Sache geben. Aber ich muß ein bischen vorsichtig sprechen, sonst beißt man sich, weiß es Gott, auf dem verfluchten Marterfuhrwerk einmal aus Versehen die Zunge ab.«

»Da fällt mir eine Geschichte ein,« sagte der Rath.

»Jetzt will ich Ihnen erst einmal eine erzählen,« sagte aber der Major, fest entschlossen, den Rath nicht so schnell wieder zum Wort kommen zu lassen. »Sie haben mir versichert, der Kutscher hört schwer.«

»Er ist halb taub. Sie müssen schreien, wenn Sie mit ihm reden wollen, und das greift Einem die Lunge an.«

»Desto besser, denn er braucht auch gar nicht zu hören, um was es sich hier handelt. Sie können doch verstehen, was ich sage?«

»Jedes Wort. Ich habe ein Ohr wie ein Luchs. Da kam einmal in Schwerin....«

»Bitte, lassen Sie mich erst aussprechen,« fiel ihm der Major in die Rede, »und Sie zu gleicher Zeit ersuchen, das, was ich Ihnen jetzt unter vier Augen sage, »vor der Hand« noch als Geheimniß zu behandeln.«

»Ein Geheimniß, he?« sagte der Rath und zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Es wird hoffentlich nicht mehr lange ein Geheimniß bleiben,« fuhr der Major fort; »aber vor der Hand und so lange wir nicht fest und entschieden auftreten können, muß es jedenfalls als ein solches betrachtet werden. Sie geben mir auch gewiß recht, wenn Sie erfahren, um was es sich hier handelt – aber jetzt hören Sie.«

Und nun erzählte er dem allerdings genau aufhorchenden Rath zuerst mit kurzen Umrissen den Stand der Familien-Angelegenheit des Wendelsheim'schen Hauses, den Frühbach aber auch schon so ziemlich kannte, und dann den Verdacht, den er selber gefaßt habe und jetzt, ja in diesem Augenblick, bis zur Quelle verfolgte.

Frühbach unterbrach ihn dabei mit keinem Wort, so erstaunt war er über eine Erzählung, die wirklich eine Pointe bot und zu dem Interessantesten gehörte, was er in seinem ganzen Leben erlebt hatte. Nur »Hm!« und »Es ist die Möglichkeit!« oder andere kurze Ausrufe ließ er manchmal hören und schüttelte dabei, wie über etwas Unglaubliches, den Kopf. Endlich, wie der Major geendet hatte, warf er selber einige Fragen ein, die sich aber merkwürdiger Weise auf den Gegenstand bezogen, und schien jetzt so von der Wahrheit des Gehörten durchdrungen, daß er darüber ordentlich in Ekstase gerieth.

»Major,« rief er und drückte das Knie des neben ihm Sitzenden, »einen besseren Gehülfen, als mich, hätten Sie sich zu Ihrer Expedition nicht aussuchen können – das ist gerade mein Fach, und jetzt sollen Sie einmal sehen, wie geschwind wir der Geschichte auf den Grund kommen; der Madame wollen wir auf die Hacken treten!«

»Lieber Rath, wir werden ungemein vorsichtig zu Werk gehen müssen, da wir eigentlich noch gar keine wirklichen Beweise in Händen haben, sondern nur einen, wenn auch sehr stark begründeten Verdacht.«

»Eigentlich hätten wir uns gleich einen Polizeidiener mitnehmen sollen,« sagte der Rath, der indessen nur seinen eigenen Gedanken gefolgt war.

»Daß der Alles gleich von vornherein verdorben hätte, nicht wahr?« rief der Major. »Wir können doch die Frau nicht arretiren!«

»Gott bewahre!« schüttelte Frühbach mit dem Kopf; »denken nicht daran. Aber Sie glauben gar nicht, welchen Eindruck eine Uniform macht. Ich bin mir doch wahrhaftig nichts Böses bewußt, aber wenn selbst zu mir ein Polizeidiener in's Zimmer tritt, fährt's mir immer gleich in die Kniekehlen. Denken Sie sich, da sitz' ich einmal in Schwerin...«

»Sind Sie denn in Vollmers bekannt und wissen Sie, wo jene Frau Müller wohnt?«

»Ja, lieber Major,« sagte der Rath, »ich kenne zwei verschiedene Müller in Vollmers. Erstlich heißt unser Wirth so, von dem ich den Aepfelwein beziehe, und dann giebt's auch noch einen Butter- und Käsehändler Müller im Ort, von dem sich meine Frau immer Handkäse bringen läßt.«

»Aber der Müller ist lange todt.«

»Der Käsehändler? Nein, er war noch vorige Woche bei uns.«

»Nein, ich meine den Mann von dieser Müller; sie ist ja Wittwe.«

»Ja so, von der – nun, die wird auch aufzutreiben sein; Vollmers ist nicht so groß. Wenn Sie nur wenigstens wüßten, wie der Mann ihrer Tochter heißt; an einem solchen Namen hängt manchmal viel. Da lebte bei uns in Schwerin...«

Rath Frühbach hatte heute mit seinen Erzählungen Unglück. In dem nämlichen Augenblick, wo er wieder begann, that das Pferd einen Ruck, wurde scheu und fing an zu galoppiren.

»Na, das fehlte uns auch noch,« rief Frühbach, sich erschreckt festhaltend, »daß der alte, halbblinde Gaul mit uns durchgeht! Auf der einen Seite sieht er nicht einmal die Gräben.«

Der Kutscher, der wohl ein wenig eingenickt war, griff aber die Zügel auf, zog dem alten Gaul ein Paar mit der Peitsche über und brachte ihn bald wieder zu einem Verständniß seiner Lage, das er auch wohl kaum aus den Augen verloren. Er hatte sich nur einmal in Bewegung setzen wollen, oder auch vielleicht die schon ganz nahen Häuser von Vollmers entdeckt, wo er den Stall und dessen Futter kannte.

An eine weitere Unterhaltung war aber schon deshalb für die beiden Passagiere nicht mehr zu denken, weil hier das Pflaster begann und selbst der gegen Derartiges sonst ziemlich unempfindliche Rath beide Hände auf den Sitz stemmte, um sich gegen allzu hartes Stoßen zu sichern. Der Major aber memorirte laut seine sämmtlichen Flüche, die er auswendig konnte – und es waren deren nicht gerade wenig –, bis sie endlich vor dem niederen, mit rothen Ziegeln gedeckten Wirthshause hielten und ein riesiges blaues Schild über sich sahen, auf dem ein feuerrother Engel abgemalt war, der eine rothe Trompete in der rechten und ein rothes Bierkrügel in der linken Hand hielt. Welcher Götterlehre er angehörte, ließ sich nicht bestimmen.

Rath Frühbach schien hier übrigens ein alter Stammgast zu sein, wenigstens wurde er so von dem Wirth empfangen, der mit dem freundlichsten Gesicht von der Welt, sein Käppchen in der Hand, unter der Thür stand und Hausknecht, Kellner und Stubenmädchen augenblicklich herbeirief, um den Herren beim Aussteigen zu helfen und Mäntel oder sonstiges Reisegepäck in das Haus zu tragen.

»Nun, Herr Müller, wie gehen die Zeiten?« sagte Rath Frühbach, als er glücklich ausgestiegen war und dem Major, der mit seinem Bein nicht so recht fort konnte, ebenfalls vom Wagen herunter geholfen hatte. »Haben doch 'was Ordentliches zu essen heute?« – Er schien auf eine besondere Beantwortung der ersten Frage zu verzichten.

»Nun, danke bestens, Herr Rath,« sagte der gewissenhafte Gastgeber, »es geht ja immer so lala; meine Alte will nicht so recht fort – hat immer mit ihrem Magen zu thun.«

»Daran ist der verdammte Aepfelwein schuld!« sagte der Major, eben nicht in bester Laune.

»Ein guter Freund von mir,« stellte ihn der Rath vor, »Herr Major von Halsen.«

»Sehr angenehm, Herr Major – sollen bestens bedient werden. Wann befehlen die Herren zu speisen?«

»Was haben Sie denn? Das versprochene Wildpret fehlt doch nicht etwa?«

»Nein, gewiß nicht, Herr Rath; habe es Ihnen ja besonders hineinsagen lassen. Werde Ihnen doch keine Unwahrheit berichten. Aber die Speisekarte liegt drinnen auf dem Tisch.«

Der Rath nickte nur, denn eine weitere Unterhaltung war für den Augenblick, wo Wichtigeres ihnen bevorstand, unnöthig geworden, und die beiden Herren begaben sich in das untere Local, wo in einer der Ecken ein Tisch schon gedeckt stand; denn wenn auch Vollmers an keiner Poststraße lag, kamen doch eine Menge von Fuhrleuten vorüber und kehrten da ein, und Niemand lebt besser unterwegs, als ein Frachtfuhrmann.

Der Major hätte sich nun gern selber nach der verwittweten Müller im Ort erkundigt; aber bei ihm, als vollkommen Fremden, würde das gleich von vorn herein zu sehr aufgefallen sein, und er bat deshalb den Rath, das für ihn zu besorgen, und dazu war Frühbach auch der rechte Mann. Er fragte überhaupt ununterbrochen, und in seiner cordialen Weise (es hätte eigentlich auch einen andern Namen dafür gegeben, denn er behandelte die Leute gewöhnlich anscheinend freundlich, aber immer von oben herunter) fand er mit leichter Mühe einen Anknüpfungspunkt.

»Hören Sie einmal, Herr Müller,« sagte Frühbach, als der Wirth mit der Serviette unter dem Arm hinter ihnen am Tisch stand, »ist denn der Müller, der hier in Vollmers Butter und Käse verkauft, mit Ihnen verwandt? Er schreibt sich wenigstens ebenso.«

»Bitte um Verzeihung, Herr Rath,« sagte der Wirth mit Würde, »jener Müller stammt gar nicht aus unserer Gegend; er ist aus dem Mecklenburgischen hieher eingewandert.«

»Ih, sehen Sie einmal an,« rief Frühbach, »da sind wir ja Landsleute. Waren Sie schon einmal in Mecklenburg, Herr Müller?«

»Nein, bedaure sehr,« sagte der Wirth.

»Na, da haben Sie gar nichts zu bedauern,« meinte trocken der Major, »wenn Ihnen weiter kein Unglück begegnet ist.«

»Hm!« sagte der Rath aber, der, ganz aus seiner sonstigen Sphäre, wo er nur im Allgemeinen wie ein Fisch im Ocean herumschwamm, heute einmal auf ein besonderes Ziel lossteuerte. »Ich dächte aber doch, Sie hätten mir einmal von Verwandten von Ihnen erzählt, die hier noch im Orte leben.«

»Wüßte wirklich nicht, wer das sein sollte,« sagte Herr Müller achselzuckend. »Es sind allerdings noch Zwei meines Namens hier im Ort: der Bäcker heißt Müller und dann lebt hier eine verwittwete Müller, die lange in England war; sie wollte einmal nach Amerika, aber das Schiff wollte nicht, wie sie hier sagen – doch ich bin mit allen Beiden nicht im entferntesten verwandt. Lieber Gott, der Name kommt ja so häufig vor!«

»Ja, da haben Sie recht,« nickte der Rath. »Hören Sie, Herr Müller, der Hirschbraten ist wirklich delicat; ich habe lange nichts Zarteres gegessen.«

»Freut mich, wenn er Ihnen schmeckt, Herr Rath.«

»Und noch eine Flasche Aepfelwein, bitte. Aber Sie trinken ja gar nicht, Major.«

»Danke, habe mir ein Glas Bier bestellt und verzichte auf den Aepfelwein – kann das Zeug nicht vertragen.«

»Es ist die reine Muttermilch,« sagte der Rath; »aber was ich gleich fragen wollte: also die Frau war so lange in England?«

»Die Müller? Ja wohl – sie spricht auch das Engländische, und wenn sie sich mit ihrer Tochter manchmal unterhält, kann sie kein Mensch verstehen. Das ist eine verflixte Sprache, und so geschwind geht's – aber man muß es auch können.«

»Ach ja, ich dächte, davon hätte ich gehört,« fuhr der Rath, heftig dabei kauend, fort. »Ist die Tochter nicht an einen gewissen Becker, einen Telegraphen-Beamten, verheirathet?«

»Nein, Herr Rath, doch nicht; an einen sogenannten Geodäten, einen Herrn Melker, der jetzt in Rübhausen stationirt ist, um dort die Zusammenlegung der Felder zu bewerkstelligen.«

»Ach ja, das ist recht, Melker hieß er – wie komm' ich denn nur auf Becker? Aber es klingt ähnlich. Da war einmal in Schwerin ein Mann, der hieß Beyer, aber mit einem e und y geschrieben; Gott, ich habe ihn noch so genau gekannt – ich brachte ihn später als Schreiber beim damaligen Regierungspräsidenten Utrecht, einem intimen Freund von mir, unter. Aber da wohnte noch ein anderer Mann, ein Schuhmacher, Namens Bayer, mit a und y, in der Stadt, und die Beiden wurden doch fortwährend mit einander verwechselt. So schickte ich einmal mein Mädchen zu dem Bayer mit einem a, der gerade für uns arbeitete, um ihn zu mir zu bestellen, weil er mir das Maß zu einem Paar neuer Stiefel nehmen sollte; ich litt damals sehr an Hühneraugen, und die alten Stiefel drückten mich. Aber das Mädchen ging wahrhaftig zum Regierungspräsidenten hinauf und bestellte mir den Schreiber, weil der schon ein paarmal bei mir im Hause gewesen war, und nachher mußte sie denn richtig noch einmal zu dem wirklichen Bayer mit einem a gehen. Ueberhaupt, man glaubt gar nicht, was so ein einziger Buchstabe im Namen für einen Unterschied macht. Da war in Schwerin ein Schneider...«

»Ich dächte, einen Geodät Melker hätte ich auch einmal gekannt,« fiel hier der Major ein, denn der Rath ging wieder durch. »Kommt er manchmal hier herüber?«

»Ach, habe ihn erst heute Morgen gesehen,« sagte der Wirth; »ich glaube, er kam herüber, um seine Frau abzuholen, die hier ein paar Tage bei ihrer Mutter zum Besuch war.«

»In der That?« sagte der Rath, dadurch wieder zur Gegenwart zurückgerufen, da er sonst nur eigentlich in der Vergangenheit lebte. »Da könnten wir ja einmal nach dem Essen hinübergehen, Major, denn einen Verdauungs-Spaziergang müssen wir doch machen. Wohnt sie weit von hier?«

»Nein, gleich dort hinter dem Garten, Herr Rath. Wenn Sie um die Ecke vom Zaun herumbiegen, sehen Sie das kleine hübsche Häuschen gleich vor sich. Die Müller hat eigentlich das hübscheste Häuschen im ganzen Ort.«

»So? Na, dann wollen wir nachher einmal da vorbeischlendern und es uns ansehen – also so ein hübsches Häuschen. Sie ist da wohl reich?«

Der Wirth zuckte mit den Achseln. »Wer kann's wissen?« sagte er. »Sie zeigt's wenigstens Niemandem und lebt einfach und zurückgezogen genug – hat aber auch, das muß wahr sein, keinen Pfennig Schulden im Ort. Man bekommt sie jedoch wenig zu sehen. Sie sitzt fast immer im Hause und näht, oder liest auch wohl in einem Buche; aber wahrhaftig,« unterbrach er sich rasch, als ein Wagen draußen vorbeirollte, »da kommt gerade die Tochter mit ihrem Manne an. Die fahren jetzt wieder nach Rübhausen zurück. Nun haben Sie ihn verpaßt. Na, ein andermal trifft sich's vielleicht besser.«

Der Major war aufgesprungen und an's Fenster getreten. Ein leichter, hübscher Korbwagen, vortrefflich in Federn hangend, rasselte vorüber. Ein sehr anständig gekleideter Herr von vielleicht zweiunddreißig Jahren fuhr, und neben ihm saß, ebenfalls städtisch, aber sehr einfach gekleidet, ein junges, allerliebstes Frauchen und lachte und plauderte mit ihm.

»Also das ist die Tochter?« nickte der Major, sich wieder abwendend, denn der Wagen bog in dem Augenblick um die Ecke. »Sie sieht ja beinahe aus wie eine Dame.«

»Ja,« nickte der Wirth, »ein sehr hübsches Weibsen ist es und eine gute, tüchtige Frau dabei. Die Mutter hat sich's aber auch 'was kosten lassen, um sie zu erziehen, das muß wahr sein, und der Herr Melker das große Loos dabei gezogen.«

Der Rath stieß den Major heimlich an, blinzelte ihm über die Brille zu, flüsterte: »'s ist Alles in Richtigkeit!« und setzte sich dann wieder zu seinem Wildbraten nieder, um noch einmal von vorn zu beginnen. Er rühmte sich nicht mit Unrecht, daß er für drei Mann essen und trinken könne. Dem Major brannte aber jetzt der Boden unter den Füßen, und wenn ihn auch ein eigenes, unbehagliches Gefühl beschlich, sobald er daran dachte, daß die Entscheidung seines lange gehegten Zieles – denn dies war seine letzte Hoffnung – so nahe sei und er zu dem Zweck einer vollkommen fremden Person in das Haus rücken solle, so war er doch nicht der Mann, von der einmal begonnenen Sache nun zurückzuschrecken. Je eher sie abgemacht wurde, desto besser. Es dauerte freilich noch eine Weile, bis er den Rath hinter dem Tisch vorbrachte, aber es gelang doch endlich, und die Beiden schritten jetzt langsam erst eine Strecke durch den Ort hinauf, um ihr Ziel nicht gleich zu verrathen, und dann der bezeichneten Richtung zu, wo sie das kleine Haus auch bald in Sicht bekamen.

Es war in der That ein freundliches Plätzchen, klein und beschränkt freilich – wenigstens dem äußeren Anschein nach –, aber außerordentlich sauber gehalten, ordentlich beworfen und licht bemalt, sowie mit grünen Jalousien versehen; auch schien das daranstoßende Gärtchen sorgsam gepflegt, und selbst über die Hecke herüber schauten blühende Rosenbüsche. Das Ganze war in der That wie ein kleines Idyll, und man dachte sich unwillkürlich ein reizendes, zartes Wesen, das jetzt dort hinter den Blumen am Fenster an einer Stickerei arbeiten und vielleicht einmal mit dem Lockenkopf hinausschauen müsse.

Hinter den Blumen am Fenster war aber nichts als eine große weiße Haube zu erkennen, die sich auch gar nicht regte, als die beiden Fremden vorübergingen.

»Hören Sie, Major,« sagte der Rath, indem er von der Seite über die Brille hinüberschielte, »das erinnert mich an ein Abenteuer in Schwerin, wo ich....«

»Thun Sie mir den einzigen Gefallen,« unterbrach ihn der Major, »und erzählen Sie mir jetzt nichts; ich fange außerdem schon an ganz nervös zu werden. Wollen wir hinein?«

»Nun, versteht sich von selbst,« sagte der Rath; »wir sind einmal da und müssen nun auch durch. Wie wollen Sie aber anfangen? Wir müssen doch gewissermaßen eine Introduction haben, nachher macht sich dann Alles von selber. Könnten wir zum Beispiel nicht nach Herrn Melker fragen? Wir wissen jetzt genau, daß er nicht da ist.«

»Daran habe ich auch schon gedacht,« sagte der Major; »aber nachher?«

»Dann lassen Sie mich nur das Uebrige besorgen; ich knüpfe mit allen Menschen ein Gespräch an, wenn ich sie nur erst einmal fest habe, und eine Einleitung zu unseren Fragen ist ja auch dadurch gegeben, daß Sie mit der Familie Wendelsheim, in der sie selber früher gedient hat, verwandt sind. Fangen Sie zum Beispiel nachher einmal von der in der nächsten Zeit fälligen Erbschaft an, und wir sehen dann gleich, was sie dazu für ein Gesicht macht; ich werde sie indessen beobachten. Donnerwetter, Major, zwei alte Knaben, wie wir sind, und mit allen Hunden gehetzt, sollen es doch wohl in der Intelligenz mit einer alten Frau aufnehmen können!«

»Und wenn sie nichts gesteht?«

»Sie braucht nicht direct zu gestehen, lieber, bester Freund,« versicherte ihm der Rath, »und wird das auch auf keinen Fall, davon bin ich schon jetzt vollkommen überzeugt, ohne sie nur einmal gesehen zu haben. Ich verlange auch weiter nichts, als daß sie sich nur ein einziges Mal verschnappt, nur mit Einer Silbe, daß sie sich nur einmal widerspricht; dann haben wir sie fest, und daß dann die Gerichte das Andere aus ihr herausbekommen, darauf können Sie sich fest verlassen. Sagen Sie mir nur um Gottes willen, weshalb Sie mit dem Allen erst jetzt herausrücken, und nicht schon vor zwanzig Jahren, als die Sache noch warm war, ihr zu Leibe gegangen sind?«

»Lieber, bester Freund,« sagte der Major, »das wäre allerdings besser gewesen; aber gerade in der Zeit, in der das Kind geboren wurde, befand ich mich in Rußland, und als ich nachher zurückkehrte, waren die Leute, die damals in Wendelsheim gedient, so in alle Welt zerstreut, daß meine Bemühungen vergeblich blieben. Erst jetzt, nachdem über dem Ganzen scheinbar Gras gewachsen, haben sie sich wieder eingefunden, und jetzt, ja, ich kann wohl sagen, eigentlich in den letzten Tagen und so recht vor Thorschluß, bin ich erst auf die richtige Fährte gekommen. Aber es ist selbst jetzt noch nichts versäumt.«

»Gott bewahre, Gott bewahre,« nickte der Rath; »ein Heidenglück nur, daß Sie wenigstens jetzt noch auf die Spur kamen, denn ein paar Wochen später hätten Sie einpacken und mit langer Nase abziehen können! Doch wir wollen umkehren – jetzt hilft's nichts. Also die Zähne zusammengebissen, Major, und fest vorwärts. Umbringen kann sie uns nicht, und im schlimmsten Fall sind wir immer unserer Zwei!«

Die beiden Verbündeten, die indessen eine Strecke auf der Straße hinausgegangen waren, so daß sie schon die Felder wieder vor sich sahen, drehten jetzt um und schritten direct auf das Haus der Wittwe Müller zu, dessen Pforte, da der Eingang durch den Garten führte, sie bald darauf erreichten. Draußen war auch eine Klingel angebracht; die Glocke hing inwendig am Pfosten, und der Rath streckte schon den Arm nach dem Griff aus, als er plötzlich sagte:

»Hören Sie, Major, wenn wir jetzt hier läuten, steckt sie am Ende den Kopf zum Fenster heraus und fertigt uns gleich auf der Straße ab. Das wäre Pech!«

»Vielleicht ist die Thür offen; fassen Sie einmal auf die Klinke.«

»Wahrhaftig,« sagte der Rath, indem er die Klinke probirte, »das war ein guter Gedanke. Die Zugbrücke ist nieder, nun laufen wir Sturm, he, Major? Also vorwärts marsch, ich sehe schon, ich muß die Leitung doch wohl übernehmen!«

12.
Frau Müller.

Die beiden Verbündeten traten in den Garten, den sie auf das fleißigste gehalten und gepflegt fanden, und Keiner von ihnen dachte wohl daran, daß sie in diesem Augenblick gerade im Begriff standen, ihr Möglichstes zu thun, diesen Frieden zu stören und die glückliche Besitzerin desselben in das Zuchthaus zu liefern. Dem Rath war die Sache auch noch viel zu neu, und er hatte sie sich, mit dem Reiz des Abenteuerlichen, der sie umgab, noch gar nicht ordentlich zurechtlegen können, und der Major, nur das Ziel vor Augen, dem er entgegenarbeitete, schien Alles, was sich ihm in den Weg stellen wollte, gerade wie ein wilder steeple-chaser, als gar kein Hinderniß zu betrachten. Hier galt, wie er sich die langen Jahre hindurch fest eingeredet, nur das Recht, und einzig und allein das Recht, und der alte Baron, den er von Grund seiner Seele aus haßte, mußte für verübtes Unrecht bestraft werden. Daß er damit dann nachher Alle, die ihm dabei geholfen, mit hineinzog, daran dachte der Major gar nicht, oder wenn er daran dachte, war es ihm vollkommen gleichgültig. Vorwärts! Der Rath hatte ganz recht; das war das einzige Wort, das jetzt für sie galt, und mit festen, entschlossenen Schritten ging er auf die grün gemalte Thür zu, die ihn noch von seiner Beute trennte.

Diese fanden die beiden Herren aber nicht offen, doch war ebenfalls ein Klingelzug dort angebracht, und ohne auch nur noch einen Augenblick durch unnützes Zögern zu verlieren, zog der Rath daran.

Drinnen im Hause ging gleich darauf eine Thür, und es dauerte nicht lange, so wurde innen ein Riegel zurückgeschoben und die Pforte geöffnet, wobei sie sich einer ziemlich robusten Dame »in den besten Jahren« gegenüber sahen.

Die Dame trug ein dunkelrothes Kattunkleid mit engen Aermeln, dazu eine schneeweiße Haube und eben solchen Halskragen, und sah überhaupt recht sauber und adrett aus. Aber ihr Gesicht gefiel dem Major nicht; um den Mund, auf dessen Oberlippe ein kleiner Anlauf zu einem Schnurrbart sichtbar wurde, lag ein Zug, der etwa ausdrückte: »Ich habe etwas durchgesetzt in meinem Leben und kümmere mich den Henker um die Welt!« Die ziemlich starken Augenbrauen waren ihr dabei über der Nasenwurzel zusammengewachsen, und ein Paar große blaue Augen sahen mehr forschend als freundlich darunter vor. Aber nicht gerade unfreundlich sagte sie, als sie die Fremden in ihrem Garten sah: »Und mit was kann ich den Herren dienen?«

»Sie entschuldigen, verehrte Frau,« nahm hier der Rath das Wort, »wie ich gehört habe, befindet sich gerade ein alter Bekannter von mir, Herr Melker, bei Ihnen?«

»Das thut mir leid,« sagte die Frau, »mein Schwiegersohn ist eben fortgefahren; meine Tochter war auf Besuch bei mir, und die hat er wieder abgeholt.«

»O, das bedauere ich doch wirklich sehr,« sagte Rath Frühbach, indem er sich die Stirn mit einem riesigen seidenen Taschentuch abwischte, »ich hätte ihn so gern gesprochen! Können Sie uns nicht vielleicht sagen, wann er zurückkehren wird?«

»Thut mir leid, weiß ich aber nicht,« entgegnete ruhig die Frau.

»Sie sind auch vielleicht nicht im Stande, uns zu sagen, wann er seine Arbeiten dort beendet haben wird?« fuhr Frühbach unverdrossen fort. »Ich habe selber ein Gut – warten Sie, wo ist denn gleich die Liste...« – Und er nahm dabei sein Taschenbuch heraus.

»Wollen denn aber die Herren nicht näher treten?« sagte Frau Müller, die jetzt nicht anders vermuthen konnte, als daß es sich um einen neuen Auftrag und Verdienst für ihren Schwiegersohn handle. »Sie stehen hier so draußen auf dem Flur...«

»Wenn wir Sie nicht stören, verehrte Frau...«

»Bitte, ganz und gar nicht. Seien Sie so gut und kommen einen Augenblick mit hier herein; ich bin ganz allein, und wenn ich Ihnen irgend eine Auskunft geben kann...«

Die Herren ließen sich natürlich nicht lange nöthigen. Rath Frühbach ging mit seinem gewinnendsten Lächeln voran, und der Major folgte ihm dicht auf dem Fuße.

Das Zimmer sah außerordentlich sauber aus; es war allerdings sehr einfach möblirt, aber doch mit Geschmack, und die vielen Blumen besonders, der frisch gestreute Sand und die Sonne, welche auf dem Ganzen lag, gaben ihm etwas unendlich Freundliches. Die Frau selber benahm sich dabei mit vielem Anstand; man sah es ihr an, daß sie sich häufig in gebildeten Kreisen bewegt haben mußte, und die Art, wie sie sich selber wieder auf ihren Stuhl niederließ und den beiden Herren winkte, auf zwei anderen Sesseln Platz zu nehmen, hatte wirklich etwas Vornehmes.

An Frühbach, während es dem Major imponirte, ging das aber vollständig verloren; er nahm mit seinem wohlwollendsten Lächeln Platz und begann dann auch eine längere Erzählung (während er noch immer in seiner Brieftasche herumsuchte), die sich einzig und allein um sein Rittergut und die dort vorhandene Nothwendigkeit drehte, die Zusammenlegung der Felder so rasch als irgend möglich in Angriff zu nehmen. Dadurch aber gewann der Major Zeit, um seinen Schlachtplan zu entwerfen, und wenn Frühbach einmal, was aber nicht so bald geschah, eine Pause machte, nahm er selber das Gespräch auf und sagte:

»Nicht wahr, Madame, Sie waren früher auch einmal – es sind jetzt freilich schon lange Jahre her – in dem Hause meines Vetters, des Freiherrn von Wendelsheim?«

»Ei gewiß,« erwiederte Frau Müller, die, wie sich bald herausstellte, trotz ihres etwas absprechenden Wesens eine Unterhaltung liebte; sie mußte nur erst einmal warm werden. »Also das ist ein Herr Vetter von Ihnen? Ein lieber, braver Herr! – Jawohl, ich war Amme dort im Hause, gleich nachdem mir mein Töchterchen, die Martha, geboren war, und mein Mann wollte es damals eigentlich nicht zugeben, aber lieber Gott, was konnten wir machen – die Frau Baronin war so leidend, auch immer so gut mit uns gewesen, da mußten wir ja zuletzt nachgeben, und meine kleine Martha wurde unterdessen zu Hause mit Milch großgezogen. Das Kind ist auch wohl dadurch ein bischen schwächlich und zart geblieben, aber doch, Gott sei Dank, gesund und kräftig, und ich habe mir später keine Vorwürfe zu machen gebraucht.«

»Die beiden Kinder sind also wohl so ziemlich in Einem Alter?« fragte der Major.

»Ja, gewiß,« sagte Frau Müller, »kaum achtundvierzig Stunden auseinander – ja, und es kam mir damals schwer genug an, den armen kleinen Wurm allein zu lassen, aber der Herr Baron schickte seinen eigenen Wagen, eine große Glaskutsche, und es half nichts, ich mußte hinein.«

»Mein Vetter,« sagte der Major, der jetzt glaubte von einer andern Seite angreifen zu müssen, »war eigentlich bei seinen Leuten nicht besonders beliebt. Seine Frau soll ein Engel gewesen sein, und sie hat auch, wie ich Ursache habe zu vermuthen, viel ertragen; aber er selber hatte immer etwas entsetzlich Stolzes und Hartes, und seine Familie kann davon besonders erzählen.«

»Wie es mit der Familie gewesen ist, weiß ich nicht,« sagte die Frau; »gegen mich und die Leute war er immer sehr gut, besonders gegen mich und den kleinen Baron – Du lieber Gott, er wußte gar nicht vor Seligkeit, was er mit dem Kind Alles anfangen sollte! Ordentlich mit Gewalt haben wir's ihm manchmal wegnehmen müssen, so sprang und tanzte er damit herum, und wollte sich gar nicht zufrieden geben, daß die gnädige Frau Tante oft mit ihm zankte und böse wurde.«

»Die gnädige Frau Tante?«

»Nun, dem gnädigen Herrn seine Schwester, ein Fräulein von Wendelsheim, die auch, glaub' ich, jetzt noch immer im Hause ist. Das war aber ein bitterböses Frauenzimmer, wir nannten sie nur immer den Beißzahn, und wenn sie damals schon wie ein Beißzahn auftrat, so gnade Gott jetzt die armen Dienstboten, die unter ihr stehen müssen!«

»Das gnädige Fräulein führte wohl den Oberbefehl im Hause?« warf der Rath eine Frage ein.

»Ja, und führt ihn wahrscheinlich noch,« nickte Frau Müller; »denn sie sah mir nicht danach aus, als ob sie sich irgend 'was aus den Händen winden ließe. Sie biß eher.«

»Aber mit dem Kinde war sie gut?«

»Ich weiß es nicht,« sagte achselzuckend die Frau; »manchmal, ja. Dann aber betrachtete sie es auch wieder mit ganz finsteren Blicken und konnte oft stundenlang kein freundliches Wort – was überdies selten genug aus ihrem Munde kam – mit irgend einer Seele reden.«

Der Rath warf dem Major einen bedeutungsvollen Blick zu; dieser aber, ohne ihm zu begegnen, wenn er ihn auch gemerkt hatte, fuhr langsam fort:

»Es ist sonderbar, aber es wurde damals viel über das Kind gesprochen; die Leute hörten nicht auf, sich die verschiedensten Sachen zu erzählen....«

»Natürlich,« nickte die Frau, »weil mit dessen Geburt eine große Erbschaft in Aussicht stand. Lieber Himmel, über was reden die Leute nicht, und ich bin damals auch oft gefragt und drangsalirt worden, habe ihnen aber heimgeleuchtet, bis sie mich zufrieden ließen – das Pack das!«

Die Erinnerung oder vielmehr Erwähnung jener mißglückten Versuche schien gerade nicht ermuthigend auf den Major zu wirken. »Der zweite Sohn ist jetzt recht leidend,« sagte er nach einer kleinen Pause, »man glaubt kaum, daß er noch lange leben wird.«

»Na, dem Beißfräulein gönne ich das,« meinte Frau Müller, »denn sie soll den zweiten Sohn fast vor Liebe aufgefressen haben, während sie sich um den ersten wenig oder gar nicht bekümmerte – und was für ein draller, derber Junge war das! Aber um den Vater sollte mir's leid thun. Lieber Gott, die Mutter liegt ja schon so lange in ihrem kalten Grabe!«

»Und haben Sie den Aeltesten kürzlich einmal gesehen? Er ist, wie Sie wissen, Officier.«

Die Frau schwieg, und wieder sah der Rath den Major an, diesmal aber zog er die Augenbrauen hoch in die Höhe. Endlich erwiederte die Frau, die indessen still vor sich niedergesehen:

»Lange nicht, seit langer, langer Zeit. Du lieber Himmel, aus Kindern werden Herren, und wenn die vornehm sind, was kümmert sie nachher eine arme alte Frau, die sie früher mit ihren eigenen Säften genährt! Sie denken nicht mehr daran. Wenn der Herr Baron gewollt hätte, wäre er schon lange einmal zu mir herausgekommen, denn daß ich wieder hier wohne, muß er doch wohl wissen; aber er kümmert sich nicht mehr um seine alte Amme, die Mutterstelle an ihm vertrat, und wenn er's aushalten kann – na, ich kann's auch.«

»Da scheint Ihr eigenes Kind mehr an Ihnen zu hangen,« sagte der Rath, der auch nach dieser Seite hin anzuklopfen wünschte.

»Nun,« fragte die Frau und sah ihn verwundert an, »soll sie denn das auch nicht? Hatte sie denn, bis sie sich vor Kurzem verheirathete, irgend Jemanden sonst in der weiten Welt, der für sie sorgte und mühte, als mich? Alle Ursache für sie, daß sie an mir hängt, und es wäre unnatürlich, wenn sie anders sein wollte.«

»Ach, wenn Sie in jener Zeit in Schloß Wendelsheim waren,« bemerkte der Major, »dann kennen Sie ja auch wohl eine Frau Heßberger, die damals dort aus und ein ging?«

Die Frau Müller sah den alten Herrn etwas erstaunt an. Es mochte ihr jetzt vielleicht zum ersten Mal auffallen, daß überhaupt so viele Fragen an sie gerichtet wurden, während Rath Frühbach, der diese Antwort mit der gespanntesten Aufmerksamkeit erwartete, um sich mit keinem Blick zu verrathen, seine Dose hervornahm und der alten Dame eine Prise offerirte.

Wenn diese gewußt hätte, daß Rath Frühbach immer Morgens, ehe sein Zimmer gereinigt wurde, den über Tag beim Schnupfen auf die Matte gefallenen Schnupftabak wieder sorgfältig zusammenschob und zurück in die Dose that, so würde sie die Prise wohl verweigert haben. Der Major wußte es wenigstens und schnupfte deshalb nie mit ihm. So aber nahm sie dankend eine Prise an und sagte nach kleiner Weile:

»Die Heßberger? Gewiß kenne ich die – die schlechte Person! Aber weshalb fragen Sie mich das? Wie kommen Sie überhaupt jetzt auf die Heßberger?«

»Lieber Gott,« sagte der Major, doch halb verlegen, »da wir gerade so von alten Zeiten sprachen, fiel mir die Person wieder ein, weil sie ja damals just so viel im Hause ein und aus ging und die stolze Frau Baronin sie trotzdem nicht leiden konnte; das hab' ich wenigstens oft und oft gehört.«

»Das ist auch wahr,« nickte die Frau, »weil sie mit dem gnädigen Fräulein immer durchsteckte, und der alte Baron mußte wohl thun, was die Beiden wollten. An mich durfte sie sich freilich nicht wagen, weil ich das Kind hatte, und mit dem verstand der alte Baron keinen Spaß; aber die Anderen hat sie in der kurzen Zeit genug geschuhriegelt, und sie haben's ihr auch gedacht. Aber was macht die sich daraus!«

»Die Heßberger hat sich damals ein schön Stück Geld verdient,« sagte der Major.

»Was geht's uns an,« brach jedoch die Frau, jedenfalls mißtrauisch werdend, kurz ab; »ich rede nicht gern über die Zeiten, und mit fremden Leuten gar nicht. Sie suchten ja aber vorhin ein Papier in Ihrer Brieftasche, Herr – ich weiß noch nicht einmal Ihren Namen....«

»Frühbach, verehrte Frau – Rath Frühbach,« sagte der also Angeredete, der seine Tasche schon lange wieder zurückgeschoben hatte, indem er jetzt rasch und doch etwas verlegen danach griff. »Aber das hat Zeit, bis ich den Herrn Melker einmal selbst sprechen kann. Wir haben uns hier angenehm unterhalten – ich sage Ihnen, die Zeit ist mir nur so dahingeflogen, und Sie wohnen auch hier wie in einem kleinen Paradies.«

»Ja, die Wohnung ist allerdings recht hübsch,« nickte die Frau, »nur eigentlich fast ein bischen zu groß für eine alleinstehende Wittwe; aber, lieber Gott, es ist doch ein eigenes Haus, und man kann es sich darin bequem machen.«

»Merkwürdig, daß es mir noch nicht aufgefallen ist,« meinte Frühbach, »und ich komme doch so oft nach Vollmers heraus – ich trinke den Aepfelwein so gern, er ist auch für meinen Körper zum Bedürfniß geworden, ich könnte ihn gar nicht mehr entbehren. Leider scheint dieser Jahrgang nicht so ausgefallen zu sein wie der vorige; der Wein säuert ein wenig, ist aber auch dafür, glaube ich, um so viel gesunder als der vorjährige. Das war aber in der That etwas Wunderbares, und ich denke jetzt noch mit Schmerzen daran, daß er vorüber ist.«

»Nun,« lächelte die Frau, freundlicher als bisher, »wenn Sie denn so für unsern vorjährigen Aepfelwein schwärmen, dann kann ich Ihnen die Erinnerung daran vielleicht wieder auffrischen. Gästen sollte man doch eigentlich etwas vorsetzen, und das ist gerade das Einzige, was ich im Hause habe. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.«

Damit war sie aufgestanden und verließ das Zimmer, während ihr der Major kopfschüttelnd nachsah. »Mein lieber Rath,« sagte er, als sie hinaus war, aber mit etwas unterdrückter Stimme, »ich fürchte, ich fürchte, ich habe heute meine letzte Hoffnung zu Grabe getragen. Aus der Frau bekommen wir auf die Weise heilig nichts heraus.«

»Lieber, bester Freund,« rief Frühbach, der nur einen Augenblick gewartet hatte, bis sie von der Thür weg sein konnte, indem er den Arm des Majors ergriff und heftig drückte, »kriegen wir nichts heraus, meinen Sie? Wir haben sie!«

»Haben – wen?«

»Die Frau! Ist Ihnen denn entgangen, wie sie zusammenfuhr, als wir den Namen der Heßberger nannten? Sie erschrak sichtlich – und jetzt klopfen wir nicht mehr auf den Busch, jetzt schlagen wir drauf!«

»Begehen Sie um Gottes willen keine Unvorsichtigkeit! Ich möchte hier nicht in Unannehmlichkeiten gerathen, die, wenn sie nachher bekannt würden, ohne daß wir etwas erreicht hätten...«

»Sehen Sie das Bild dort?« fragte der Rath, mit dem Arm auf ein nicht ganz schlechtes Oelgemälde deutend, das gegenüber an der Wand hing und ein junges, sehr hübsches Mädchen darstellte. »Wollen Sie noch einen Beweis?« fuhr der Rath ganz in Eifer fort. »Ist das nicht ein entschieden vornehm adeliges Gesicht, und hat es auch nur die Spur von der Frau Müller? Nein – aber dem Baron von Wendelsheim sieht es ähnlich, wie aus den Augen geschnitten!«

»Aber das Bild ist vielleicht aus der Wendelsheim'schen Familie,« sagte der Major, es jetzt ebenfalls aufmerksam betrachtend. »Aehnlichkeit liegt allerdings darin, aber wir wissen ja gar nicht, ob sie das Bild nicht einmal von der seligen Frau geschenkt bekommen oder auf irgend einer Auction erstanden hat.«

»Das wollen wir bald herausbekommen,« sagte Frühbach entschlossen; »jetzt aber lassen Sie mich nur machen. Ich habe Ihnen meine Hülfe zugesagt, und Sie sollen sich mir nicht umsonst anvertraut haben. Die Frau hat kein gutes Gewissen, darauf möchte ich meine Schnupftabaksdose verwetten, und daß sie jetzt den Aepfelwein holt, geschieht nur, um uns mit guter Manier los zu werden. Aber ich will nicht Frühbach heißen, wenn ich sie nicht fasse, und zwar, ehe sie eine Ahnung davon hat, ganz unvorbereitet, und Sie sollen erleben, wie sie bleich wird und zu Kreuze kriecht!«

»Aber wir können ihr ein Verbrechen, für das wir noch gar keine directen Beweise haben, doch nicht auf den Kopf zusagen.«

»Auf den Kopf!« erwiederte Rath Frühbach mit der Miene eines Mannes, der zum Aeußersten entschlossen ist. Aber es blieb dem Major keine Zeit zu weiteren Bemerkungen oder irgend einer Widerrede oder Abmahnung, denn in demselben Augenblick wurde die Thürklinke wieder aufgedrückt, und während sie schon das Klirren der Gläser hörten, erschien Frau Müller wieder mit einem irdenen Krug in der Hand und einem kleinen Präsentirteller, auf dem drei Gläser standen.

»So, meine Herren,« sagte sie freundlich, indem sie die Sachen auf den Tisch stellte und dann zu einem kleinen Eckschrank trat, aus dem sie Brot und frische Butter nahm. »Langen Sie zu; es ist Alles, was das Haus bietet, aber ein Gericht Gerngesehen, und daran darf man eben keine großen Ansprüche machen. Und nun kosten Sie einmal den Aepfelwein, Herr Rath, und sagen Sie mir, ob Sie schon irgendwo in Ihrem Leben besseren getrunken haben.«

Während Frau Müller sprach, schenkte sie die Gläser voll; Frühbach, der sie indessen über die Brille betrachtet hatte, schmunzelte unwillkürlich, als ihm der wohlbekannte und geliebte Duft in die Nase stieg. Er konnte es sich auch nicht versagen, das Glas an die Lippen zu heben und zu kosten; aber »famos!« sagte er, »unübertroffen!« und leerte es schon im nächsten Augenblick auf Einen Zug.

Der Major nahm das Glas nur ungern; es war ihm ein eben nicht angenehmes Gefühl, von der Frau, hinter deren Rücken sie eben noch ihren Plan geschmiedet, gastlich behandelt zu werden. Sie durften auch jetzt nicht weiter in sie dringen, und da er die Einladung, doch auch ein Glas zu kosten, nicht gut ablehnen konnte, hob er es an die Lippen und nippte daran. Der Aepfelwein war allerdings süßer als der bei Frühbach getrunkene, immer doch aber nur ein sehr zweifelhaftes Gebräu, dem indeß der Rath mit voller Hingebung zusprach, ja sich sogar, trotzdem daß sie eben vom Mittagessen kamen, noch ein tüchtiges Stück Brot abschnitt und es mit Butter bestrich, um es dazu zu verzehren.

Beim Kauen überlegte er sich seinen Feldzugsplan, dessen Ziel in nichts Geringerem bestand, als die Festung, die nicht durch List bezwungen werden konnte, zu überrumpeln und mit Sturm zu nehmen.

»Werthe Frau Müller,« sagte er deshalb, wie er nur den letzten Bissen verschluckt und ein Glas Aepfelwein hintennach geschickt hatte, indem er sich den Mund mit dem sehr oft gebrauchten Taschentuch wischte, dieses dann immer kleiner zusammendrückte und zuletzt zurück in die Tasche schob (dabei nahm er wieder die Dose heraus), »allen Respect vor Ihrem Aepfelwein, er ist wirklich vortrefflich, und ich habe in meinem Leben keinen besseren getrunken. Unser voriges Gespräch schien Ihnen vorhin nicht angenehm zu sein, was ich bedauere, aber ich muß doch noch einmal darauf zurückkommen. Sie wissen nämlich nicht, daß, wenn die Erbschaft – durch irgend eine gebrauchte List – in falsche Hände geräth... – Vielleicht noch eine Prise gefällig?«

»Ich danke,« sagte die Frau, ärgerlich mit dem Kopf schüttelnd. »Was geht mich die Erbschaft an? Ich kriege doch nichts davon! Ueberhaupt will ich von der ganzen Wendelsheim'schen Geschichte gar nichts wissen!«

»Bitte, lassen Sie mich ausreden,« sagte der Rath, »denn als Frau können Sie keine Kenntniß von den in dieser Hinsicht furchtbar strengen Gesetzen haben – daß also dann die, welche mit dazu beigetragen haben, einen Betrug zu unterstützen, den schwersten, jedenfalls Leibes- und vielleicht gar Lebensstrafen ausgesetzt sind.«

»Lieber Rath,« sagte der Major, dem nicht ganz wohl bei der Einleitung wurde, »das Gesetz wird ja...«

»Bitte, lieber Major,« entgegnete Frühbach, »erlauben Sie mir, daß ich der Dame, die uns so freundlich aufgenommen hat, den Standpunkt vollkommen klar mache; wir werden dann mit der größten Leichtigkeit zu einem Verständniß kommen.«

Die Frau Müller hatte ihn staunend angesehen, denn sie schien entweder gar nicht zu begreifen, worauf hinaus der Rath arbeitete, oder wollte es nicht; der Major, welcher sie mißtrauisch von der Seite beobachtete, wurde wenigstens nicht klug daraus. Frühbach aber, die linke Hand, in der er die Dose hielt, auf den Rücken legend, mit der Rechten, zwischen deren Fingern er noch eine Prise hielt, gesticulirend, fuhr, immer über die Brille weg, fort:

»Daß Sie vollkommen gut verstehen, worauf ich hindeute, verehrte Frau, davon bin ich überzeugt. Die Welt hat sich eben nicht täuschen lassen, denn zu Viele wußten um das Geheimniß. Bis jetzt aber, wo es eben nicht darauf ankam, ließ man die Sache gehen; nun jedoch, da der Termin der Erbschaft abgelaufen ist, wird es unmöglich, die damalige Täuschung länger durchzuführen. Seien Sie also vernünftig, und gestehen Sie, was Sie wissen – Sie sind unter Freunden...«

»Ich soll gestehen?« sagte die Frau, die sich von ihrem Erstaunen noch immer nicht erholen konnte, denn Frühbach brachte das Alles mit solcher Salbung an. »Aber was denn um Gottes willen?«

»Gut,« rief jetzt der Rath, wie erbittert über so viel Störrigkeit, »wessen Bild ist das, was da an jener Wand hängt? Das dort mein' ich!«

»Das dort? das Bild meiner Tochter – und was haben Sie denn?«

»Nein,« rief der Rath mit erhobener Stimme, »das ist nicht wahr! Wissen Sie, wessen Bild das ist? Wissen Sie, was die Frau Heßberger in der Stadt schon gestanden und gebeichtet hat?«

Die Frau war todtenbleich geworden und trat einen Schritt zurück, und der Major selber erschrak über die plötzliche Veränderung in ihren Zügen – die Augen starrten den Redenden stier und entsetzt an, der Mund war halb geöffnet, die eine Hand vorgestreckt. Rath Frühbach aber, dem das ebenfalls nicht entging, fuhr, seinen Sieg verfolgend, triumphirend fort:

»Das ist das Bild der Tochter des Barons von Wendelsheim, dem Sie dafür den Sohn untergeschoben haben, und wenn Sie jetzt, wo Sie noch unter Freunden sind, Alles gestehen, so kann ich Ihnen die Versicherung...«

Weiter kam er nicht. Alles Blut, das zuerst das Antlitz der Frau verlassen hatte, schoß dahin zurück, daß es jetzt eine fast kupferrothe Färbung annahm, und die Arme in die Seite stemmend, rief sie mit vor Wuth fast erstickter Stimme:

»Sie – Sie alter grauhaariger Esel, Sie wollen ein Rath sein?!«

»Frau Müller!« rief Rath Frühbach entsetzt.

»Und deshalb ist das Lumpengesindel in mein Haus gekommen?« schrie die Frau, die jetzt erst ihre Zunge wiederzufinden schien. »Nach meinem Schwiegersohn erkundigen sie sich, weil sie wissen, daß er nicht da ist, und heimlich hinten herum kommen sie und fragen und bohren und thun schön und unschuldig, um eine arme Frau in's Unglück zu stürzen!«

»Aber, beste Frau Müller!« fiel auch jetzt der Major ein, der aus all' seinen Himmeln herausstürzte und nur allein den aufkochenden Zorn der Gereizten zu besänftigen wünschte.

»Pfui Teufel!« rief aber die Frau Müller, die jetzt das Wort hatte und es sich nicht so leicht wieder nehmen ließ. »Indianer und Türken und Heiden, wenn sie mit einem andern Menschen gegessen und getrunken haben, üben weder Hinterlist noch offene Feindschaft gegen ihn aus, sondern behandeln sich als Brüder – aber das nennt sich Christen, und ist ärger als Türken und Heiden!«

»Aber, Frau Müller, ich versichere Ihnen...« sagte der Major.

»Sie brauchen mir nichts zu versichern!« schrie die Frau, immer mehr in Zorn gerathend. »Was haben Sie überhaupt hier zu thun? Glauben Sie, daß ich mich in meinen eigenen vier Wänden ungestraft beleidigen lasse? Und die Frau Heßberger – was geht das mich an, was die gestanden hat, oder möchten Sie mir vielleicht damit drohen? Aber das wollen wir doch einmal sehen, ob noch Recht und Gesetz im Lande ist und hülflose, alleinstehende Frauen in ihrem eigenen Hause überfallen werden dürfen, das wollen wir doch einmal sehen! Den Augenblick gehe ich auf's Gericht, und dann will ich wissen, ob das da das Bild meiner Tochter, meines eigenen Kindes ist oder nicht, und ob jeder hergelaufene Lump, der sich Rath nennt, herkommen und mich beschimpfen darf!«

»Aber, Frau Müller,« sagte Rath Frühbach, allerdings etwas bestürzt über die Wendung, die sein fein angelegter Plan, bei dem er sich schon einen Moment am glücklich erreichten Ziel geglaubt, plötzlich genommen, »Sie werden uns doch erlauben...«

»Gar nichts erlaube ich Ihnen,« rief die Frau, »gar nichts auf der Welt! Je eher Sie sich aus meinem Hause scheren, desto besser, und wenn Sie nicht gleich gutwillig gehen, dann rufe ich die Nachbarn zu Hülfe, daß die Ihnen Beine machen!«

Der Major hatte sich schon, auf's äußerste verlegen, während des letzten Gespräches der Thür zu gedrückt und eigentlich nur auf einen günstigen Moment gewartet, um hinauszufahren, denn die ganze Sache war ihm fürchterlich fatal; er mochte nur auch nicht geradezu fortlaufen. Jetzt aber fand er keine Veranlassung mehr, länger zu zögern; die Thür war ihnen deutlich genug und ohne ein Mißverständniß möglich zu machen, gewiesen worden.

»Kommen Sie, Rath, das geht nicht länger,« sagte er, jetzt selber ärgerlich werdend, denn der Mann war nicht von der Stelle zu bringen. Er stand, aber jetzt ebenfalls mit einem dicken rothen Kopf, immer noch die Prise zwischen den Fingern, vor der Wüthenden und schien nur auf einen Moment zu passen, wo er wieder einfallen konnte. – »Nun gut denn, wenn Sie allein dableiben wollen, meinetwegen – ich gehe aber – guten Morgen, Madame!«

»Einen schönen guten Morgen, das weiß Gott!« rief die Frau. »An den Morgen werde ich denken, aber ich will Sie begutenmorgen mit Ihrer Höflichkeit, oder mein Name ist nicht Barbara Müller! Vor Gericht sehen wir uns wieder, und dort soll sich dann einmal herausstellen, ob ich mich brauche in meinen vier Wänden überfallen und beschimpfen zu lassen, und dort sollen Sie beweisen, was Sie gesagt haben, Sie – Rath Sie, oder wir wollen einmal aufpassen, was geschieht!«

Frühbach hatte einen Blick nach dem Major zurückgeworfen, bemerkte aber kaum, daß dieser wirklich Ernst machte und schon halb aus der Thür war, als er es auch für gerathen fand, seinem Beispiele zu folgen. Etwas mußte er aber noch sagen, denn lautlos konnte er nicht abziehen.

»Schön, verehrte Dame,« nickte er, indem er sich die Brille festschob, wobei er die vergessene Prise fallen ließ und zugleich nach Stock und Hut griff, »wenn Sie es denn nicht anders wollen, mir kann's recht sein – empfehle mich Ihnen!« setzte er aber rasch hinzu, denn der Zorn der gereizten Frau war auf's höchste gestiegen, und sie fing an gegen ihn vorzurücken; er wollte es nicht zum Aeußersten kommen lassen.

»Ihnen kann's recht sein, so? Sie alter Schafskopf Sie!« schrie die Frau.

Frühbach wartete jedoch keine weiteren naturhistorischen Eigennamen ab, er war viel schneller, als er sich sonst gewöhnlich bewegte, aus der Thür hinaus, und gerade noch zur rechten Zeit, denn dieselbe wurde im nächsten Augenblick hinter ihm zugeschleudert, daß die Fenster im ganzen Hause zitterten. Die Stimme der gereizten Frau übertäubte dabei noch den Lärm. Der Major hielt sich auch gar nicht weiter auf, um seinen Freund und Leidensgefährten zu erwarten, sondern humpelte, so rasch es ihm sein obstinates Bein erlaubte, die Straße hinab, so daß der Rath tüchtig ausschreiten mußte, um ihn wieder einzuholen. Aber er that das mit Vergnügen, denn er verlängerte mit jedem Schritt die Entfernung zwischen sich und der schrecklichen Frauensperson, und hatte auch gar nichts dagegen, daß der Major rechts ab in eine Seitenstraße bog und nicht eher einhielt, bis er die dort daranstoßenden Kartoffelfelder erreichte. Da blieb er stehen und sagte, sich zum ersten Mal nach dem Rath umsehend:

»So, mein Herr Rath, da haben Sie uns mit Ihrem« – Maul hätte er am liebsten gesagt, aber das litt seine Höflichkeit nicht, darum ersetzte er es mit – »Hitzkopf in eine schöne Sackgasse hineingefahren.«

»Ich habe Sie hineingefahren, mein bester Major?« sagte der Mann, indem er stehen blieb und sich den Schweiß über der Brille wegtrocknete. »Das nehmen Sie mir nicht übel; was habe ich denn überhaupt von der ganzen Geschichte, ehe Sie mich hieherbrachten, gewußt? Gar nichts – und wenn ich nur eine Ahnung gehabt hätte, daß sie auf so schwachen Füßen steht, ich würde den Teufel gethan haben, meine Nase hinein zu stecken!«

»Aber wer um Gottes willen hieß Sie auch so mit der Thür in's Haus fallen und die ganze Sache der Frau auf den Kopf zusagen? Ich bat Sie doch, es nicht zu thun, und da konnten wir uns noch mit guter Manier aus der Schlinge ziehen und einen ehrenvollen Rückzug sichern – jetzt sind wir mit Schimpf und Schande abgezogen und haben uns auf das lächerlichste blamirt.«

»Das weiß Gott,« stöhnte Frühbach, »an die Situation werde ich mein Leben lang denken! Wissen Sie aber, daß es mir früher schon beinah' einmal ähnlich gegangen ist. In Schwerin damals....«

»Und damit ist die Geschichte noch nicht aus,« unterbrach ihn der Major, dem die letzte Drohung der Frau nicht aus dem Kopf ging. »Passen Sie auf, das rabiate Weib geht am Ende noch vor Gericht, und wir können ihr nicht allein öffentlich Abbitte thun, sondern der ganze fatale Handel kommt auch in's Publikum und, das Allerschlimmste, dem alten Wendelsheim zu Ohren, der überhaupt keine Gelegenheit vorbeiläßt, um mir etwas anzuhängen. Heiliges Donnerwetter, wenn ich nicht mit meinem elenden Körper so an die Scholle gebannt wäre, ich setzte mich heute Abend noch auf die Bahn und führe nach Neapel oder Griechenland!«

»Hm,« sagte der Rath, der seinen Stock unter den Arm genommen hatte und an dem seidenen Taschentuche eine reine Stelle suchte, an der er seine Brille hätte abwischen können (er fand aber keine und rieb sie dann auf dem Aermel), »sie wäre es allerdings im Stande, aber sie wird sich hüten, Major; denn die Sache ist doch nicht ganz rein, sie hat einen faulen Fleck. Bemerkten Sie, wie blaß sie wurde, als ich sie nach dem Bilde fragte?«

»Ja gewiß, und ich dachte im ersten Augenblick ebenfalls, wir hätten sie; aber ich glaube jetzt, es war vor Wuth.«

»Mein lieber Major, lehren Sie mich die Menschen kennen, das war mehr als Wuth, das war ein schlechtes Gewissen, und der nachher ausbrechende Grimm nur ein Mantel, um es zu verdecken. Wir hätten uns nicht davon sollen einschüchtern lassen, es war Maske; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, nichts als Maske, und noch dazu plump durchgeführt. Ich wäre auch nicht sogleich abgegangen, das versichere ich Ihnen, aber Sie waren auf einmal zur Thür hinaus, und allein konnte ich da drinnen auch nichts ausrichten.«

»Ich hatte genug,« meinte der Major, »und es fiel mir gar nicht ein, mich länger als unumgänglich nöthig mit jenem alten Weib herum zu zanken.«

»Wenn ich nur meiner ersten Eingebung gefolgt wäre und mich ihr als Polizeirath vorgestellt hätte! Ich sage Ihnen, eines Tages in Schwerin....«

»Weiter hätte nichts gefehlt,« rief der Major, »daß wir dann Beide in Teufels Küche gekommen und am Ende gar noch eingesteckt wären! Hören Sie, Rath, Sie haben gar keine Idee davon, welcher Gefahr Sie dadurch entgangen sind, daß Sie es nicht gethan.«

»Sie haben keine Courage, Major.«

»Allerdings nicht zu so faulem Kram, wo man sich den Rücken nicht gedeckt weiß. Ehrlich drauf, ja.«

»Na, ich dächte, weiß es Gott, ich wäre ehrlich draufgegangen,« sagte Rath Frühbach mit Selbstgefühl. »Und was wird nun? Denn hier auf dem Kartoffelacker können wir doch nicht gut stehen bleiben.«

»Haben Sie noch etwas im Ort zu besorgen?«

»Nichts als einige Flaschen Aepfelwein einzupacken. Hören Sie, Major, der Aepfelwein bei der Alten war wirklich famos! Schade, daß er von einem solchen Cerberus bewacht wird.«

»Ich wollte, wir hätten nichts davon getrunken,« sagte der Major mürrisch; »darin hatte die Alte recht, es sah häßlich aus, ich nippte auch nur daran. Aber nun thun Sie mir den Gefallen und lassen Sie uns machen, daß wir fortkommen. Ich habe genug von Vollmers, und hoffe das Nest in meinem ganzen Leben nicht wieder zu sehen.«

»Für heute muß ich auch sagen,« bestätigte der Rath, »daß ich kein großes Verlangen trage, länger da zu bleiben, und ich möchte besonders der aufgeregten Dame nicht noch einmal begegnen. Aber kommen Sie, Major, wir brauchen ja nicht wieder an dem Haus vorbei zu gehen, sondern können hier geradeaus die Straße halten. Mit einem ganz unbedeutenden Umweg kommen wir dann zum Wirthshaus zurück.«

Der Major ließ sich nicht lange nöthigen, und die beiden Herren kreuzten bald darauf, mit einem scheuen Seitenblick nach links, ohne aber ein Wort weiter darüber zu erwähnen, die Straße, in welcher das Haus der Frau Müller so still und friedlich lag, als ob da nie ein Sturm gewüthet hätte.

Aber sie hatten damit, wie sie vielleicht wähnten, noch nicht Alles überstanden; denn wie sie in die breite Chaussee einbogen, die nach dem Wirthshaus hinaufführte, stand vor demselben und unter dem Schild mit dem hellrothen Engel ein anderer, dunkelrother, in einer weißen Haube – der obere trug Locken – und gesticulirte eifrig mit dem achselzuckend vor ihr stehenden Wirth.

Beide Freunde blieben unwillkürlich mitten in der Straße stehen, als sie gleichzeitig die Dame erkannten. Das hatte keiner von ihnen erwartet, und selbst der Rath fühlte sich bei diesem Anblick unbehaglich. Aber ob die Dame sie selber bemerkte und nicht wieder mit ihnen zusammentreffen wollte, oder ob sie beendet hatte, was sie hieher geführt, sie machte noch ein paar entschiedene Bewegungen mit dem rechten Arm – in der Entfernung konnten sie natürlich nicht hören, was sie sagte – und wandte sich dann die Straße hinab, wo sie bald darauf in eine Seitengasse einbog.

»Das Frauenzimmer ist zu Allem fähig,« stöhnte der Major, als sie wieder, Beide zugleich, ihren Weg verfolgten, denn das Hinderniß war beseitigt; »jetzt hat sie sich dort nach unseren Namen erkundigt.«

»Und der Esel von Wirth wird ihr auch die genaue Adresse gegeben haben,« ergänzte der Rath. »Es sieht ihm ähnlich.«

»Nun, versteht sich von selbst, und in den nächsten Tagen steht die Geschichte in der Zeitung. Mein lieber Rath, ich wollte, ich hätte das verdammte Vollmers in meinem ganzen Leben nicht gesehen.«

»Jetzt kann's nichts mehr helfen,« bemerkte Frühbach ganz richtig; »der Stein rollt, und wir können ihn nicht mehr halten.«

»Ja, und Sie haben ihn in's Rollen gebracht.«

»Bitte,« sagte der Rath, »Sie haben mich darauf gestoßen, oder es wäre mir nicht eingefallen, diese Madame Müller aufzusuchen. Aber da ist der Hausknecht. Hören Sie, lieber Freund, sagen Sie doch dem Kutscher.... Wo ist der Kutscher denn eigentlich?«

»Er sitzt drin in der Stube,« erwiederte der Angeredete. »Es ist ihm nicht recht wohl; er hat Leibschneiden.«

»Der verfluchte Aepfelwein!« bemerkte der Major.

»Sagen Sie ihm, daß er einspannen soll,« befahl der Rath, der sich über das Leibschneiden völlig hinwegsetzte, »wir wollen augenblicklich nach Alburg zurückfahren. Ah, lieber Herr Wirth, unsere Rechnung, wenn ich bitten darf!«

»Zu Befehl, Herr Rath,« erwiederte der höfliche Mann, sein Käppchen ziehend. »Aber sagen Sie mir nur,« setzte er dann mit unterdrückter Stimme hinzu, »was haben Sie denn um Gottes willen mit der Frau Müller gehabt? Die war eben da....«

»Wir? Gar nichts. Was sollen wir mit ihr gehabt haben?« fragte Frühbach mit der unschuldigsten Miene von der Welt.

»Na, dann weiß ich nicht, was die Alte wollte,« sagte der Wirth. »Aber sie fragte mich erst um die Namen der beiden Herren und schrieb sie sich auf einen Zettel (der Major sah den Rath von der Seite an, seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich), und dann hat sie geschimpft und raisonnirt, daß mir die Leute ordentlich zusammenliefen.«

»Aber über was denn?« fragte Frühbach.

»Ja, Gott weiß es! Von ihrer Tochter, und dem Baron Wendelsheim, und den Gerichten, und eine Menge anderes Zeug, ich bin gar nicht daraus klug geworden, und Ihnen gab sie erst Ehrentitel! Ja, die hat ein böses Mundwerk, wenn sie einmal losgelassen wird, und wer nicht muß, soll sich mit der ja nicht im Bösen einlassen. Sonst ist sie gut genug und legt keinem Menschen 'was in den Weg, aber wenn sie erst einmal anfängt und warm wird, dann hört sie auch gar nicht wieder auf.«

»Wir möchten gern bezahlen, lieber Freund,« sagte der Major, dem die Sache peinlich wurde; »dürfte ich Sie bitten, uns zu sagen, was wir schuldig sind?«

Das half. Der Wirth schob mit einer Verbeugung ab, und während ihm der alte Herr folgte und die Zeche berichtigte (inclusive zwölf Flaschen Aepfelwein, die im Sitzkasten waren, und der Rath ging indessen, seinen linken Arm auf den Rücken gelegt, draußen auf und ab), kam der Kutscher mit den Pferden heraus und schirrte ein. Er sah elend aus, aber Frühbach fühlte sich nicht in der Stimmung, Notiz von ihm zu nehmen, und wenige Minuten später rasselte das kleine Fuhrwerk wieder durch den Ort auf der Straße nach Alburg hinaus.

13.
Vater und Sohn.

Die Bewohner von Schloß Wendelsheim hatten indessen eine ziemlich traurige Zeit verlebt und verlebten sie eigentlich noch, denn des jungen Baron Benno Zustand war in den letzten Wochen nicht allein nicht besser, sondern eher bedenklicher geworden. Der Blutsturz wiederholte sich allerdings nicht, aber ein solcher Grad von Schwäche trat ein, daß er selten und dann nur auf kurze Zeit das Bett verlassen konnte.

Bruno kam jetzt häufiger heraus als früher, und saß manche Stunde bei seinem Bruder, um ihm die Zeit zu vertreiben – aber über was konnte er mit ihm reden? Musik trieb Benno nicht, seine Nerven hatten es von Kindheit an nicht vertragen, und sonst wußte Bruno eigentlich – Pferde und Dienstsachen ausgenommen – über nichts mit ihm zu sprechen.

Benno's liebste Unterhaltung oder vielmehr Gesellschaft blieb deshalb auch jenes junge Mädchen, Kathinka, die, wo es nur immer ihre Zeit erlaubte, bei ihm sitzen und ihm kleine Geschichten und Märchen erzählen mußte. Sie behandelte ihn dabei wie ein krankes Kind, strich ihm die Haare aus dem Gesicht oder glättete ihm das Kopfkissen, zankte ihn aus, wenn er nicht ruhig liegen oder die Medicin nicht nehmen wolle, brachte ihm Blumen aus dem Garten und flocht ihm kleine Sträuße oder Kränze daraus, die sie am Tage über sein Bett hing, und pflegte ihn mit einer Sorge und Liebe, daß sie selbst das Herz der »steinernen Tante« erweichte und diese etwas freundlicher oder doch weniger hart gegen sie gestimmt machte.

Am glücklichsten aber war Benno, wenn ihn Fritz Baumann einmal besuchen konnte; denn mit diesem lebte und webte er in seinen Arbeiten und Plänen – und was für Pläne hatte er sich nicht schon wieder ausgedacht, seit er so still und ruhig liegen mußte, und wie sehnte er die Zeit herbei, wo er selber wieder mit Hand anlegen konnte, um sie thätig in's Werk zu setzen!

Kathinka seufzte freilich wohl heimlich auf, wenn sie ihn so reden hörte, denn ob auch selber noch jung, fühlte und sah sie doch recht gut, daß sein Leiden viel schwerer und ernster sei, als er selbst es glaubte; aber sie sagte nie ein Wort dagegen, und wenn sie manchmal allein mitsammen waren und er ihr wieder von all' den Maschinen erzählte, die er bauen wollte, und nächstens ein Wasserrad in Angriff zu nehmen versprach, das ihnen aus dem großen Teiche das Wasser über alle Blumenbeete führen sollte, dann freute sie sich selber mit ihm und gab ihm die Plätze an, wo sie es vorzugsweise hinleiten wollten, und rief oft ein Lächeln auf seine bleichen Wangen hervor und machte seine Augen leuchten und blitzen.

Der alte Baron kam jetzt oft herüber, setzte sich still in eine Ecke und hörte den Beiden zu; aber die letzte Zeit hatte auch ihn sehr verändert, denn je näher der Termin der Erbschaft rückte, der sich jetzt schon nach Tagen zählen ließ, desto düsterer und in sich gekehrter wurde er, und doch hätte man gerade glauben sollen, daß er die Zeit herbeisehnte, wo er wenigstens von allen Geldsorgen befreit wurde und dann einmal wieder nach langer schwerer Zeit frei aufathmen konnte. War es die Sorge um den zweiten Sohn? Er hätte Ursache dazu gehabt, denn ihm konnte dessen hoffnungsloser Zustand kein Geheimniß sein – war es ein anderer Kummer, der ihm am Herzen nagte? Aber er sprach mit Niemandem darüber, am wenigsten mit seiner Schwester, ja mied diese, wo er nur irgend konnte, und hatte es denn auch geschehen lassen, daß sie jetzt das ganze Hauswesen dermaßen in Händen hielt, um als unumschränkte Herrin darin zu herrschen. Er selber war nichts weiter mehr im Schlosse wie ein gewöhnlicher Kostgänger, und fragte ihn ein Diener um die einfachsten, ja ihn selber betreffenden Anordnungen, so wies er ihn jedesmal an Fräulein von Wendelsheim, die schon das Nöthige darüber bestimmen würde.

Im Zimmer des kranken Kindes schien es ihm noch am wohlsten; aber selbst das verließ er manchmal, wenn sein armer Knabe zu freundliche Luftschlösser baute und von dem sprach, was er in kommenden Jahren schaffen wolle. Dann stand er still und schweigend auf, und die großen hellen Thränen liefen dem alten Mann in den Schnurrbart hinein – aber er ging hinaus, daß sie der Sohn nicht sehen sollte.

Bruno war nach der Zeit, wo er das Geld von dem Vater erbat und unverrichteter Sache wieder heimreiten mußte, in Wendelsheim gewesen, hatte aber nie mehr, und zwar sehr zum Erstaunen des Vaters, ein Wort von Geld oder neuem Bedarf erwähnt, und der alte Baron hütete sich wohl, selber davon anzufangen.

Heute kam er wieder – er ritt seinen alten Schimmel – und ging, wie immer, zuerst in Benno's Zimmer hinauf, um zu sehen, wie es ihm gehe. Er fand ihn kränker aussehend, als das letzte Mal, aber ein freundliches Lächeln glitt über die Züge des Leidenden, als er dem Bruder die Hand reichte.

»Wie geht es Dir, Benno?« fragte dieser herzlich. »Du siehst recht blaß aus.«

»O, gut heute, recht gut,« sagte der Knabe. »Kathinka hat mir eine so wunderschöne Geschichte von einem kranken Königssohn erzählt, den eine gütige Fee geheilt und vollkommen gesund gemacht hat, und der ist dann nachher so glücklich geworden und hat sein Volk noch viele Jahre regiert – ach, wenn es doch auch bei uns noch solche gute Feen gäbe! Aber, Bruno, Du thust mir ja weh, sieh' einmal, Du hast mir die Hand ganz roth gedrückt.«

»Und kannst Du nicht ein wenig aufstehen und in den Garten oder nur an's offene Fenster treten, Benno? Die Luft ist so wundervoll und mild; es würde Dir gewiß gut thun.«

»Es will doch nicht recht gehen, Bruno,« sagte der Knabe; »wenn ich aufstehe, sticht es mich immer so hier, und der Doctor hat es mir heute Morgen streng verboten. Hast Du nichts von dem jungen Baumann gesehen, Bruno? Er wollte mich heute besuchen – er hat es mir fest versprochen – und mir etwas Neues mitbringen.«

»Nein, Benno, ich bin nicht den Fußweg geritten; er ist vielleicht schon unterwegs. Aber regt Dich das nicht zu sehr auf, wenn Du über solche Sachen nachgrübelst und Dir den Kopf über Räder, Hebel und Schrauben zerbrichst?«

»Ach nein, Bruno,« lächelte der kranke Knabe. »In der Zeit, wo ich mich damit beschäftigen kann, fühle ich gar nicht, daß mir etwas fehlt, und mir wird dann so wohl und leicht zu Muthe. Baumann leidet auch nicht, daß ich selber mit anfasse. Er zeigt mir nur Alles, und wir besprechen dann, wie wir es machen wollen. Er ist so geschickt und so freundlich immer. Ich wollte, er wohnte nicht so weit entfernt von uns.«

»Wo ist der Vater, Kathinka?«

»Ich glaube, unten im Garten, Herr Baron. Er war vorhin hier oben, und ich sah ihn später dort drüben unter den Linden auf und ab gehen.«

»Ich werde ihn aufsuchen; ich komme dann noch einmal zu Dir herauf, Benno, ehe ich wieder fortreite.«

»Ja, Bruno und wenn Du Baumann sehen solltest, sage ihm doch, daß ich so auf ihn warte.«

»Ich schicke ihn Dir gewiß gleich, verlaß Dich drauf.«

Als Bruno mit schwerem Herzen den Bruder verließ und hinunter und durch den Gartensaal ging, fand er dort seine Tante, die, ihre mageren Arme fest zusammengelegt, auf und ab ging.

Fräulein von Wendelsheim war nie, selbst nicht in ihren jungen Jahren, hübsch gewesen; denn eine scharfe Nase, sehr dünne Lippen und schlechte Zähne gaben ihren Zügen etwas Schroffes, Abstoßendes. Im reiferen Alter verschönerte sie sich natürlich nicht, und da sie sich auch nur sonst ausnahmsweise liebenswürdig zeigte und besonders mit ihrem Bruder in stetem Hader lebte, wunderte man sich allgemein, daß sie trotzdem bei einander aushielten. Auch die verstorbene Baronin hatte sich nie mit ihr befreunden können und sogar manchen heftigen Auftritt mit ihr, vorzüglich nach der Geburt des ersten Sohnes gehabt, auch damals ihren Gatten oft gebeten, ein Verhältniß zu lösen, das nach keiner Seite hin genügte. Die Dame besaß außerdem durch die Erbschaft einer Tante ein kleines Privatvermögen, mit dem sie recht gut hätte unabhängig leben können, aber zugleich eine solche Gewalt über ihren darin schwachen Bruder, daß sie ihren Platz hartnäckig behauptete und sogar schon nach dem Tod der Baronin als unumschränkte Herrscherin im Schlosse galt. Sie befahl und ordnete an, und wenn sich Dienstboten ihrem Willen nicht fügen wollten, gleichviel wie zufrieden ihr Bruder selber mit ihnen sein mochte, so mußten sie den Platz räumen – und thaten's auch gewöhnlich gern, denn lange hielt es doch keiner von allen unter ihr aus.

Mit Bruno, dem ältesten Sohn, stand sie, wie schon erwähnt, auf keinem guten Fuß, obgleich der alte Pommer, der Kutscher, der Einzige, der noch aus jener Zeit seine Stellung behalten hatte, behauptete, als kleines Kind habe sie den Knaben sehr gern gehabt und ihn besonders verzogen. Nach der Geburt des zweiten Sohnes änderte sich das aber, und Bruno selber erinnerte sich nicht, so lange er wenigstens denken konnte, ein freundliches Wort von ihr gehört oder eine Liebkosung von ihr empfangen zu haben. Als Kind fühlte er das natürlich nicht so schwer; als er aber nach dem Tode der Mutter heranwuchs und sich vom Vater vernachlässigt, von der Tante zurückgesetzt, ja oft ungerecht mißhandelt sah, da ging er oft still hinunter in den Park, setzte sich dort auf eine Bank in dichtes Gebüsch hinein und weinte sich recht herzlich aus. Aber er gedieh trotzdem und vielleicht gerade dadurch so viel besser, daß sich Niemand viel um ihn bekümmerte, und als er an Jahren reifte und zu begreifen begann, daß er gerade, der Erbe des ganzen Besitzthums, des ganzen Vermögens der Wendelsheim, eigentlich wie ein Ausgestoßener oder doch nur Geduldeter im Hause behandelt würde, fing er an, rauhe Worte mit gleichen zu vergelten. Er und die Tante hatten da manchen Strauß, bis sich zuletzt ein recht gesunder Haß zwischen Beiden entwickelte, den Keiner vor dem Andern zu verbergen sich große Mühe gab.

Sonderbarer Weise hatte dabei der herangewachsene Mann unter all' den unfreundlichen Worten, die er als Kind und Knabe ertragen mußte, eins im Herzen bewahrt und nicht wieder vergessen können – eins, das er als Knabe von etwa elf Jahren gehört, und das ihm wahrscheinlich nur deshalb unter all' den tausend anderen in der Erinnerung blieb, weil er es nicht begriff und damals schon oft und bitter darüber nachgrübelte. Es war gewesen, als er es zum ersten Male wagte, der Tante offen entgegen zu treten. Er hatte irgend eins der zahllosen ihm gestellten Verbote übertreten oder einem Befehl nicht gehorcht – die Ursache war seinem Gedächtniß entschwunden, aber die Folgen blieben um so deutlicher darin, wie es ja oft geschieht, daß uns einzelne, oft unbedeutende Scenen der Kinderzeit, manchmal bis in die ersten Jahre zurück, unvergessen bleiben, während andere, viel wichtigere, gänzlich sich verwischen.

Er sah noch den Blick voll Haß und Zorn vor sich, mit welchem ihn die Tante ansah, als er ihr sagte, daß sie von den Leuten im Hause Beißzahn genannt würde, er sich aber nicht mehr von ihr beißen lassen wolle.

»Und wer bist Du denn?« hatte sie damals zu ihm gesagt. »Was wärest Du denn, wenn ich Dich nicht dazu gemacht hätte?« – Er erinnerte sich auch, sie damals um die Erklärung der Worte gefragt zu haben, ohne aber eine Antwort darauf zu erhalten; sie schlug nur nach ihm, und als er ein auf dem Tische liegendes Messer ergriff, schrie sie um Hülfe, und der Vater gab ihm nachher drei Tage strengen Arrest bei Wasser und Brot auf seiner Stube mit so viel lateinischen Strafarbeiten, daß er sie kaum in der Zeit bewältigen konnte.

Von da ab war der Bruch mit der Tante vollständig ausgesprochen, hatte aber doch ein Gutes gehabt, denn sie wagte von dem Tag an nie wieder die Hand gegen ihn zu erheben, und nur in dem Hirn des Knaben arbeitete der Gedanke fort: »Weshalb hat mich die Tante zu dem gemacht, was ich bin? Was soll das heißen?« Er hatte aber Niemanden, gegen den er sich darüber aussprechen konnte – seinen Vater wagte er nicht zu fragen, sein Bruder war noch zu klein, sein Hofmeister ein strenger, finsterer Pedant, der, wie leider nur zu viele Pädagogen, nichts auf der Gotteswelt in seinem ganzen Leben gelernt hatte als Griechisch und Lateinisch, und für welchen deshalb auch weiter nichts existirte. Und die Tante selber? Es lag ihm oft in ihrer Gegenwart auf der Zunge, aber er war viel zu stolz und trotzig, um sie ahnen zu lassen, daß er sich etwas zu Herzen genommen, was über ihre Lippen gekommen. Er haßte sie, wie nur ein mißhandeltes Kind ein Wesen hassen kann, dem es keine Rechte über sich zugesteht und von dem es sich ungerecht und schlecht behandelt weiß. Und was hatte er ihr je gethan, das zu verdienen? Nichts, das er sich denken konnte. So blieb denn die Erinnerung an jenen Morgen fest in seinem jungen Herzen verschlossen, und wie viele Jahre auch mit ihren frischeren Eindrücken darüber hingingen, aus allen hervor wuchsen immer wieder die da gehörten Worte: »Wer bist Du denn? Was wärest Du, wenn ich Dich nicht dazu gemacht hätte?«

Jetzt war er ein Mann geworden, und man hätte denken sollen, die Tante würde sich, mit der Gewißheit, daß er bald als Herr eines bedeutenden Vermögens dastehen mußte, freundlicher gegen ihn gezeigt und gesucht haben, die alten Erinnerungen aus der Jugendzeit zu verwischen. Es schien auch wirklich, als ob sie sich Mühe dazu gäbe; aber es gelang ihr trotzdem nicht. Selbst manchmal zwischen gleichgültigen Worten traf ihn ein Blick aus ihren kleinen, blitzenden Augen so giftig, so voll Haß und Zorn, daß er sie dann oft staunend ansah. Er wußte sich aber die Sache nicht zu erklären denn lange schon war kein böses Wort mehr zwischen ihnen gewechselt worden. Sie gingen nur einander aus dem Wege, wo sie konnten – und weshalb dann noch dieser unauslöschliche Haß?

Als Bruno unten im Gartensaal die Tante traf und an ihrem ganzen Wesen bemerkte, daß sie nicht in besonderer Laune schien – überdies ein sehr seltener Fall –, wollte er auch mit einem kurzen Gruß vorübergehen.

»Guten Morgen, Tante!« sagte er nur und schritt der Gartenthür zu.

»Und wen suchst Du?« fragte Fräulein von Wendelsheim, ohne selbst den Gruß zu erwiedern.

»Den Vater. Weshalb?«

»Du warst bei Benno oben?«

»Ja, Tante; er sieht heute recht krank und elend aus.«

»Und Du regst ihn nur immer noch mehr auf.«

»Ich rege ihn auf, Tante? Aber womit? Ich habe ihm nur »guten Tag« gesagt und bin dann gleich wieder fortgegangen. Er verlangt nach dem jungen Baumann.«

»Wenn der oben ist, kann er reden und erzählen, und wenn ich zu ihm komme, legt er sich hin und dreht das Gesicht der Wand zu.«

»Er bekommt manchmal plötzliche Schmerzen. Ich fürchte, seine Krankheit ist gefährlicher, als wir ahnen.«

»Du fürchtest das?« sagte die Tante, und wieder traf ihn solch ein böser Blick aus ihren Augen.

»Und weshalb sollte ich es weniger fürchten, weniger fühlen, Tante, als Ihr?« sagte Bruno erstaunt. »Glaubst Du, daß ich Benno weniger lieb habe als Ihr – wenn Ihr ihn auch mehr geliebt habt als mich?«

»Ich sagte das nicht,« erwiederte finster die Tante und wandte sich von ihm ab; »Du drehst Einem die Worte im Munde herum. Ich glaube gar nicht, daß er so krank ist, sondern nur schwach und angegriffen, das meinte ich – aber da kommt der Vater.«

Und damit ließ sie ihn stehen, verließ den Saal und warf die Thür hinter sich in's Schloß.

Bruno war stehen geblieben und sah ihr nach, und wieder tauchten jene geheimnißvollen Worte in ihm auf, die sie damals gesprochen; aber ein anderer Gegenstand beschäftigte seinen Geist – was kümmerte ihn auch die Tante!

Draußen durch die Glasthür sah er seinen Vater kommen, und etwa zwei Schritt hinter ihm folgte der junge Baumann, der eine kleine, wunderlich geformte Maschine in der Hand trug. Der alte Herr hatte sich aber auf keine Unterhaltung mit dem »Handwerker« eingelassen; er wußte allerdings, daß Benno mit großer Liebe an dem jungen Mann hing, und Benno's wegen duldete er den Besuch, aber er sah ihn nicht gern und machte auch nicht viel Umstände mit ihm.

»Gehen Sie hinauf,« sagte er, als sie die Thür des Gartensaales erreichten; »Sie wissen den Weg. Benno ist oben und hat mich schon heute Morgen nach Ihnen gefragt; aber bleiben Sie nicht zu lange. Sein Kopf glüht jedesmal, wenn Sie ihn verlassen haben; der Arzt hat jede Aufregung streng untersagt.«

»Sehr wohl, Herr Baron,« sagte der junge Mann ruhig; »ich wäre auch gar nicht herausgekommen, wenn ich nicht geglaubt hätte dem Kranken eine Freude zu machen. Er hat mich gestern selber darum bitten lassen, und ich sagte es deshalb zu.«

»Es ist gut,« nickte ihm der Baron vornehm zu, und Baumann wollte mit einem kurzen Gruß an Benno vorüber der Verbindungsthür zuschreiten, als Bruno die Hand gegen ihn ausstreckte.

»Herr Baumann,« sagte er dabei, »ich habe Sie noch um Entschuldigung zu bitten, daß ich Sie neulich mit dem Pferd anritt; aber ich konnte wirklich nichts dafür. Der Weg war so eng und der Fuchs so ungezogen, daß ich nicht einmal im Stand war, ihn nachher einzuzügeln; er ging förmlich mit mir durch.«

»Herr Lieutenant,« sagte Baumann freundlich, »ich sah, daß das Pferd wild war, und habe später erfahren, wie gegründete Ursache Sie hatten, sich unterwegs nicht aufzuhalten. Ich erschrak allerdings im ersten Augenblick; das aber war auch das ganze Unglück, das Sie angerichtet haben. Reden wir nicht weiter davon.« – Und ihn grüßend, schritt er den wohlbekannten Weg durch den Gartensaal dem Gange zu und die Treppe hinauf zu Benno's Zimmer.

»Guten Tag, Vater!« sagte der Officier, als der junge Handwerker das Zimmer verlassen hatte. »Ich wollte Dich eben aufsuchen, um ein paar Worte mit Dir zu reden.«

»Und was steht zu Diensten, wenn ich fragen darf?«

»Hast Du kein freundlicheres Wort für mich, Vater?«

»Du wirst wieder Geld haben wollen,« sagte der Baron mürrisch, »und Du weißt, daß ich nicht mehr im Stande bin, es Dir zu geben. Die Tausende und Tausende, die ich die langen Jahre für Dich ausgelegt, haben meine Mittel erschöpft, und es wird Zeit, daß Du zurückzahlst, was Du mich gekostet, aber nicht mehr verlangst.«

»Ich bin nicht um Geld gekommen, Vater,« sagte der junge Officier ruhig, »ich brauche keins, und hoffe mich bis zu dem Tage, wo die Erbschaft ausgezahlt wird, selber durchzubringen. Nachher magst Du von mir Ersatz für das »Ausgelegte« verlangen.«

»Und wie hast Du Dein Ehrenwort damals eingelöst? Wo hast Du das Geld aufgetrieben? – wahrscheinlich die doppelte Summe dafür gezeichnet?«

»Ich habe es zu fünf Procent bekommen.«

»Zu fünf Procent?« rief der alte Mann, ihn mit einem ungläubigen Kopfschütteln von der Seite ansehend.

Bruno aber, darauf nicht achtend, fuhr langsam fort: »Allerdings bin ich dafür, wenn auch vollkommen freiwillig, eine Verbindlichkeit eingegangen, und um darüber mit Dir zu sprechen, heute hier herausgekommen.«

»Thu' mir den Gefallen und rede nicht in Räthseln und Bildern,« sagte der alte Herr mürrisch; »ich habe den Kopf schon ohnedies zu voll, um ihn mir noch damit zu zerbrechen.«

»Ich werde sehr deutlich sein, Vater,« erwiederte Bruno, indem er sich in einen Stuhl warf und den Kopf auf dessen Lehne in die Hand stützte; »es bedarf auch dabei nicht der Umschweife, denn es betrifft nur eine einfache Mittheilung, keine Frage oder Bitte.«

»Und die wäre?«

»Ich werde heirathen.«

»In der That?« sagte der Vater, doch etwas erstaunt, »so bist Du endlich vernünftig geworden. Aber wen, wenn ich fragen darf, da es, wie Du sagst, doch blos eine Mittheilung sein soll?«

»Und trage ich die Schuld, Vater, daß es so weit zwischen uns gekommen? Was habe ich gethan, was verschuldet, daß ich, so lange ich denken kann, nur wie ein Fremder, Ueberlästiger zwischen Euch herumgehe?«

»Ich verstehe Dich nicht!«

»Du hast mich nie verstanden,« sagte Bruno bitter, »mich nie verstehen wollen!«

Der alte Baron warf einen scheuen Blick auf seinen Sohn; denn so wenig er daran gedacht haben würde, etwas Aehnliches gegen ihn einzugestehen, im Herzen fühlte er die Wahrheit des Vorwurfs, und war auch deshalb nicht im Stande, ihn gleich und entschieden von sich abzuwälzen.

»Du machst eine lange Vorrede,« sagte er endlich; »ich hoffe doch nicht, daß Du eine Wahl getroffen, deren Du – deren ich mich zu schämen brauchte. Aber ich glaube fast, der Verdacht ist unberechtigt,« setzte er rasch hinzu, »denn Du kannst und mußt wissen, was ich Alles mein langes Leben hindurch gethan habe, um die Ehre unseres Hauses aufrecht zu erhalten.«

»Die Ehre unseres Hauses,« wiederholte Bruno düster – »das heißt den äußeren matten Glanz, den Anstrich – wie aber war es indeß im Innern? Die Ehre des Hauses – und wie stand es indessen mit dem Glück, dem Frieden des Hauses, Vater? Ich höre und lese draußen manchmal von dem Segen der eigenen Familie, dem Glück der Heimath. Was habe ich gethan, daß mir das Alles gestohlen wurde?«

»Was hast Du nur heute?« sagte der Vater, unruhig werdend, indem er den Sohn groß ansah. »Wie bist Du so sonderbar, und was sollen diese vollkommen unbegründeten Anklagen? Wenn Du Dich nicht wohl in unserem Hause fühltest, wer trug denn die Schuld, wir oder Du, der seine Zeit draußen in wüsten Gelagen verbrachte und sich und mich dadurch in Schulden stürzte?«

»Das ist recht, Vater,« lachte Bruno bitter, »mach' Du mir noch Vorwürfe, daß ich die Gesellschaft fremder Menschen suchen mußte, weil ich im eigenen Hause kein freundliches Gesicht zu sehen bekam und sogar auf ewigem Kriegsfuß mit der Tante lebte. Doch genug – übergenug davon! Die Zeit liegt Gott sei Dank hinter mir, und von dem Augenblick an, wo ich die Erbschaft habe, denke ich mir meinen eigenen Herd zu gründen – aber nicht hier in Wendelsheim, denn keine freundliche Erinnerung zieht mich hieher zurück.«

»Nicht hier in Wendelsheim?« rief der Vater rasch und erstaunt, ja fast erschreckt. »Und wohin sonst willst Du ziehen?«

»Fort von hier, Vater; ich habe meinen Abschied schon eingereicht und die Versicherung erhalten, daß er mir bewilligt wird.«

»Und wer ist die Dame, die Du Dir zur künftigen Gattin ausersehen?« sagte der Vater mit fast tonloser Stimme; denn zum ersten Mal fühlte er, daß der Sohn die ihm bisher auferlegten Fesseln wirklich abgestreift habe und entschlossen sei, seine vollständige Unabhängigkeit zu wahren. »Ich bin so fremd in Deinen Bekanntschaften, daß ich nicht einmal auf irgend Jemanden rathen kann.«

»Und doch hast Du gerade mir den Weg in die Familie gebahnt, Vater,« sagte Bruno, während ein eigenes trotziges, aber doch düsteres Lächeln über seine Züge flog. »Ich liebe die Tochter des alten Salomon.«

»Bruno,« schrie der Baron emporfahrend, indem er wirklich bleich vor Schreck wurde, »bist Du wahnsinnig geworden oder treibst Du Deinen Spott mit mir? Die Tochter des alten Juden?«

»Die Tochter des alten Juden,« wiederholte Bruno scharf und langsam; »ich bin nicht wahnsinnig, Vater, und treibe auch meinen Spott nicht mit Dir – habe es nie gethan.«

»Und meinen Namen willst Du beschimpfen?«

»Ist es nicht auch der meine? Ich sehe keinen Schimpf darin, ein braves Mädchen zum Altar zu führen.«

»Bruno,« rief der alte Baron außer sich, »Du weißt nicht, was Du thust! Unser Geschlecht ist bis jetzt rein und unbefleckt erhalten – der alte Stamm wenigstens –, und Du hast keine Ahnung, welche Opfer Einzelnen von uns auferlegt wurden, um das durchzuführen. Willst Du gerade der Erste sein, der einen schwarzen Strich durch unser Wappen zieht. Es kann, es darf nicht sein, und ich werde es nie und nimmer dulden!«

»Du kannst es nicht hindern, Vater,« sagte Bruno ernst und kalt; »Du hast Dir das Recht vergeben, über mein Thun und Handeln zu bestimmen. Du hast keine Liebe in meinem Herzen gesäet, Du kannst nicht erwarten, dort Liebe zu ernten – kannst mir aber auch nicht verdenken, daß ich sie dort suchte, wo sie mir von ganzer Seele entgegengebracht wurde. Du kennst auch Rebekka nicht,« fuhr er etwas weicher fort, als der alte Mann wie gebrochen in einen Stuhl sank und sein Gesicht mit den Händen deckte; »hättest Du nur ein einziges Mal in ihr liebes, engelschönes Antlitz geschaut, hättest Du gesehen, wie lieb und gut sie mit mir ist, Du würdest begreifen, daß ich das vergaß, was mir noch nie ein Segen, nur ein Zwang gewesen.«

»Das kann, das darf nicht sein!« rief der alte Baron, wieder von seinem Stuhl emporspringend; »die Erbschaft war von jenem alten Manne nur deshalb unserem Hause zugewendet, um den Glanz des Namens aufrecht zu erhalten, das Geschlecht nicht aussterben zu lassen.«

»Die Erbschaft lautet auf Deinen ältesten Sohn nach Zurücklegung von dessen vierundzwanzigstem Lebensjahre; die Bedingung ist in wenigen Wochen erfüllt,« erwiederte Bruno ruhig.

»O, daß ich so – daß ich so hart gestraft werden sollte,« rief der Baron die Hände ringend, indem er in dem großen Saal rasch auf und ab schritt – »so hart gestraft!«

»Wofür, Vater?«

Der alte Mann war zur Glasthür getreten, lehnte seine Stirn an eine der Scheiben und starrte in den Garten hinaus; aber er beantwortete die Frage nicht. Bruno fühlte sich beängstigt: er war auf Vorwürfe und Zornesworte gefaßt und entschlossen gewesen, denen kalt und entschieden zu begegnen – so weich, so gebrochen hatte er den Vater nicht zu finden geglaubt – so hatte er ihn nie gesehen. Langsam ging er auf ihn zu, und die Hand auf seine Schulter legend, sagte er, freundlicher, als er bis jetzt gesprochen:

»Und was ist es denn weiter, Vater, daß Du es Dir so arg zu Herzen nehmen solltest? Der alte Salomon ist ein braver, rechtlicher Mann und hat den Ruf in der ganzen Stadt; und was mich betrifft, ich ziehe fort von hier, auf Jahre vielleicht, und wenn ich zurückkehre, ist die Sache längst vergessen und begraben. Hier bei Euch,« fuhr er fort, als der alte Mann ihm nichts darauf erwiederte und regungslos in seiner Stellung blieb, »könnte ich ja auch nicht einmal bleiben, denn ich möchte meine Frau, und wenn sie einem der edelsten Geschlechter angehörte, nicht unter ein Dach mit Tante Aurelia bringen – Du weißt selber recht gut, daß Haß und Unfrieden im Hause die nächsten Folgen davon wären.«

»Gottes Strafe – Gottes Gericht!« flüsterte der Baron.

»Aber von was redest Du, Vater?« rief Bruno ordentlich erschreckt. »Wofür Gottes Strafe, wenn Du das eine Strafe nennst, daß Dein Kind endlich das Glück findet, das es so lange gesucht und – leider nicht im Vaterhause finden konnte?«

»Geh',« sagte der alte Mann, indem er ihn mit der Hand langsam von sich schob, ohne ihm aber sein Auge zuzuwenden, »geh', Du bist mündig und bald Dein eigener Herr. Was kümmert Dich auch der Name unseres Hauses, auf das Du Schmach und Schande häufst? Ich will Dir nicht fluchen – ich darf es nicht; aber – verlange nie meinen Segen zu einer Verbindung mit der Judentochter – er würde Dir auch nichts nützen,« setzte er heiser hinzu – »er würde selber nur zum Fluche werden!«

Die Worte des alten Mannes waren für den Sohn räthselhaft; er begriff nicht, welche mögliche Deutung er ihnen geben konnte. Ehe er aber im Stande war eine weitere Frage an ihn zu richten, öffnete sich die Thür, und Tante Aurelia, deren scharfer Blick, selber staunend, die Gruppe überflog, stand auf der Schwelle.

»Was ist da vorgegangen?« sagte sie finster. »Was hast Du wieder mit dem Vater gehabt, Bruno? Das weiß doch der Himmel, daß Du das Haus nie betrittst, ohne einen Verdruß zu bereiten!«

»In der That, Tante?« sagte Bruno, der ihr gegenüber ganz wieder den alten Groll erwachen fühlte und sich auch wenig deshalb sorgte, die ihm verhaßte Verwandte zu schonen.

»In der That,« lautete ihre Antwort, »ich erwarte es gar nicht anders.«

»Dann möchten heute Ihre Erwartungen vielleicht noch übertroffen werden – guten Morgen, Tante!«

Staunend sah sie ihm nach; aber Bruno kümmerte sich nicht weiter um sie. Ohne selbst noch einmal zu dem Zimmer des Bruders hinauf zu gehen, schritt er nach dem Stall hinüber, sattelte sich selber sein Pferd und ritt dann in die Stadt zurück.

Ende des ersten Bandes.

Druck von G. Pätz in Naumburg a. d. S.

Im Verlage von Hermann Costenoble in Jena erschienen ferner folgende neue Werke:

Höcker, Gustav, Geld und Frauen. Erzählungen. 3 Bde. 8. broch. 3½ Thlr.

Kleinsteuber, Hermann, Schach dem König. Historischer Roman. 2 Bde. 8. broch. circa 3 Thlr.

Möllhausen, Balduin, Der Meerkönig. Eine Erzählung. 6 Bde. 8. broch. circa 6½, Thlr.

Sacher-Masoch, Leopold von, Der letzte König der Magyaren. Historischer Roman. 3 Bde. 8. broch. 4 Thlr.

Wickede, Julius von, Eine Deutsche Bürgerfamilie. Nach einer Familienchronik bearbeitet. 3 Bde. 8. broch. 4½ Thlr.

Bibra, Ernst Freiherr von, Erlebtes und Geträumtes. Novellen und Erzählungen. 3 Bde. 8. broch. 3¾ Thlr.

Ewald, Adolph, Nach fünfzehn Jahren. Ein Strauß Geschichten. 2 Bände. 8. eleg. broch. 3 Thlr.

Robiano, L. Gräfin von, Anna Boleyn. Historischer Roman. 2 starke Bde. 8. eleg. broch. 3½ Thlr.

Baker, Samuel White, Der Albert-Nyanza, das große Becken des Nil und die Erforschung der Nilquellen. Deutsch von J. E. A. Martin. Autorisirte Ausgabe. Nebst 33 Illustrationen in Holzschnitt, 1 Chromolithographie und 2 Karten. Zwei starke Bände. Eleg. broch. 5½ Thlr.

Deutsche Schützen, Turner und Liederbrüder oder: Was will das Volk? Zeitgeschichtlicher Roman

Hinweise zur Transkription

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Der Halbtitel wurde entfernt.

Ein an den vorderen Buchdeckel angeklebter Zettel mit Verlagswerbung wurde nicht in den Text aufgenommen.

Abschnitte, die abweichend in Antiqua gesetzt wurden, sind in der Transkription in kursiver Schrift dargestellt.

Fehlende und falsch gesetzte Anführungszeichen wurden stillschweigend korrigiert.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden Ausnahmen:

Seite 12:
"das" geändert in "daß"
(und nachher verlangen sie, daß ein junges Geschöpf)

Seite 15:
"." eingefügt
(und thut dabei den Mund den ganzen Abend nicht zu.«)

Seite 15:
"," eingefügt
(rief die Mutter, »spotte auch noch)

Seite 40:
"gegründeteten" geändert in "gegründeten"
(zerfielen die auf jenes Gerücht gegründeten Suppositionen)

Seite 93:
"Frühauf" geändert in "Frühbach"
(sagte der unverbesserliche Rath Frühbach)

Seite 94:
"Frühauf" geändert in "Frühbach"
(sagte Frühbach, indem er nach seinem Hut und Stock ging)

Seite 119:
"Ihnen" geändert in "ihnen"
(bis ich ihnen wohl ein bischen in die Quere)

Seite 120:
"du" vereinheitlicht zu "Du"
(Aber Du lieber Gott, das zweierlei Tuch)

Seite 122:
"sagt" geändert in "sagte"
(»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte in diesem Augenblicke)

Seite 149:
"," eingefügt
(sagte der Baron halb verlegen, »ich dächte)

Seite 153:
"," eingefügt
(rief der Lieutenant, »und ich konnte es mir nicht)

Seite 160:
"Salamon" geändert in "Salomon"
(»Und darf ich eintreten, liebe Frau Salomon?«)

Seite 171:
"wir" geändert in "mir"
(Sie dürfen es mir nicht abschlagen, nicht wahr?)

Seite 184:
"den" geändert in "denn"
(Dabei blieb es natürlich, denn der Staatsanwalt war eben nur)

Seite 211:
"Staasanwalt" geändert in "Staatsanwalt"
(drückte der Frau Staatsanwalt so »bedeutungsvoll« die Hand)

Seite 228:
"," entfernt
(mein gnädiges Fräulein)

Seite 235:
"Sie" geändert in "sie"
(sagte Ottilie, indem sie der ausgestreckten Hand begegnete)

Seite 285:
"sie" geändert in "Sie"
(hätten Sie einpacken und mit langer Nase abziehen können)

Seite 294:
"." eingefügt
(Sie biß eher.)

Seite 302:
"?" geändert in "!"
(wie sie bleich wird und zu Kreuze kriecht!)

Seite 311:
"gegestiegen" geändert in "gestiegen"
(der Zorn der gereizten Frau war auf's höchste gestiegen)

Seite 312:
"gegesagt" geändert in "gesagt"
(Maul hätte er am liebsten gesagt)

Seite 316:
"hätte" geändert in "hätten"
(»Ich wollte, wir hätten nichts davon getrunken,«)

Seite 317:
"fühlt" geändert in "fühlte"
(selbst der Rath fühlte sich bei diesem Anblick unbehaglich)

Seite 339:
"Ist" geändert in "Ich"
(»Ich verstehe Dich nicht!«)

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 46539 ***